Building Information Modelling

Die Baubranche wird digitalisiert

29.05.2017 von Werner Kurzlechner
Die Digitalisierung ist der Baubranche angekommen. Building Information Modelling (BIM) begleitet ein Gebäude von der Planung über den Bau bis hin zum Abriss am Ende des Lebenszyklus. Die Bundesregierung will das Thema jetzt zügig voranbringen.
  • Die BIM-Methode soll Zeit, Kosten und Qualität von Planung über Bau und Betrieb bis hin zum Abriss von Gebäuden optimieren
  • Bei BIM handelt es sich um eine Arbeitstechnik zur Projektsteuerung in Planungs-, Bau- und Betriebsphase.
  • Im Zentrum von BIM steht eine Softwareplattform für die Integration von 3D-Modelling mit Projektsteuerung und Visualisierung
  • Deutsche Bahn geht in Deutschland voran
Lünendonk unterscheidet diese vier BIM-Kategorien.
Foto: Lünendonk & Hossenfelder GmbH

Gut, in der Elbphilharmonie ertönt's mittlerweile gar wunderbar für Musikliebhaberohren. Irgendwann heben bestimmt auch die Flieger vom neuen Hauptstadtflughafen in Berlin ab. Und bald düsen vielleicht auch Schnellzüge in den unterirdischen Stuttgarter Hauptbahnhof. Aber diese Bauprojekte der öffentlichen Hand - Elbphilharmonie, BER, Stuttgart 21 - sind längst zu Inbegriffen zeitlicher Verschleppung und exorbitanter Kostensteigerungen geworden.

Viele Bürger lästern darüber und fragen sich, ob das im 21. Jahrhundert nicht besser gehen müsste. Womöglich schon, lautet die Antwort. Helfen könnte Building Information Modelling (BIM) - gewissermaßen die Digitalisierung der Bauprojektsteuerung.

BIM wird den Wettbewerb grundlegend verändern

BIM ist neuerdings ein heiß diskutiertes Thema. Zwei aktuelle Studien widmen sich diesem Ansatz. Ein Lünendonk-Whitepaper, erstellt von der Lünendonk & Hossenfelder GmbH in Zusammenarbeit mit dem Anbieter Caverion, skizziert den Stand der Dinge hierzulande. Und die Boston Consulting Group (BCG) ruft Revolution und mindestens Disruption aus: "The BIM Revolution Comes to Building Materials", schreibt ein Autorenquintett auf BCG.Perspectivces. BIM werde den Wettbewerb substanziell verändern, prognostiziert BCG. Die Analysten verraten unter anderem auch, wie IT-Abteilungen "BIM-ready" werden.

Im Zentrum steht eine Software-Plattform

Nach Jahren nur langsamer Produktionszuwächse stehe der Ingenieurs- und Baubranche eine Ära der Gewinne durch digitale Technologie bevor, meinen die Analysten: "Im Zentrum dieses Durchbruchs steht BIM - eine Software-Plattform, die 3D-Modelling mit Projektsteuerung und Visualisierungstools integriert." Alle physischen Objekte eines Gebäudes würden mit all ihren physischen, technischen und kommerziellen Merkmalen präsentiert. Dank dieser Technologie sei ein schneller Zugang zu Liefer- und Bauzeiten, Kosten des Lebenszyklus und anderer Schlüsselvariablen möglich.

"In dem Maße, in dem die Bauindustrie mit ihrer Neuorganisation auf BIM-Basis beginnt, müssen auch die Anbieter von Baustoffen reagieren", mahnt BCG. Wer schnell reagiert, könne die Wettbewerbsvorteile eines First Movers einstreichen. Anderen drohe ein Zurückfallen bei Effizienz und Innovation.

Überraschungen im Facility Management

Lünendonk-Geschäftsführer Jörg Hossenfelder erinnert im Whitepapier seines Hauses auch an die Elbphilharmonie - mit dem Hinweis, dass mit dem laufenden Betrieb jetzt die längste Phase im Lebenszyklus des Gebäudes erst beginne. "Was hier noch an Überraschungen auf das Facility Management wartet, wird die Zukunft zeigen", so Hossenfelder.

Pilotphase des Stufenplans "Digitales Planen und Bauen" des Bundesverkehrsministeriums

Als BIM-Vorreiter werden von Lünendonk Länder wie Norwegen, die Niederlande und auch die USA genannt. Die Bundesrepublik ist bislang offenbar Nachzügler, was sich aber auf Geheiß der Bundesregierung ändern soll. Mitte 2017 startet die erweiterte Pilotphase des Stufenplans "Digitales Planen und Bauen" des Bundesverkehrsministeriums.

Kernelement dabei sei die BIM-Methode, so Hossenfelder. "Sie kann dabei helfen, die drei entscheidenden Faktoren Zeit, Kosten und Qualität von der Planung über Bau und Betrieb bis hin zum Abriss von Gebäuden deutlich zu optimieren."

Erstellen und verwalten virtueller Darstellungen

"Das Grundprinzip hinter BIM ist einerseits die Erstellung und andererseits die Verwaltung von digitalen virtuellen Darstellungen der physikalischen und funktionellen Eigenschaften verschiedener Bestandteile eines Bauwerks", heißt es im Whitepaper. Diese flössen in einen gemeinsam genutzten Pool relevanter Daten ein. "Als Kern dient ein zunächst dreidimensionales Computermodell, das neben räumlichen Informationen wie Abmessungen oder Position im Raum auch weitere Bauwerksinformationen zu Materialien, Zeitabläufen, Kosten und Nutzungsdaten enthält und somit um weitere Dimensionen ergänzt wird."

Missverständnisse bei BIM

Lünendonk warnt vor einer Reihe von Missverständnissen schon bei der BIM-Definition. Ein virtuelles Gebäudemodell für sich sei beispielsweise noch nicht BIM. "BIM wird oft fälschlicherweise als Softwarepaket wahrgenommen", so die Experten. Tatsächlich handle es sich aber um eine Arbeitstechnik zur Projektsteuerung in Planungs-, Bau- und Betriebsphase. Ein CAD-System für sich sei ebenfalls noch nicht BIM, sondern im günstigsten Fall "BIM-fähig".

Als Beginn der Entwicklung nennt Lünendonk das Digital Prototyping, das bereits in den 1980er-Jahren in der Flugzeugindustrie eingesetzt worden sei. Der Begriff BIM sei seit 2014 gängig und ursprünglich vom Anbieter Autodesk geprägt worden.

"Die Einsatzmöglichkeiten bei einem Neubau sind in der Planungs- und Bauphase vorrangig das kollisionsfreie Bauen, die Flächeneffizienz und die Qualitätssicherung in Echtzeit", so die Experten. Das Modell erlaube zudem eine Termin- und Kostenverfolgung. "Während der Betriebsphase liegt der Fokus auf Energieeffizienz und nachhaltigen Betriebsprozessen."

Vier BIM-Kategorien

Lünendonk unterscheidet vier BIM-Kategorien. Wird mit Insellösungen gearbeitet, gibt es das Attribut "little". "Big" steht entsprechend für durchgängige Lösungen. Mit dem Begriffspaar "closed" versus "open" werden geschlossene und offene Systeme unterschieden. So markiert das Label "open BIM" eine offene Softwarelandschaft, in die Software verschiedener Hersteller mittels offener Schnittstellen eingebunden werden kann.

Das Versprechen zielt nun gewissermaßen ins Herz der Probleme, die mit Bauvorhaben wie etwa dem Berliner Flughafen verbunden sind. "BIM vereinfacht - konsequent angewendet - die komplexen Aspekte von Planung, Bau und Betrieb, reduziert Fehleranfälligkeit, macht Kosten transparent, steigert die Geschwindigkeit von Prozessen und stärkt die Zusammenarbeit aller am Projekt Beteiligten", so Lündendonk.

Vorteile treten nicht sofort zutage

Eine Wunderwaffe also für eine sorglose Zukunft des Bauens? Nicht zwingend: "Die Ehrlichkeit gebietet es zu erwähnen, dass diese Vorzüge nicht sofort und auf einen Schlag zutage treten werden", schränken die Whitepaper-Autoren ein. "Vieles ist nur umsetzbar, wenn alle Beteiligten - insbesondere der Bauherr selbst - ihr Projekt kooperativ und durchgängig aufsetzen, und BIM in Gänze genutzt wird."

Deutsche Bahn macht BIM zur Pflicht

In Deutschland scheinen staatliche Institutionen dazu zumindest entschlossen zu sein. Die Deutsche Bahn habe zu Jahresbeginn BIM für Teile ihrer Bautätigkeit zur Pflicht gemacht, so Lünendonk. Und der Stufenplan des Bundesverkehrsministeriums sieht nach einer dreijährigen erweiterten Pilotphase vor, dass ab 2020 öffentliche Bauträger in der Lage sein sollten, BIM-Anforderungen in allen Neuausschreibungen anzuwenden. "Somit stehen die potenziellen Auftragnehmer unter Zugzwang", kommentiert Lünendonk.

41 Prozent der deutschen Unternehmen skeptisch

Momentan freilich ist der Markt überschaubar. Laut Whitepaper beliefen sich die weltweiten Umsätze führender Hersteller von BIM-bereiter Software wie Trimble, Autodesk, Nemetschek, Aconex, SOFiSTiK und BlueCielo 2015 auf rund 2,3 Milliarden US-Dollar. 34 Prozent davon entfielen auf den EMEA-Markt. Das globale Marktvolumen soll bis 2022 auf 11 Milliarden Dollar ansteigen.

Insgesamt 29 Prozent der deutschen Bauunternehmen wenden BIM nach eigenen Angaben immer oder häufig an, 19 Prozent selten. 10 Prozent planen den Einstieg, 41 Prozent äußern sich konsequent abstinent. Momentan stecke BIM hierzulande noch in den Kinderschuhen, so Lünendonk. Auch werde nur an wenigen Universitäten und Berufsschulen BIM-Kompetenz gelehrt.

Die Grafik zeigt, wie sich BCG die BIM-Transformation vorstellt. Auf verschiedenen Stufen verwandeln sich Unternehmen in "Collaborative Hubs". Auf der x-Achse ist der Informationsfluss dargestellt.
Foto: BCG

BIM ist iedal für die Cloud geeignet

Software-technisch ist BIM laut Studie prädestiniert für die Wolke: "Nur in der Cloud können alle Projektbeteiligten Änderungen live am Modell durchführen." Umso wichtiger seien ein einheitliches Verständnis zum Datenaustausch und miteinander kompatible Software-Lösungen. Als Standards gibt es diverse deutsche und europäische Normen, die im Whitepaper erläutert werden. Speziell für den Datenaustausch wird der IFC-Standard hervorgehoben. IFC steht für Industry Foundation Classes.

Neben CAD-Technologie ist auf der IT-Seite ein Common Data Environment (CDE) entscheidend. Lünendonk nennt als Anbieter Conject und Aconex und führt aus: "Über ein Rechtekonzept erhalten die Beteiligten Zugriff, jedoch nur entsprechend ihrer vertraglichen Vereinbarungen." Offene BIM-Formate wie IFC oder BIM Collaboration Format (BCF) ermöglichten den Einsatz von Lösungen verschiedener Hersteller. Allerdings sei die Entwicklung der Schnittstellen noch lange nicht abgeschlossen - was auch für IFC gelte.

Wie BIM die IT tangiert

Wie BCG herausarbeitet, wird die BIM-Revolution Auswirkungen auf alle möglichen Abteilungen haben - von Personal über Marketing bis hin zu Forschung und Entwicklung. Für die IT sei der Aufbau einer effektiven Objektbibliothek eine große Herausforderung.

"Aber die IT wird auch dafür herangezogen werden, Ressourcen und Infrastruktur zur Unterstützung der BIM-Transformation bereitzustellen", so Boston Consulting. "Auf Sicht ist eine weitere Aufgabe der Schutz von geistigem Eigentum und Betriebsdaten, die immer mehr online verfügbar sein werden."