Netzneutralität

"Die Entscheidung darf nicht den Netzbetreibern überlassen werden"

16.04.2010 von Simon Hülsbömer
Der Zürcher Rechtsanwalt und Autor Simon Schlauri ist Experte auf dem Gebiet der Netzneutralität. Wir haben mit ihm im Rahmen der "re:publica" über die Gefahren unternehmerischer Willkür im Netzbetrieb gesprochen.

CW: Welche Gefahren drohen uns, wenn die Netzneutralität nicht gewahrt bleibt?

Simon Schlauri hielt die Keynote der "re:publica"-Subkonferenz zum Thema Netzneutralität.

SCHLAURI: Der technische Fortschritt im Netz wird gehemmt. Zum einen könnten die Provider versuchen, mit Anbietern von Webdiensten exklusive Verträge zu schließen oder auch ihren Kunden ihre eigenen Inhalte aufzuzwingen, indem in ihrem Netz nur noch die Nutzung dieser zugelassen wird. Die Zahl der Anbieter sinkt, und damit die Chance, dass jene Produkte auf den Markt kommen, die der Markt wirklich wünscht. Zum anderen lasen sich durch gezieltes Netzwerk-Management bestimmte Datenströme priorisieren und damit beispielsweise IPTV-Dienste bevorzugt behandeln, damit das Fernsehsignal nicht abbricht. Das finde ich zwar gut, andererseits lassen sich durch diese Quality-of-Service-Technologie aber auch bestimmte Angebote, wie bereits im Peer-to-Peer-Umfeld durchaus üblich, gezielt bremsen. Ein Fall von Degrading - jener des Kabelnetzbetreibers Comcast - war erst kürzlich in den USA Gegenstand eines Gerichtsverfahrens. Als drittes Problem sehe ich die Ankündigung großer Netzprovider wie der Deutschen Telekom, künftig Geld für die Nutzung ihrer Leitungen von Dienstanbietern wie Google zu kassieren. Damit werden kleine Anbieter von Internetinhalten oder -anwendungen vom Markt gedrängt, weil sie sich weder solche Nutzungsgebühren leisten können noch die technischen und strukturellen Möglichkeiten besitzen, mit mehreren Providern entsprechende Verträge abzuschließen.

CW: Dazu würden diese Kosten wohl sofort wieder an den Endkunden weitergegeben…

SCHLAURI: Ja, das stimmt. Obgleich: Die Provider betonen natürlich, dass es richtig sei, wenn sie von beiden Seiten Geld verlangen würden. Schließlich sei das ein normaler Vorgang auf "zweiseitigen Märkten", wie jenem für den Internetzugang - mit anderen Worten sei nicht anderes als bei einer Zeitung, die sowohl von Werbetreibenden, als auch von den Zeitungslesern Geld nimmt, um sich zu finanzieren.

CW: Ein oft genutztes Argument für solche Gebühren ist, dass die Netzbetreiber die Gelder in den Ausbau reinvestieren könnten. Wie sehen Sie das?

SCHLAURI: Die Frage ist, was wichtiger ist. Einerseits muss der Netzausbau vorankommen, andererseits wird das Internet uninteressant, wenn viele Bereiche nicht mehr oder nur gegen Gebühr und dann auch nur bei bestimmten Anbietern nutzbar sind. Wir wissen darüber hinaus ja gar nicht, wie viel Geld effektiv eingespielt wird und ob wir damit den Netzausbau finanzieren könnten. Darüber hinaus bleibt die Frage, ob die Unternehmen damit auch wirklich in den Ausbau von beispielsweise DSL-Leitungen in ländlichen Gebieten oder in Glasfaser für alle investieren. Die Schweiz hat Breitband-Internet zum Bestandteil der Grundversorgung jedes Bürgers gemacht und eine entsprechende "Grundversorgungskonzession" an einen Anbieter, die Swisscom, erteilt - finanziert soll der Ausbau aus einem Topf werden, in den die anderen Telekomanbieter einzahlen. Auf Deutschland lässt sich so ein Modell aber wegen der größeren Fläche womöglich nicht so leicht übertragen.

Schnelle politische Maßnahmen vonnöten

CW: Was fordern Sie konkret von der Politik?

SCHLAURI: Es den Providern möglichst bald zur Auflage zu machen, ihre Kunden darüber zu informieren, wenn sie die Netzneutralität verletzen. Dazu braucht es rasch den Entwurf eines Katalogs telekommunikationsrechtlicher Maßnahmen für den Fall, dass die Informationspflichten nicht den Erfolg bringen, auf den wir hoffen. Sie sollten nämlich zu mehr Wettbewerb führen und die Netzbetreiber damit indirekt davon abhalten, die Netzneutralität überhaupt zu verletzen. Entwirft man rasch einen solchen Katalog, sehen die Netzbetreiber zudem, was ihnen blühen könnte, wenn sie die Netzneutralität verletzen, was ebenfalls zu etwas Zurückhaltung führen dürfte. Wartet man damit hingegen zu lange, können sie zudem umgekehrt eine Art Besitzstand aufbauen, den ihnen wegzunehmen wohl immer schwieriger würde.

Start-ups werden es schwer haben

CW: Wie stehen Sie zu besonders in den USA diskutierten Zugangs-Modellen, dass die Nutzung trafficstarker Webdienste nur noch gestaffelt möglich ist? Dass es beispielsweise für 20 Euro im Monat nur eine Grundversorgung mit Google, E-Mail und statischen Websites gibt, Web-2.0-Dienste und Social Media wie Youtube, Twitter, Facebook oder Flickr noch einmal 20 Euro mehr kosten und Peer-to-Peer-Tauschbörsen noch einmal zusätzlich kosten sollen?

SCHLAURI: Da bin ich absolut kein Freund von. Ich sehe das Problem, dass dann neue Marktmonopole entstehen. Die große Masse der Leute interessiert sich nicht für Start-ups. Bei solchen gestaffelten Modellen ist die Gefahr sehr groß, dass erst einmal alles gesperrt wird und dann für bestimmte Anwendergruppen bestimmte Angebote freigeschaltet werden. Aber was machen neue Web-Start-ups? Ihnen wird die Chance verbaut, überhaupt erst einmal in den Markt einzutreten, weil die meisten Anwender beschränkte Internetzugänge nutzen. So entstehen Monopole, weil nur noch die großen Player für die breite Masse erreichbar sind. Das einzige Modell, das ich mir in diesem Zusammenhang vorstellen kann, ist ein Kostenaufschlag für Quality-of-Service-Technologie, wenn Sie beispielsweise IPTV nutzen und eine stabile Leitung brauchen.

Heavy User sollen zahlen

CW: Es ist jedoch Fakt, dass der durch Peer-to-peer-Netzwerke verursachte Traffic exponentiell steigt und die Leitungen weniger Tauschbörsen-Nutzer die Leitungen vieler Nicht-Tauschbörsen-Nutzer ausbremsen. Sollten die Geschwindigkeiten, mit denen man auf diese Angebote zugreifen kann, nicht ganz offiziell gedrosselt werden - wie es teilweise ja auch schon gemacht wird, ohne dass die Nutzer wirklich etwas davon mitbekommen?

SCHLAURI: Ich habe den Eindruck, dass da teils übertrieben wird. Die Lösung ist nicht das Ausbremsen oder Sperren solcher Angebote, sondern der volumenbasierte Internettarif. Die meisten Anwender kommen mit zehn bis 15 Gigabyte im Monat aus. Die restlichen zwei bis drei Prozent, die für 20 bis 30 Prozent des gesamten Webtraffics verantwortlich sind, sollen dann auch dafür zahlen. Wenn ich 200 Gigabyte Traffic im Monat verursache, dafür aber auch 100 Euro bezahle, ist alles in Ordnung. Ein weiterer Effekt solcher Volumenmodelle ist die Außenwirkung: Die Provider zeigen, dass Traffic ein kostbares Gut ist, was entsprechend kostet. Die Entscheidung aber, ob ich bestimmte Dienste nutze oder nicht, muss in jedem Fall dem Endanwender überlassen werden und darf nicht von den Netzbetreibern getroffen werden. Grundsätzlich ist Peer-to-Peer eine verschiedenartig einsetzbare Technologie, die jedem auch zur Entwicklung neuer Anwendungen offen stehen muss und nicht pauschal eingeschränkt werden darf. Das Schöne am Internet ist doch gerade, dass es so vielseitig ist. So sollte es auch bleiben.