DGB: Profitstreben darf nicht alleiniger Maßstab der Tehnikentwicklung sein

07.07.1989

Gustav Fehrenbach, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Forschungs- und Technologiepolitik ist in der Bundesrepublik längst von hoher Bedeutung; im kommenden Europa wird sie zunehmend wichtiger. Eine wesentliche Rolle werden dabei die Hochschulen haben, und damit wird auch die Kooperation zwischen Hochschulen und Gewerkschaften an Bedeutung zunehmen.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind durch die Auswirkungen von Wissenschaft und Forschung an ihrem Arbeitsplatz direkt betroffen. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf betriebliche und außerbetriebliche Lebenszusammenhänge. Nach unserer Auffassung können diese Veränderungen nur dann sozial verträglich gestaltet werden, wenn sie Gegenstand der Forschung sind und zu entsprechenden Lösungen geführt werden.

Wir wollen nicht, daß ökonomische Rationalität das einzige Kriterium ist, nach dem Entwicklungen gesteuert werden, daß Profitstreben alleiniger Maßstab der technologischen Entwicklung ist. Vielmehr fordern die Gewerkschaften, daß die wissenschaftliche und technische Entwicklung dem Menschen zu dienen hat und Wissenschaft sich deshalb ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewußt sein muß.

Wissenschaftler vernachlässigen noch immer weitgehend die von ihren Forschungsergebnissen betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einem Maße, als handele es sich um Wesen von einem anderen Stern. Hierfür sind sicherlich die Sozialisationsbedingungen von Wissenschaftlern ein wesentlicher Grund.

Sie werden während ihrer Zeit an der Hochschule weder mit den Problemen der beruflichen Praxis noch mit den gesellschaftlichen Anforderungen des eigenen Forschungsbereiches ausreichend vertraut gemacht.

Wir haben versucht, durch unsere Beteiligung an der Studienreform daran etwas zu ändern, indem wir auf eine stärkere Einbeziehung der Praxis und der betrieblichen Realität in Studium und Lehre gedrängt haben. Es ist allerdings zu befürchten, daß das bescheidene Ergebnis dieser Bemühungen nicht ausreichen wird. Um so wichtiger werden ergänzende Bemühungen der "Kooperationsstellen Hochschule/Gewerkschaft", die Kluft zwischen Hochschule und Arbeitswelt zu überbrücken, die Gewerkschaften und Arbeitnehmer dazu zu bringen, mit ihren Problemen an die Hochschule heranzutreten.

Es geht uns mit der Forderung nach Einrichtung von Kooperationsstellen aber auch darum, die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft zu stärken. Es geht also um die praktische Mitwirkung der Hochschulen an der Bewältigung des sozialen und technologischen Wandels, an dem Abbau von gesundheitlichen Risiken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und um deren Interessen an der Sicherung ihrer Einkommen und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Eine Wissenschaft, die diese Problemstellungen in ihrer Arbeit aufnimmt, wird meines Erachtens damit nicht unwissenschaftlich, sondern sie erhält erst durch die Berücksichtigung der vollen sozialen Realität dieser Gesellschaft einen umfassenden wissenschaftlichen Wert. Bei all dem liegt der Nutzen für die Hochschulseite auch darin, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dem Wissenschafts- und Forschungsprozeß aufgrund ihrer alltäglichen und reichen Erfahrungen in Betrieben und Verwaltungen neue Fragestellungen und Lösungsansätze aufzeigen können. Bei den andererseits vielfach vorhandenen Kooperationen zwischen Hochschulen und Arbeitgebern, "Hochschule/Wirtschaft" genannt, darf man die Einbringung der gleichen Probleme wohl kaum unterstellen. Dabei liegt doch aber gerade ein gravierendes Problem der Hochschulen darin, daß ihre Indienstnahme durch privatwirtschaftliche Interessen eine gewohnheitsmäßige Selbstverständlichkeit ist.

Nun haben wir nichts gegen die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, wir stellen nur die wesentliche Frage, ob es wohl richtig ist, daß Forschung und Entwicklung nur einseitig von den Interessen der Unternehmensleitungen bestimmt werden, und wir fragen, ob es nicht besser wäre, mit öffentlichen Mitteln nur eine Forschung zu unterstützen, die sich stärker an sozial- und umweltverträglichen Kriterien orientiert, an deren Zielformulierung alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind.

Denn es waren immer wieder die Gewerkschaften, die auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung gedrungen haben, weil für uns die Freiheit der Wissenschaft und Forschung erforderlich ist, damit wissenschaftliche Erkenntnis möglich wird und sich nicht Interessen unterordnet. Deshalb muß Wissenschaft auch unbequeme Ergebnisse produzieren dürfen und darf nicht den Mächtigen nach dem Munde reden.

Neue Erkenntnisse sind oft gegen die etablierten Lehrmeinungen und gegen die Machtinteressen entstanden. Aufklärung ist damit immer Befreiung aus Unmündigkeit. Die Forderung nach Freiheit von Wissenschaft und Forschung entläßt aber Wissenschaft nun nicht wiederum in den Elfenbeinturm. Denn der von den Gewerkschaften geforderte Praxisbezug der Hochschule heißt auch, daß die Hochschule sich allen Bedürfnissen und Anforderungen in ihrem regionalen Umfeld öffnen muß und als öffentliche Institution für alle einen Beitrag zur Entwicklung der Region zu leisten hat.

Regionalität bedeutet nicht Provinzialität, sondern Eingehen auf die besonderen Bedürfnisse in der jeweiligen Region. Gerade für die Entwicklung einer regionalen Forschungs- und Technologiepolitik könnte die Hochschule in einem solchen Konzept eine wichtige Aufgabe übernehmen, nämlich den Dialog zwischen allen Gruppen in der Region einzuleiten und zu organisieren, für eine gemeinsame Strategie zur Entwicklung und Förderung der Region, für die Nutzung ihrer Möglichkeiten, für die Sicherung von Arbeitsplätzen, für einen vernünftigen Umgang mit der Umwelt und für eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen.

Diese Beschreibung macht auch deutlich, daß es sich bei der Kooperationsaufgabe um eine Maßnahme handelt, die zu Recht darauf pocht, öffentlich gefördert und dauerhaft unterstützt zu werden. In diesem Sinn hat der DGB mit allen Bundesländern, in denen bisher Modelle von Kooperationsstellen angesiedelt sind, Gespräche und Verhandlungen geführt, um die Kooperationsstellen zu einer Dauereinrichtung zu machen. Das bisherige Ergebnis ist nicht zufriedenstellend. Aber ich glaube, auf die Dauer werden die Länder nicht immer ausweichen können. Ihrer wohlwollenden Unterstützung der Kooperation zwischen Wirtschaft und Hochschule muß über kurz oder lang eine Unterstützung der Kooperation Hochschule/Gewerkschaften folgen.

Mit der Schaffung des Europäischen Binnenmarktes muß diese Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Hochschulen noch intensiviert und die Zahl der entsprechenden Kooperationsstellen vergrößert werden.