Dem Burnout zuvorkommen

Die 120-Stunden-Arbeitswoche

15.08.2011 von Andrea König
Andauernde Überlastung im Job kann zum Burnout führen. Was Einzelpersonen und Unternehmen tun können, erklärt Gesundheitsreferent Robert Jacobsen von den Heiligenfeld Kliniken.

CIO: Wie oft kommt es vor, dass IT-Führungskräfte von Burnout betroffen sind?

Robert Jacobsen ist Gesundheitsreferenzt der Heiligenfeld Kliniken.
Foto: Heiligenfeld Kliniken

Jacobsen: Führungs- und Fachkräfte aus dem IT-Bereich machen einen relevanten Teil der Patienten in den Heiligenfeld Kliniken aus. Laut einer aktuellen Studie leiden IT-Fachkräfte bis zu viermal häufiger als der Durchschnitt der deutschen Beschäftigten unter Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, Schlafstörungen und Magen-Darm-Problemen. Diese Beschwerden können Frühindikatoren für Burn-out sein.

CIO: Gibt es klassische Probleme, mit denen IT-Experten zu Ihnen kommen?

Jacobsen: Viele Fach- und Führungskräfte aus der IT haben im Beruf mit sehr komplexen Aufgabenstellungen zu tun. Wenn sie ein Projekt bearbeiten, verändern sich oft die Anforderungen und es kommen Zusatzaufträge hinzu. Häufig herrscht in diesem Bereich ein hoher Zeitdruck und die Arbeitszeiten sind sehr lang. Oft muss auch am Wochenende gearbeitet werden. Wir hatten in den Kliniken Heiligenfeld einmal einen Patienten aus dieser Branche, der berichtet hat, dass er bis dahin mehr als 120 Stunden pro Woche gearbeitet hat.

CIO: Welche weiteren Probleme sind IT-typisch?

Jacobsen: Viele Mitarbeiter können keine regelmäßigen Pausen machen, sie erleben keine zeitliche Trennung mehr zwischen Arbeit und Privatleben, auch wegen der permanenten Verfügbarkeitserwartung. Dazu kommt, dass zahlreiche ITler in Projekten arbeiten, bei denen sie häufig mit länger andauernden Belastungs- oder Stressphasen konfrontiert sind, verbunden mit hoher Leistungserwartung und starkem Konkurrenzdruck. Auch wenn man berufsbedingt viel reist, stellt das einen Belastungsfaktor dar. Nicht zuletzt ist der IT-Bereich durch einen sehr hohen Fortbildungsbedarf gekennzeichnet. Man muss immer auf dem neuesten Stand bleiben.

CIO: Woran merke ich überhaupt, dass ich Burn-out-gefährdet bin?

Kennzeichen, die auf Burn-out hindeuten können:

- hohe Gereiztheit

- Schlafstörungen

- Niedergeschlagenheit

- Erschöpfung

- Herz-Kreislauf-Probleme

- Desinteresse an Sozialkontakten

- Rückzug aus dem Privatleben

- diffuse Ängste

- Perfektionsstreben

Jacobsen: Das Burnout-Syndrom kann zu vielen verschiedenen Beschwerden führen, aber nicht alle Symptome kommen bei allen Betroffenen vor. Bestimmte Kennzeichen können auf eine Burnout-Gefährdung hindeuten: Dazu zählen hohe Gereiztheit, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, Erschöpfung und Herz-Kreislauf-Probleme. Auch ein Desinteresse an Sozialkontakten, ein Rückzug aus dem Privatleben, diffuse Ängste und Perfektionsstreben zählen dazu, aber dies ist keine vollständige Liste. Für eine erste Selbsteinschätzung gibt es Tests, die man durchführen kann.

Wer abschaltet, arbeitet besser
Typ1: Wer ermüdet ist,
braucht Regeneration im Urlaub.
Typ 2: Wem die Routine im Berufsalltag stresst,
sollte für Abwechslung im Urlaub sorgen.
Typ3: Wer unter Stress leidet,
braucht dringend Entspannung.
Typ 4: Wer Frust und Ärger im Job verspürt,
braucht in seiner Auszeit Erfolgserlebnisse.
Zeit für sich allein
Menschen, die nur noch für ihren Job brennen, wissen nicht, was ihnen guttut. Deswegen kann es hilfreich sein, vor dem Sommerurlaub mit der Familie ein paar Tage nur für sich zu haben. Wenn das nicht geht: Zeiten vereinbaren, in denen man sich zurückziehen kann. Spazieren gehen, in der Sonne liegen, über den Wochenmarkt streifen.
Ein medizinischer Check-Up...
sollte folgende Fragen klären: Stimmen die Blutwerte, wie hoch ist das Herzinfarktrisiko, was machen die inneren Organe und der Stoffwechsel? Stimmt das biologische mit dem tatsächlichen Alter überein? Wie hoch sind der Stresspegel und die mentale Leistungsfähigkeit? Was machen der Rücken und die körperliche Flexibilität?
Welche Nährstoffe....
fehlen dem Körper? Welcher Sport ist ideal?
Nach dem Urlaub weitermachen
Mit der Familie frühstücken, meditieren oder eine Runde um den Block laufen - wer sich morgens positiv auf den Tag einstimmt, hat nicht das Gefühl, von früh bis spät fremdgesteuert zu sein, und bleibt nach dem Urlaub länger gelassen.
Zeitfresser enttarnen
Wer täglich zwei Stunden mit Kollegentalk, Netzwerken auf Xing und E-Mails beantworten befasst ist, sollte genau hinschauen: Was davon bringt mich wirklich weiter? Wie viele Personen müssen wirklich auf cc gesetzt werden?
Neuer Umgang mit E-Mails
Übung: Mails nur alle drei Stunden und nicht alle 15 Minuten abfragen und beantworten.
Finger weg vom Mountainbike
Wer erschöpft und gestresst ist, sollte nicht mit dem Mountainbike über die Alpen preschen.

CIO: Wie aussagekräftig ist so ein Test?

Jacobsen: Ein solcher Test kann aber nur ein erster Indikator sein, für eine gesicherte Diagnose sollte immer ein Facharzt oder Psychologe hinzugezogen werden.

Worauf man während der Arbeit achten muss

CIO: Kann man selbst gegensteuern, wenn man betroffen ist?

In der Parkklinik der Heiligenfeld Kliniken gibt es eine Gruppe speziell für betroffene Führungskräfte.
Foto: Heiligenfeld Kliniken

Jacobsen: Es gibt da ganz unterschiedliche Erfahrungen. Viele Patienten kommen mit einer vier- bis siebenjährigen Vorgeschichte zu uns. Da bahnt sich ein schleichender, andauernder Überlastungsprozess über einen längeren Zeitraum an. Ob man dem gegensteuern kann, hängt sehr stark von der Selbstwahrnehmung und der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ab. Eine Überlastung an sich selber zu registrieren ist eine wesentliche Grundvoraussetzung dafür, mit entsprechenden Schritten gegensteuern zu können.

CIO: Was für Schritte sind das?

Jacobsen: Da gibt es kein Patentrezept, aber es gibt eine Reihe von Punkten, die man benennen kann. Wesentlich ist es zum Beispiel, im Alltag mehrmals täglich kleine Pausen zu machen. Es ist erwiesen, dass nach acht, neun oder zehn Stunden Arbeit die Aufmerksamkeit und Konzentration und damit auch die Leistungsfähigkeit sinken.

CIO: Worauf muss man noch während der Arbeit achten?

Jacobsen: Man sollte die Arbeit so organisieren, dass man möglichst längere Zeit unterbrechungsfrei an einer Aufgabe arbeiten kann und nicht immer wieder von einer Aufgabe zur nächsten zu springt. Dies erfordert auch eine Fähigkeit, Grenzen zu setzen und einen klaren Umgang mit "Ad Hoc-Anfragen" zu entwickeln. Hier ist also eine gute Selbstführungskompetenz erforderlich, die im Therapiekonzept der Heiligenfeld Kliniken eine zentrale Rolle einnimmt. Überlastungen lassen sich im IT-Bereich in der Regel aber nur schwer vermeiden. Deshalb sind IT-Experten wirklich gefordert, für arbeitsfreie Zeitfenster zu sorgen und darin Regenerationsquellen außerhalb der Arbeit zu finden.

CIO: Was kann das sein?

Jacobsen: Das kann zum Beispiel das Aktivieren oder Reaktivieren von sozialen Kontakten sein oder auch ein regelmäßiges Hobby. Hilfreich kann es zum Beispiel sein, ein bis zwei feste private Abendtermine in der Woche zu haben, etwa das Volleyballtraining am Mittwoch sollte dann genauso wichtig sein wie berufliche Termine. Alles was einem Spaß macht oder früher einmal Spaß gemacht hat, ist dazu geeignet. Solche aktiven positiven außerberuflichen Tätigkeiten helfen dabei, wieder ein Stück weit zu regenerieren. Auch Entspannungsübungen wie zum Beispiel autogenes Training, Yoga und Qi Gong können Regeneration wirksam unterstützen.

CIO: Welche Rolle spielen Unternehmen?

Alles wird zuviel, wenn die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verschwimmen.
Foto: Peter Atkins - Fotolia.com

Jacobsen: Im Rahmen einer aktuellen Studie wurde eine Umfrage unter IT-Spezialisten durchgeführt, bei denen nur 37 Prozent der Antwortgeber sagten, dass sie glauben, ihre Tätigkeit auf Dauer durchhalten zu können. Unternehmen sollten aber ein Interesse an nachhaltiger Mitarbeitergesundheit haben, damit ihnen wertvolle Mitarbeiter längerfristig zur Verfügung stehen. Dazu kommen die Auswirkungen des demographischen Wandels: Laut der gleichen Studie ist der Anteil der über 50-Jährigen in den Unternehmen in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Wenn Unternehmen den entsprechenden Handlungsbedarf erkennen, können Sie Mitarbeitergesundheit mit bestimmten Maßnahmen fördern.

Was Unternehmen gegen Burnout tun können

CIO: Welche Maßnahmen sind das?

Jacobsen: Dazu gehören zum Beispiel verbindliche Arbeitszeitregelungen, feste Pausenzeiten und eine funktionierende innerbetriebliche Kommunikation. ITler die viel in Projekten arbeiten, fühlen sich häufig nicht ins Team eingebunden. Hier können Firmen für Austauschmöglichkeiten über berufliche Herausforderungen sorgen. Unternehmen können außerdem Schulungen in Stressmanagement anbieten. Letztendlich ist ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement gefragt.

CIO: Gibt es spezielle Maßnahmen für Führungskräfte?

Jacobsen: Ja, es gibt zum Beispiel Weiterbildungen in denen man lernt, Symptome zu erkennen und wie man mit psychisch belasteten Mitarbeitern adäquat umgehen kann. Auch hier spielt die Selbstführungskompetenz eine wesentliche Rolle, denn sie ist eine sehr wichtige Voraussetzung für die Führung von Mitarbeitern.

Robert Jacobsen ist Gesundheitsreferent bei den Heiligenfeld Kliniken. Die Heiligenfeld Kliniken in Bad Kissingen sind eine Klinikgruppe mit dem Schwerpunkt psychosomatischer Behandlung. Die Kliniken beschäftigen über 600 Mitarbeiter und zeichnen sich durch eine werteorientierte Unternehmensphilosophie aus, die neben wirtschaftlichen Werten auch humanistische, soziale, ökologische und spirituelle Werte einbezieht. Die Heiligenfeld Kliniken sind unter anderem auf die Therapie von Burn-out und Depressionen spezialisiert. www.heiligenfeld.de

Richtig Urlaub machen
Wie man richtig Urlaub macht
Die Autorin Judith-Maria Gillies hat fünf Wahrheiten und Tipps zum Thema Urlaub zusammengestellt: wie lange man wegfahren sollte und wohin und wie man sich richtig erholt . . .
1. Woran merke ich, dass ich urlaubsreif bin?
An Gereiztheit, Ungeduld, Aktionismus. Außerdem mehren sich meist die Flüchtigkeitsfehler. Die Ursache dafür liegt darin, dass Körper und Seele in solchen Phasen dauernd hochtourig fahren. Das klappt auf Dauer nicht. Abschalten ist nötig.
2. Wie lange sollte ich wegfahren?
Damit die Erholung wirklich eintritt: mindestens drei Wochen am Stück. Die meisten Angestellten glauben, dass sie sich das nicht erlauben können. Dahinter steckt häufig die Furcht, ohne die Arbeit nicht leben zu können oder sich einzugestehen, dass jeder am Arbeitsplatz ersetzbar ist. Trotzdem: Erholung ist wichtig - ganz besonders in Stressjobs.
3. Welcher Urlaub ist die beste?
Einer, bei dem Körper und Seele wieder auf ein normales Aktivitätsniveau runterkommen. Egal, ob man Strandurlaub macht, wandern geht oder Städte besichtigt: Für die Erholung ist es wichtig, die freien Tage nicht mit Aktivitäten zu überfrachten. Denn diese sollen unbewusst meist nur davon ablenken, sich mit der Ruhe auseinandersetzen. Und die ist wichtig - egal ob am Strand, in den Bergen oder in der Stadt.
4. Woran merke ich, dass ich mich erholt habe?
Am Ende des Urlaubs sollte man das Gefühl haben, komplett weg gewesen zu sein. Wer sich dann auch zu Hause in Ruhe wohl fühlt und nicht gleich Rechner, Handy oder Fernseher anschalten muss . . . und vielleicht statt dessen ein Buch zur Hand nimmt, der hat sich erholt.
5. Und wenn ich wirklich nicht weg kann?
Ein Kurztrip übers Wochenende ist besser als nichts - auch wenn so schnell keine Erholung aufkommt. Wer normalerweise von morgens bis abends vor dem Rechner sitzt, bereichert sein Leben, wenn er mal ein paar Tage lang etwas unternimmt, was ansonsten zu kurz kommt - mit den Kindern spielen etwa, mit Kumpels Motorrad fahren oder ins Musical gehen. So gewinnt man mehr Lebensqualität und eine kleine Auszeit für die Seele.

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* Dieses Interview erschien zuerst in unserer Schwesterpublikation CIO.