Netzpolitik des Staates

Die 14 Internet-Thesen des Innenministers

28.06.2010 von Johannes Klostermeier
Mit einer Grundsatzrede hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière "14 Thesen zu den Grundlagen einer gemeinsamen Netzpolitik der Zukunft“ vorgestellt. Die Diskussion darüber soll jetzt beginnen

De Maizière will mit seinen 14 Thesen (PDF) nichts weniger als „die Grundlagen für die Rolle des Staates bei der weiteren Ausgestaltung des Internet" formulieren. „Die Politik hat das Phänomen Internet erst ignoriert, dann bestaunt und teils zu zögernd, teils zu forsch gehandelt", stellte de Maizière fest. Das soll jetzt anders werden. Der Innenminister entwirft so etwas wie eine konservative Netzpolitik - und er beschäftigt sich immerhin, anders als sein Amtsvorgänger, mit dem Internet nicht nur unter dem Sicherheitsaspekt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Übersicht und sachliche Gelassenheit seien nun ebenso gefragt wie die nötige Entschlossenheit, klaren Risiken und Fehlentwicklungen entgegenzutreten, so de Maizière. In seiner Rede sprach er über „die Chancen des Internet und die Freiheitsausübung des Einzelnen". Auch das Internet solle sich an den "Werten der Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, des gegenseitigen Respekts und der Rücksichtnahme sowie der Chancengleichheit und Solidarität orientieren" (These 1 - "Bewusstsein für gemeinsame Werte schärfen"). Der Minister betonte, bei der Gestaltung der Ordnung im Netz auf bestehendes Recht und Selbstregulierungskräfte zurückgreifen zu wollen (These 2 - "Rechtsordnung mit Augenmaß weiterentwickeln")

Zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre auch das Recht, Informationen über sich und andere zu verarbeiten. (These 3 - "Freie Entfaltung im Netz und Ausgleich zwischen kollidierenden Freiheitsrechten Privater ermöglichen"). Ein solches Recht auf persönliche Datenverarbeitung könne aber mit den Freiheiten anderer kollidieren und müsse dann zu einem Interessenausgleich gebracht werden, so der Innenminister. Der Staat sollte hierfür in erster Linie zivilrechtliche Regeln zur Verfügung stellen und das Gebot der Rücksichtnahme stärken. Für den Ausgleich zwischen den Freiheitsrechten Einzelner sollten zuerst soziale Regeln entwickelt werden.

De Maizière hob außerdem den Schutz der informationellen Selbstbestimmung gegenüber Unternehmen und dem Staat hervor: Der Einzelne müsse die Kontrolle über seine Daten behalten (These 4 - "Selbstbestimmung und Eigenverantwortung stärken"). Das Recht auf Auskunft über oder Widerspruch gegen Datenspeicherung solle online vereinfacht werden. Hierzu seien sichere elektronische Identitäten (These 5- Anonymität und Identifizierbarkeit abwägen") ebenso wichtig wie mehr Möglichkeiten, die bestehenden Datenschutzrechte „per Mausklick" ausüben zu können. Zudem brauche der Einzelne eine wirkliche Verfügungsmacht über seinen eigenen „virtuellen Hausrat". Er müsse zum Beispiel seine Daten in einem sozialen Netzwerk mitnehmen können, wenn er den Anbieter wechsele.

Nicht nur der Staat hat Verantwortung für die Sicherheit des Internet

Die Verantwortung für die Sicherheit des Internet sieht de Maizière nicht allein beim Staat. Auch Nutzer und Unternehmen müssten hierzu ihren Beitrag leisten (These 6 - Verantwortung zwischen Anbietern und Nutzern gerecht aufteilen"). Für Provider schloss de Maizière eine Haftung für die Verkehrssicherheit ihrer Angebote nicht aus. Eine inhaltliche Kontrolle durch die Anbieter lehnte er ab. Eine starke und innovative nationale IT-Wirtschaft sei für die Schaffung von Arbeitsplätzen ebenso wichtig wie für die technologische Souveränität und Sicherheit unseres Landes, sagte de Maizière.

Der Staat werde seine Angebote im Internet systematisch ausbauen. Im Mittelpunkt müsse der Nutzen für möglichst viele Bürger stehen. Kernaufgaben des Staates wie der Kultur- und Bildungsauftrag müssten dabei ebenso angemessen berücksichtigt werden wie die Möglichkeiten politischer Willensbildung über das Internet (These 7 - "Staatliche Grundversorgung sicherstellen"). Der Bundesinnenminister geht dabei voran: Seine Thesen für eine gemeinsame Netzpolitik der Zukunft können ab sofort online erörtert werden. Auf www.e-konsultation.de/netzpolitik haben alle Bürger einen Monat lang die Möglichkeit, sich in die Diskussion einzubringen und eigene Vorschläge zu machen (These 12 - "Online-Angebote nutzerorientiert und kostengerecht ausbauen").

Der Higtech-Interessenverband Bitkom bewertete die Thesen und den Netz-Dialog mit Bundesregierung in einer ersten Stellungnahme positiv. „De Maizière legt hiermit die umfassendste und breiteste Einschätzung zur Internetpolitik vor, die von der Bundesregierung bislang zu sehen war“, freut sich Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer. Er betont insbesondere, dass de Maizière dabei „auf populistische Effekthascherei und die ansonsten beliebte Schelte einzelner Internet-Firmen“ verzichtet.

„De Maizière sucht offensichtlich den breiten gesellschaftlichen Konsens zu den Kernfragen des Internet. So selbstverständlich dies sein sollte, es ist nach den politischen Fehlversuchen und fragwürdigen Einzelaktionen der letzten Monate im Ansatz neu und verdient schon deshalb besondere Beachtung und Lob.“ Scheer forderte die verschiedenen, innerhalb der Bundesregierung mit Internetthemen befassten Ministerien auf, die Thesen des Bundesinnenministers aufzugreifen: „Internetpolitik darf nicht länger ein Spielfeld zur parteipolitischen Taktiererei und kurzfristigen Profilierung einzelner Personen sein. Wir brauchen einen strategischen Ansatz und den Schulterschluss zwischen den Ministerien - einen echten Neubeginn in der Internetpolitik.“

Die Thesen müssten nun weiter ausgebaut und konkretisiert werden. „Die konkrete Ausgestaltung der Thesen wird zum Lackmustest für die Hightech-Politik der Bundesregierung“, sagte Scheer.
IT und Internet sind aus Sicht des Bitkom der Schlüssel zu großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Bildung, Energieversorgung, Gesundheit und Sicherheit. „Wir brauchen eine Hightech-Politik aus einem Guss, und hierbei werden die Thesen des Innenministers helfen“, sagte Scheer.

Der Bitkom plädiere in diesem Sinne für eine stärkere Koordinierung der Hightech-Politik: „Heute regeln oft mehrere Gesetze dieselben Themen, und zahlreiche Gremien und Ministerien arbeiten an den gleichen Fragen der digitalen Zukunft. Wir brauchen einen einheitlichen Ansatz.“ Nötig sei unter anderem eine Anpassung des und Medien- und Datenschutzrechts an die Web-2.0-Ära.

Bitkom wünscht sich stärkere Debatte um Freiheit und Sicherheit des Internet

Scheer forderte eine Fortsetzung der Debatte um Freiheit und Sicherheit, Anonymität und Verantwortung im Web: „Themen wie Internet-Sperren, Überwachung und Urheberrecht müssen öffentlich breiter diskutiert werden. Der Zuspruch für die Piratenpartei hat gezeigt, dass es an Kompetenzvertrauen in die etablierten Parteien fehlt.“

In einer Umfrage des Bitkom hatten sich 60 Prozent der Deutschen gewünscht, dass die Internetpolitik in dieser Legislaturperiode ein wichtiges Thema sein soll. Es waren aber nur 44 Prozent der Ansicht, dass es in der Politik genügend Sachkenntnis über die technischen und wirtschaftlichen Hintergründe des Internets gibt. „Jetzt haben die Parteien Gelegenheit, bei den Nutzern Vertrauen zurückgewinnen“, sagte Scheer.

Zudem fordert der Bitkom eine Infrastruktur-Initiative. Scheer: „Intelligente Netze sind die Voraussetzung, um Energieversorgung und Mobilität zu sichern, den Klimawandel zu stoppen, Bildung und Gesundheitswesen zu modernisieren und den Bürokratie-Abbau zu beschleunigen.“

Die Modernisierung der Infrastruktur müsse von Wirtschaft und Politik gemeinsam angepackt werden - nach dem Vorbild der Breitband-Initiative. „Wir brauchen klare Ziele, einen Zeitplan und Maßnahmenpakete. Deutschland muss Pionier werden beim Aufbau intelligenter Netze für Verkehr, Gesundheit, Energie, E-Government und Bildung.“ Netzpolitik bestehe nicht nur aus Rechts- und Verbraucherfragen, sondern sei auch Wirtschaftspolitik. „Es geht um die Frage, wie Deutschland als Internet-Standort langfristig attraktiv wird.“

Weiterer Link: Online-Konsultationen zur Netzpolitik