Fachkräftemangel

Die Alten sollen es richten

13.10.2011 von Ingrid  Weidner
Der demografische Wandel erreicht die IT-Branche. Einige Unternehmen entwickeln Ideen, wie sie ältere Mitarbeiter und ihre Potenziale fördern können.
Heute bemühen sich immer mehr Unternehmen, ältere Mitarbeiter so lang wie möglich im Job zu behalten.
Foto: Fotolia, Anthony Leopold

Die Deutschen werden immer älter. Schon heute sind mehr als sieben Millionen Arbeitnehmer über 50 Jahre alt, das entspricht etwa einem Viertel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, wie der aktuelle Altersübergangsreport des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen ermittelte. Im Jahr 2035 werden mehr als 30 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein. Gleichzeitig nimmt das Arbeitskräftepotenzial bis dahin um rund 6,5 Millionen Beschäftigte ab.

In der jungen IT-Branche galten viele Jahre Mitarbeiter über 35 als alt; auch das ändert sich. Großzügige Vorruhestandsregelungen sind weitgehend passé. Die Arbeitsleistung der Mitarbeiter so lange wie möglich zu erhalten ist nun das Ziel.

Weitergabe von Wissen

Damit es nicht bei Absichtserklärungen bleibt, initiierte der Branchenverband Bitkom gemeinsam mit der Gewerkschaft IG Metall das Projekt "IT 50plus". In ausgewählten IT-Unternehmen wurden zwischen 2008 und Anfang 2011 verschiedene Ansätze erprobt. Aus diesen Erfahrungen entstehen bis Ende 2011 Leitfäden, mit denen auch andere Unternehmen arbeiten können.

Martin Schmidt, Bitkom: "Die Weitergabe des Wissens von Mitarbeitern, die in den Ruhestand gehen, beschäftigt viele Unternehmen."
Foto: Martin Schmidt, Bitkom

Martin Schmidt, Projekt-Manager beim Bitkom in Berlin, erläutert, welche Themen in Firmen besonders wichtig sind: "Die Weitergabe des Wissens von Mitarbeitern, die das Unternehmen verlassen und in den Ruhestand gehen, beschäftigt viele IT-Unternehmen. Auch das Thema Weiterbildung spielt eine wichtige Rolle, ebenso die Wiedereingliederung von arbeitslosen älteren IT-Fachkräften."

Das mittelständische Unternehmen Datev in Nürnberg beteiligte sich am Projekt. Schon heute liegt das Durchschnittsalter der Beschäftigten bei 45 Jahren, 30 Prozent der Beschäftigten sind älter als 50. Neu oder überraschend sind diese Zahlen für die Nürnberger keineswegs. Seit einigen Jahren nutzt das IT-Unternehmen ein Demografie-Tool, das in das Personalwirtschaftssystem integriert ist. Damit lassen sich Altersstrukturen schnell analysieren. "Wir beschäftigen uns seit fünf Jahren intensiv mit dem demografischen Wandel. Wir wissen, dass es ein wichtiges Thema ist", sagt Martin Zirm, aus der Abteilung Personalstrategie von Datev.

Projekt IT 50plus

Trotz eines umfangreichen Gesundheits-Managements versprach sich das Unternehmen neue Impulse vom Projekt IT 50plus. Besonders die Themen Wissens-Management und Wissenstransfer sind für die Franken wichtig. Es geht beispielsweise darum, wie jüngere Mitarbeiter alle Kniffe des Projekt-Managements von erfahrenen Kollegen lernen können. In einem Pilotprojekt probte ein Datev-Team den Erfahrungsaustausch. Anhand von Fragebögen sollten Führungskräfte und Mitarbeiter Erfolgsgeschichten beschreiben. "Wir wollten nicht nur Fakten sammeln, sondern vor allem mehr über das implizite Wissen lernen, das über den Projekterfolg entscheidet", konkretisiert Zirm.

In den anschließenden Teambesprechungen moderierte ein externer Berater des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts die Diskussionen. "Die Führungskraft des Teams erhielt zwar die Ergebnisse, doch sie wurde nicht in die Gesprächsrunden einbezogen. Auf diese Weise haben wir mehr Verantwortung an die Mitarbeiter übertragen und ihnen mehr Gestaltungsspielraum eingeräumt", erklärt Zirm. Vor allem erfahrene Entwickler tauschten sich mit den jungen Kollegen aus, die einmal ihre Aufgaben übernehmen sollen. "Wir haben Ende der 80er Jahre Mitarbeiter eingestellt, von denen viele noch für uns arbeiten. Deshalb wird uns der Wissenstransfer in den kommenden Jahren beschäftigen", sagt Zirm.

Weiterbildung - ein Nadelöhr

Gerade die berufliche Weiterbildung gilt als Nadelöhr. Unternehmen investieren in ihre Mitarbeiter vor allem zu Beginn ihres Berufslebens. Statistiken belegen, dass sich Menschen ab 45 Jahren deutlich seltener fortbilden. "Hier müssen viele Unternehmen ihre Weiterbildungskonzepte überdenken. Aber auch die didaktischen Ansätze und Inhalte sollten für die Zielgruppe der über 45-Jährigen anders aussehen. Viele dieser erfahrenen IT-Fachkräfte wünschen sich in den Weiterbildungen einen stärkeren Bezug zu ihrem Berufsalltag", so Bitkom-Mann Schmidt.

Auch die Hamburger Info AG beteiligte sich am Projekt IT 50plus. Axel Fischer arbeitet dort als Gruppenleiter im SAP-Umfeld. "Mich haben vor allem die Weiterbildungsmöglichkeiten interessiert", erzählt Fischer. Der 51-Jährige absolvierte im vergangenen Jahr einen Workshop, um seine Präsentationstechnik zu verbessern. Ein externer Lerncoach hat ihn dabei unterstützt.

In einem weiteren Projekt engagierte sich der Berufserfahrene selbst als Coach für jüngere Kollegen. "Es ist wichtig, sein Wissen an Jüngere weiterzugeben und auf diese Weise voneinander zu lernen", sagt Fischer. Inzwischen sind die Pilotprojekte bei der Info AG abgeschlossen, doch das Unternehmen erarbeitet weitere Konzepte. Auf seiner Homepage spricht es gezielt ältere Fachkräfte an, sich zu bewerben.

Es lohnt sich, in Mitarbeiter über 45 zu investieren

Gerhard Wächter, Integrata: "Leider ist die Bereitschaft im Management noch nicht überall vorhanden, in die Weiterbildung von Älteren zu investieren."

Gerhard Wächter, Vorstand des Bildungsanbieters Integrata in Stuttgart, versucht seit einigen Jahren, Unternehmen davon zu überzeugen, sich mit den Aufgaben zu beschäftigen, die sich angesichts einer alternden Belegschaft stellen. Im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE erläutert er, welche Lösungen sich bereits jetzt anbieten.

CW: Alt zu werden ist schon schwer genug, aber in der jugendorientierten IT-Branche scheint es noch schwieriger zu sein. Wie sollten Unternehmen das Thema angehen?

WÄCHTER: Eine Altersstrukturanalyse ist meistens ein guter Einstieg. Aufgrund der Ergebnisse lassen sich Ziele formulieren. Idealerweise betrachten Firmen Demografie-Management, Gesundheitsvorsorge, Employer-Branding und Qualifizierung als Teil ihrer Unternehmensstrategie. Zukünftig werden aufgrund des Fachkräftemangels viele IT-Unternehmen auch darüber nachdenken müssen, ältere Mitarbeiter einzustellen und gleichzeitig die Arbeitsleistung ihrer Beschäftigten so lange wie möglich zu erhalten.

CW: Gesundheits- und Demografie-Management sind schöne Begriffe. Doch welche konkreten Konzepte verbergen sich dahinter?

WÄCHTER: Unternehmen können beispielsweise Arbeitsprozesse altersgerecht gestalten oder junge und ältere Kollegen gemeinsam in einem Team arbeiten lassen. Ein wichtiger Aspekt ist die Aus- und Weiterbildung. Großrechner verschwinden nicht, nur weil die Menschen, die sie bedienen können, in den Ruhestand gehen. Deshalb sollten Unternehmen zügig beginnen, Ausbildungsreihen für junge Mitarbeiter zu konzipieren, um den Wissenstransfer sicherzustellen.

CW: Wie groß ist das Interesse von Managern, die ja oft selbst zur Gruppe der älteren Beschäftigten gehören, in die Weiterbildung von Älteren zu investieren?

WÄCHTER: Leider ist die Bereitschaft im Management noch nicht überall vorhanden. In vielen Köpfen existiert noch die Vorstellung, es lohne sich nicht, in Mitarbeiter über 45 Jahren zu investieren, weil sie sowieso bald in den Ruhestand gehen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die meisten Menschen müssen bis Mitte 60 arbeiten. Dagegen nehmen viele Beschäftigte ihre Weiterbildung in die Hand. Ich beobachte immer wieder, dass viele über 50-Jährige noch einmal ihr Leben umkrempeln und eine zweite Karriere starten. Viele suchen auch im Unternehmen neue Perspektiven.

CW: Bieten die Firmen diesen Mitarbeitern überhaupt neue Jobs an?

WÄCHTER: Die Initiative dazu muss vom Arbeitnehmer ausgehen. Wenn jemand beispielsweise 20 Jahre in der Softwareentwicklung gearbeitet hat und jetzt in das Qualitäts-Management gehen möchte, bietet das auch für den Arbeitgeber Chancen, einen erfahrenen Mitarbeiter dort einzusetzen. Gerade die dynamische und schnelle technische Weiterentwicklung in der IT-Branche bietet beste Voraussetzungen, neue Karrierewege einzuschlagen. (hk)

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