Weiterreiten auf dem toten Pferd?

Die De-Mail ist immer noch kein Behördenstandard

14.07.2016 von Marcel Mock
Vor rund einem Jahr sollte die zusätzliche Option zur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der lahmenden De-Mail zum Durchbruch verhelfen. Jedoch ohne Erfolg, wie neue Details zur Verbreitung zeigen.
De-Mail ist für den Nutzer fast genauso viel Aufwand wie der Gang zur Post.
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Rechtssichere und rechtsverbindliche E-Mail-Kommunikation mit authentifizierten Teilnehmern – das ist das Ziel der De-Mail. Eigentlich waren alle obersten deutschen Bundesbehörden per Gesetz verpflichtet, zum Stichtag 24. März 2016 über De-Mail erreichbar zu sein. Ein Blick in das öffentliche De-Mail Verzeichnis zeigt jedoch, dass lediglich 60 Prozent der Verwaltungen und Ministerien einen entsprechenden Zugang eröffnet haben.

Der Druck zur tatsächlichen Umsetzung der De-Mail scheint bei Behörden und in Unternehmen nicht besonders hoch zu sein. Das ist zum einen aufgrund fehlender Sanktionen nicht verwunderlich. Zum anderen fällt das öffentliche Interesse noch immer sehr gering aus. Von den nur etwa eine Million registrierten Teilnehmern nutzt vermutlich ein erheblicher Teil den Dienst nicht aktiv. Bemerkenswert ist, dass auch nach der Einführung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung kaum Nutzer hinzu gekommen sind. Das bestätigt die frühe Prognose der Kritiker: Die mangelnde Akzeptanz ist in den Konstruktionsfehlern der Lösung begründet.

Schleswig-Holstein gibt Auskunft: Kosten und Verbreitung der De-Mail

Gute zwei Monate nach dem Stichtag im März gibt nun die Antwort der Landesregierung Schleswig-Holstein auf eine Kleine Anfrage von Uli König, Abgeordneter des Landtages (Piraten), einen detaillierten Einblick in die Situation der De-Mail im nördlichsten Bundesland. Die Frage, ob die Antworten exemplarisch für weitere Landesbehörden sein könnten, bleibt im Raum stehen.

Besonders interessant sind die Angaben zu den bisher entstandenen Kosten. Eine ähnliche Anfrage einzelner Bundestagsabgeordneter und der Fraktion Die Linke hatte die Bundesregierung 2015 mit dem Hinweis beantwortet, es handle sich bei diesen Informationen um eine Verschlusssache. Jetzt beziffert die Landesregierung Schleswig-Holstein die bisher angefallenen Kosten für das Bundesland auf rund 100.000 Euro. Zusätzlich merkt sie an, dass derzeit noch keine laufenden Betriebskosten anfielen, schließlich sei De-Mail in Schleswig-Holstein noch nicht in Betrieb. Zur Anzahl der Stellen im öffentlichen Dienst, die über De-Mail erreichbar sind, hieß es lediglich, dass „keine konkreten Erkenntnisse vorliegen". Auch zum Einsatz der De-Mail durch die Kommunen des Bundeslands kann die Landesregierung nur die Aussage treffen, dass 134 Kommunen eine oder mehrere Domains reserviert haben. Sie fügt hinzu: „Inwieweit andere Kommunen beziehungsweise kommunale Verwaltungen anderweitig bereits De-Mail nutzen, ist nicht bekannt.“ Letztlich ist nur sicher bekannt, dass nur zwölf Prozent der insgesamt 1.110 Kommunen Schleswig-Holsteins in Sachen De-Mail aktiv geworden sind.

De-Mail bleibt ein Verfahren mit Inselcharakter

Für De-Mail existiert bis heute kein einheitliches, öffentliches Schlüsselverzeichnis.
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Grundlegende Probleme der De-Mail verhindern auch weiterhin einen Masseneinsatz. Zunächst ist eine gesonderte De-Mail-Adresse Voraussetzung. Das heißt, Anwender können nicht ihre bestehende E-Mail-Adresse nutzen – eine Hürde, die wohl viele abschreckt. Und weil De-Mail nicht mit „normalen“ E-Mails kompatibel ist, muss der Nutzer seine E-Mail-Kommunikation dann über zwei separate Plattformen abwickeln, selbst wenn das Verfahren an sich sehr ähnlich ist. Für Privatpersonen bietet De-Mail im Endeffekt also kaum Vorteile im Vergleich zum normalen Postweg.

Ein weiteres Manko ist der geschlossene Nutzerkreis von nur in Deutschland registrierten Anwendern. Dieser nationale Alleingang wirft hinsichtlich juristischer und technischer Kompatibilität Fragen auf. Unternehmen und Privatpersonen, die über Staatsgrenzen hinweg sicher digital kommunizieren wollen, können De-Mail dafür nicht nutzen. In Zeiten der Globalisierung und im EU-Binnenmarkt ist das Konzept so nicht zukunftsfähig.

Auch die mangelnde Benutzerfreundlichkeit war von Anfang an ein Hinderungsgrund. Insbesondere die Verschlüsselung wurde zunächst gar nicht und dann nur halbherzig umgesetzt. Ein Browser-Plugin gibt es nach wie vor nur für Firefox und Google Chrome. Die Unterstützung für Desktop-Mail-Clients sowie mobile Endgeräte fehlt ganz. Damit ist diese Verschlüsselungsvariante in einer mobilen und interaktiven Welt keine praktikable Lösung für Endanwender oder Unternehmen.

Absichtserklärung mit Stolperfallen?

Wird ein Konzept wie das Angebot sicherer Kommunikation für die Bürger nicht zu Ende gedacht, ergeben sich automatisch Probleme. Zwar ist die De-Mail als Gesetz deklariert, wird aber nicht mit der notwendigen Konsequenz umgesetzt. Die Ergänzung der Verschlüsselung war nur lückenhaft und bis heute existiert kein einheitliches öffentliches Schlüsselverzeichnis. Noch immer müssen sich die Anwender selbst darum kümmern, dass der Kommunikationspartner den öffentlichen Schlüssel erhält. Dabei gibt es durchaus gute Ansätze, ein öffentliches Schlüsselverzeichnis bereitzustellen, wie die Volkverschlüsselung des Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) zeigt.

Da die Bundesregierung bei den öffentlichen Schlüsseln viel Verantwortung beim Nutzer lässt, müssen sich die Bürger folglich auch selbst um die Handhabung des privaten Schlüssels kümmern. Geht dieser verloren, kann das erhebliche Konsequenzen haben. Und wer nutzt schon gerne ein freiwilliges Angebot, das am Ende zu Problemen führen kann? Wer sich einmal für De-Mail entschieden hat, muss das Postfach im Prinzip täglich prüfen, denn darin können jederzeit wichtige, fristgebundene Nachrichten eingehen. Zumal wie bei der Papierpost die sogenannte Zustellfiktion des Verwaltungszustellungsgesetzes gilt. Das heißt, ein Bescheid gilt nach drei Tagen als zugestellt, auch wenn der Bürger in dieser Zeit nicht in seine De-Mail schaut, egal ob er nun den Schlüssel verloren hat oder im Urlaub seine Nachrichten nicht abrufen kann. Anders als bei der Papierpost gilt diese Frist sogar an Sonn- und Feiertagen. Das stellt den Bürger eigentlich sogar schlechter als der Papierweg, aber das De-Mail-Gesetz macht dazu keine Aussagen. Ein gutes E-Service-Angebot, das die Kommunikation mit Behörden digitalisiert und dadurch erleichtert stellt dies in keinem Fall dar. Schade, denn viele der Hürden hätten von Anfang an vermieden werden können – für jedes der Probleme existieren Best Practices im Markt.

Absteigen und auf ein anderes Pferd setzen

Es gibt also viele Gründe, warum es mit der De-Mail nicht gelingen wird, eine Service-orientierte Verwaltung zu etablieren und Prozesse zu vereinfachen. Das Verfahren ist für Bürger derzeit ähnlich aufwendig wie der Gang zur Post. Ein ähnliches Bild zeigt sich übrigens in der Wirtschaft: Bisher besitzen nur etwa 11.000 Unternehmen in Deutschland eine De-Mail-Adresse. Wenn dies so bleibt, ist nicht damit zu rechnen, dass sich die De-Mail vielleicht bis zu einem neuen Stichtag als Standard etabliert. Es ist also an der Zeit, auf ein neues Pferd zu setzen.