Hamburger IT-Strategietage 2012

Die Entwicklung muss deutlich professioneller werden

29.02.2012 von Karin Quack
Was auf der Infrastrukturseite schon gang und gäbe ist, lässt in den Development-Bereichen noch auf sich warten: An ihnen ist die Professionalisierung der IT bislang vorbeigegangen.
Rainer Janßen ist langjähriger CIO der Münchener Rück.
Foto: Joachim Wendler

Seit Jahrzehnten immer wieder propagiert, ist das Engineering-Prinzip immer noch nicht in der IT angekommen, sagt Der das sagt, muss es wissen: Rainer Janßen, CIO der Münchner Rück, ist einer der erfahrensten deutschen IT-Chefs - und von seinen Standeskollegen gewählter "CIO der Dekade" in der Rubrik "Durchsetzungskraft".

Janßens Vortrag auf den diesjährigen Hamburger IT-Strategietagen trug die Überschrift: "SOA für die IT - oder Warum wir unsere bittere Medizin auch selbst schlucken müssen". Sein Thema war die Industrialisierung, oder besser: Professionalisierung der IT-Bereiche. Und er sorgte für lebhafte Diskussionen in den Kaffeepausen.

Infrastruktur ist einfacher

Nun kann niemand behaupten, die IT befinde sich noch im vorindustriellen Zeitalter. Teilweiseist sie auf dem Weg zur Vereinfachung von Prozesse und Strukturen schon recht weit vorangeschritten. Allerdings gilt das vor allem für Infrastrukturen (Stichwort: Virtualisierung), weniger für die Anwendungsentwicklung. "Infrastruktur ist einfacher", konstatierte Janßen. Schon die Begriffe seien dort viel leichter zu kategorisieren.

Die Anwendungsentwicklung hingegen falle immer noch in die Rubrik "Kunsthandwerk", so der Münchener-Rück-CIO. Beispielsweise grassiere dort häufig das NIH-Syndrom, kurz für: "not invented here". Anstatt auf dem aufzubauen, was andere Entwickler bereits geschaffen haben, also deren Code wiederzuverwenden, tendierten die Development-Bereiche nach wie vor dazu, jede Codezeile neu erstellen zu wollen.

Janßen plädierte dafür, das SOA-Prinzip (Service-oriented Architecture) in die Anwendungsentwicklung einzuführen: Die Entwicklung sollte nicht mehr nach Kunden, also Teilunternehmen oder Fachbereichen, aufgeteilt sein, sondern nach Services organisiert werden. Beispielsweise sei es Unfug, für jede Applikation ein eigenes Testing aufzubauen, wenn man die Funktion "Softwaretest" auch als übergreifenden Service installieren könne.

Rollenverteilung in der Entwicklung

Das biete sich schon deshalb an, weil Entwickler und Tester völlig unterschiedliche Menschentypen seien, fügte Janßen an: Entwickler hätten Freude daran, etwas zu schaffen, Tester hingegen fänden Befriedigung im Kaputtmachen. Neben diesen beiden Typen gebe es noch den Projektleiter, den typischen "Wadlbeißer". "Wir sollten die Mitarbeiter in ihren jeweiligen Rollen schärfen und entsprechend einsetzten", so die Schlussfolgerung der Münchener-Rück-CIOs.

In diesem Zusammenhang schickte Janßen auch eine kleine Spitze in die Richtung der IT-Spezialisten, die nach eigenen Bekunden so gern einmal ein Entwicklungsprojekt als "ganzheitlichen Zyklus" erleben würden - von der Anfoderungsanlyse über Development und Testing bis zum Betrieb und der Systempflege. "Ein guter Architekt sollte schon mal einem Maurer zugesehen haben, aber er muss nicht selbst mauern", so Janßens spöttisches Plädoyer für die Arbeitsteilung in der IT.

Aufräumen vor Auslagern

Aus Sicht des Münchener-Rück-CIOs wird den Unternehmen nichts anderes übrig bleiben, als ihre Anwendungsentwicklung zu professionalisieren - schon aus Gründen des demografischen Wandels: "In zehn Jahren bekommen wir in Deutschland gar nicht mehr die Ressourcen, um auf die alte Art zu arbeiten", prophezeit er.

Die Alternative ist eine - zumindest teilweise - Auslagerung der Development-Funktionen. Doch gerade die erfordere es, die Entwicklung komplett umzustellen, warnte Janßen. Die Unternehmen müssten als innerhalb der kommenden Jahre lernen, Software prozess- und Service-orientiert zu erstellen, um sinnvoll externe Ressourcen nutzen zu können. Das Ziel seien "Produktionsstraßen" der Softwareentwicklung. Ansonsten laufe es nur darauf hinaus, dass sie das Chaos auslagern.

Schritt eins: Blockbildung

Der erste Schritt in Richtung einer Professionalisierung der Anwendungsentwicklung bestehe darin, den Gesamtprozess in Blöcke zu zerschneiden, erläuterte Janßen. Parallel dazu sollten die IT-Verantwortlichen auf eine Standardisierung der eingesetzten Methoden und Werkzeuge achten. Die Münchener Rück habe damit gute Erfahrungen gemacht: "Wir können applikationsübergreifend sourcen. Die verwendeten Entwicklerwerkzeuge und Techniken sind über alle Applikationen gleich."

Wie der erfahrene CIO einräumt, ist jede Umstellung in der IT ein langwieriger Prozess: "Und deshalb fasst der CIO sie nicht gern an". Das gelte umso mehr, als die "Legislaturperiode" eines CIOs im Duchschnitt kürzer sei als die eines Bundeskanzlers, nämlich dreieinhalb bis vier Jahre. "Da mache ich doch keine Krankenversicherungsreform", frotzelte der streitbare CIO-Vetern, "das zahlt sich bis zur Wiederwahl kaum aus." Dass ein guter CIO diese Aufgabe trotzdem anpacken müsse, steht für Janßen allerdings außer Frage.