AWS Summit Berlin 2015

Deutschland ist auf Public Cloud Kurs

03.07.2015 von René Büst
Ohne Public Cloud werden sich die meisten deutschen Unternehmen schwer tun, im Zukunftsmarkt Internet of Things (IoT) ein Wörtchen mitzureden, und die eigene digitale Transformation anzustoßen. Das ist scheinbar nun auch in so manchen deutschen Chefetagen angekommen. Zumindest war der AWS Summit Berlin 2015 dafür ein guter Indikator.

Es ist der 7. Oktober 2010, Amazon CTO Werner Vogels begrüßt 150 Entwickler in der Kalkscheune in Berlin. Familiäre Atmosphäre, keine Partner, keine Stände, ein paar Häppchen und Drinks. Es ist das erste AWS Cloud Computing Event in Berlin und damit quasi der erste AWS Summit in Deutschland überhaupt. Sprecher von Moviepilot, Cellular, Plinga und Schnee von Morgen berichten von ihren Erfahrungen mit den Amazon Web Services.

Die Ruhe vor dem Sturm - bevor über 2.000 Besucher das Auditorium im CityCube in Berlin betraten.
Foto: René Büst

Am 30. Juni 2015, knapp fünf Jahre später, steht Werner Vogels erneut auf der Bühne, wieder in Berlin, dieses Mal im CityCube, vor über 2.000 Teilnehmern, vor Entwicklern und Unternehmensentscheidern. Große Stände, Konferenzessen, 32 Partner wie die Direkt Gruppe oder TrendMicro und 45 Vortragssessions über 9 Tracks verteilt. All das zeigt das enorme Wachstum des AWS Summit Berlin und spiegelt das Interesse deutscher Anwender an der Public Cloud und den Amazon Web Services (AWS) wider.

Einer der Wachstumsmotoren für AWS ist mittlerweile auch Deutschland. Die Cloud-Region in Frankfurt (bestehend aus zwei Rechenzentren), die AWS im Oktober 2014 eröffnet hat, ist nach Angaben von Geschäftsführer Martin Geier die am schnellsten wachsende AWS Region aller Zeiten und das nach nur einem halben Jahr.

Innovation: 1.170 neue Funktionen und Services in 7 Jahren

Das Wachstum im deutschen Markt steht sinnbildlich für das globale Wachstum. Nach eigenen Angaben verfügt AWS bereits über eine Million aktive Kunden unterschiedlicher Unternehmensgröße und aus verschiedenen Industrien. Davon über 3.600 Kunden aus dem Bildungssektor und über 11.200 gemeinnützige Organisationen.
Um in der deutschen Startup-Szene den Kundenstamm weiter auszubauen wurde Rocket Internet ins Boot geholt. Rocket hat sich dazu verpflichtet, allen künftigen Startups zu empfehlen, ihre Infrastrukturen und Applikationen bei AWS zu betreiben. Zudem wird bestehenden Startups ans Herz gelegt, darüber nachzudenken, zu AWS zu wechseln.

Als nächstes Zielkundensegment steht bei AWS der öffentliche Sektor hoch im Kurs. Hierfür wurde auf dem Summit erstmalig der "Public Sector"-Track präsentiert. Für AWS ein strategisch wichtiger Schritt. Sollte AWS einen Fuß in die Tür einer deutschen Regierungsbehörde bekommen, wäre das ein Präzedenzfall, der andere öffentliche Auftraggeber dazu ermutigen könnte zu folgen.

Das Wachstum auf der Kundenseite macht sich selbstverständlich auch auf technischer Ebene bemerkbar. Der Datentransfer des Object-Storage Services Amazon S3 ist im vergangenen Jahr um 102 Prozent angestiegen, die Nutzung von Amazon EC2 Instanzen (virtuelle) Maschinen um 93 Prozent.

Zudem verfügt AWS aktuell über 11 Cloud-Regionen, bestehend aus 30 Availability Zones (AZ). Eine Region besteht aus mindestens zwei AZs, eine AZ besteht aus einem oder mehreren Rechenzentren. Zudem existieren 53 Edge Locations, um die Daten an Kunden in den einzelnen Ländermärkten schneller auszuliefern. Die 12te Cloud-Region wird 2016 in Indien eröffnet.

Innovationsmaschine: In den vergangenen sieben Jahren hat AWS 1.170 neue Funktionen und Services veröffentlicht.
Foto: Crisp Research AG

Neben dem Vorteil als erster Infrastructure-as-a-Service (IaaS) Anbieter am Markt zu sein, sorgen insbesondere zwei Faktoren für den radikalen Vorsprung: das Service-Portfolio und die Innovationsgeschwindigkeit.

AWS steht für die Public Cloud, das hat der Anbieter und auch CTO Werner Vogels noch einmal deutlich gemacht. Die Private Cloud hat in der AWS-Welt keinen Platz. Die Hybrid Cloud wird lediglich als Reise betrachtet aber nicht als das endgültige Ziel.
Für Hybrid Cloud-Szenarien werden dem Kunden daher lediglich nur rudimentäre Lösungen und Services Amazon VPC und AWS Direct Connect bereitgestellt und dabei wird es voraussichtlich auch bleiben. Zu Kunden, die sich damit bereits angefreundet haben gehören unter anderem Netflix, Kempinski Hotels, GPT, University of Notre Dame, Emdeon, Intuit, Infor, Splunk, Tibco und Informatica. Alles Unternehmen, die mit ihrer IT "All-in" in die Public Cloud gegangen sind.

Unternehmenskunden entdecken die Public Cloud

Unternehmen jeder Größe können von der Public Cloud profitieren. Startups haben den Vorteil dort auf der grünen Wiese zu starten und schleppen keine Legacy mit sich. Sie können dort langsam wachsen, ohne von Beginn an massiv in IT-Ressourcen zu investieren. Bestehende Unternehmen benötigen in der heutigen Zeit insbesondere eines: Geschwindigkeit, um mit den sich schnell verändernden Marktbedingungen mithalten zu können. Eine Idee zu haben ist hierbei nur der Anfang. Meistens scheitert der schnelle Go-to-Market jedoch an der technischen Umsetzung auf Grund von nicht schnell genug zur Verfügung stehenden IT-Ressourcen sowie modernen Tools und Services, die bei der Entwicklung maßgeblich unterstützen können.

Nachdem AWS quasi das Who is Who der Startup-Szene zu seinen Kunden zählen darf, geht es nun verstärkt darum, immer mehr Unternehmenskunden auf die Infrastruktur zu lotsen. International stehen mit Unilever, Qantas, Dole, Netflix, Norvatis oder Nasdaq schon große Namen auf der Liste. In Deutschland wurde nach Talanx und Kärcher auf dem AWS Summit 2015 mit Audi nun auch mal ein richtiges Schwergewicht präsentiert.

Auszüge aus dem Bitkom Cloud Monitor 2015 (Teil 1)
Nutzung von Public-Cloud-Computing nach Branche
Die ITK-Branche hat die Nase beim Einsatz von Public Cloud-Lösungen vorn.
Aktuelle und geplante Nutzung von SaaS-Anwendungen in der Public Cloud
Die Telefonie aus der Cloud verspricht IT-Dienstleistern großes Geschäftspotenzial.
Nutzung von Public-Cloud-Computing nach Unternehmensgröße
Public Cloud Computing bleibt ein Nischenmarkt.

Audi

Audi hat sich im Rahmen seines neuen Mobilitätsprogramms "Audi on Demand" für AWS entschieden, um Kunden individuelle Dienste anzubieten. Gründe hierfür sind die Anforderungen an einen reibungslosen 24/7-Betrieb sowie die Möglichkeit der globalen Skalierbarkeit, um Kunden weltweit schnell zu erreichen und Daten in den einzelnen Ländermärkten lokal vorhalten zu können.
Hierfür setzt Audi auf eine Vielzahl von AWS-Services und -Funktionen, darunter Amazon Virtual Private Cloud, ein Multi Availability Zones Konzept und Amazon EC2. Ein entscheidendes Detail: Audi hat die Organisationsstruktur von einem hierarchischen hin zu einem vollvermaschten Modell transformiert, das um die IT herum aufgebaut wurde.

Zalando

Zalando hat sich von dem eigenen Rechenzentrum verabschiedet und die IT-Infrastruktur seines eCommerce-Shops in die AWS-Cloud überführt. Dies hat vor allem strategische Gründe, um die Innovation und Kreativität des Unternehmens zu fördern. Hierfür befähigt Zalando seine Mitarbeiter dazu, autonom zu agieren und darüber die notwendige IT-Infrastruktur schneller bereitzustellen als zuvor. Damit ist Zalando in der Lage seinen Kunden schneller neue Funktionen zu bieten.
Zalandos Beispiel zeigt jedoch, wie wichtig der kulturelle Wandel ist, wenn Innovation und Kreativität, unterstützt durch die Cloud, gefördert werden sollen. Hierzu orientiert sich das Unternehmen an etwas, das es selbst als "Radical Agility" bezeichnet. Dabei geht es unter anderem um die Organisation und Architektur, die es erforderlich macht, um den eigenen Teams die Möglichkeiten zu geben, mehr Platz und Freiraum zum Lernen zu geben und in diesem Zusammenhang den Mitarbeitern es zu erlauben Fehler zu machen. Schließlich ist es nur so möglich zu verstehen, wie massiv komplexe Applikationen entwickelt werden.

Zanox

In einem persönlichen Briefing berichtete Sascha Möllering, Lead Engineer bei der Zanox AG, von seinen Erfahrungen bei der Nutzung der AWS-Cloud. Möllering ist maßgeblich für den Aufbau der virtuellen IT-Infrastruktur und der Entwicklung des Backend-Service verantwortlich, der von dem Zanox Affiliate Marketing Netzwerk verwendet wird. Zanox betreibt eine Rechenzentrumsinfrastruktur in Berlin, um den europäischen Markt zu bedienen. Allerdings nimmt die Anzahl von Kunden in Brasilien immer weiter zu. Zanox ist somit auf eine globale Skalierbarkeit angewiesen, um die Kunden in dem Ländermarkt performant zu bedienen. Die Herausforderung besteht in der hohen Latenz, um Daten schnell genug auszuliefern. Dies ist zugleich der Hauptgrund, warum sich Zanox für AWS entschieden hat.

Über die Cloud-Region "Sao Paulo" stehen Zanox drei Availability Zones und vier Edge-Standorte in Brasilien zur Verfügung. Für diesen Zweck hat Möllering eine native Applikation für AWS entwickelt, sich dabei jedoch nur auf den Einsatz von Kern-Services konzentriert, um einen AWS-Service Lock-in bestmöglich zu verhindern. Denn auf die eigene Rechenzentrumsinfrastruktur in Berlin wird zunächst nicht verzichtet und AWS nur in einem hybriden Modell angebunden. Weiterhin hat Möllering für den AWS-Fehlerfall geplant und ein Multi-Region- beziehungsweise Multi-Cloud-Szenario berücksichtigt. Hierzu hat er ein eigenes Modul entwickelt, welches die APIs von Amazon Kinesis, dem Microsoft Azure Service Bus sowie Apache Kafka implementiert, um in keinem Fall den eingehenden Datenstrom und damit keine Daten zu verlieren."

Die Public Cloud ist in Deutschland angekommen

Der AWS Summit in Berlin war ein guter Indikator dafür, dass immer mehr deutsche Unternehmen die Public Cloud für sich entdecken. Gespräche mit Kunden, Partnern und Systemintegratoren zeigen eine positive Entwicklung. Mit Audi hat einer der führenden deutschen Autohersteller aus einer der ältesten Industrien gezeigt, dass er das Potenzial und die Notwendigkeit der Public Cloud erkannt hat.

Die Cloud - Arbeitsplatz der Zukunft
Die Cloud - Arbeitsplatz der Zukunft
Dem Cloud Worker gehört die Zukunft. Unter dem Begriff "Workspace-as-a-Service" werden dem Marktforschungsunternehmen IDC zufolge künftig ein Großteil der Beschäftigten ihren Arbeitsplatz in der Cloud haben. Dazu sind aber folgende Technologie- und Denkstrukturen erforderlich.
Effizienter Informationsfluss
Der Arbeitsplatz der Zukunft wird vor allem durch Flexibilität gekennzeichnet sein: Informationen, Dateien und Dokumente müssen in Sekundenschnelle auffindbar und verfügbar sein – und zwar unabhängig vom Aufenthaltsort, der genutzten Hardware und der Anzahl der Mitarbeiter, wenn diese zum Beispiel in virtuellen Teams zusammenarbeiten.
Automatisiertes Dokumenten-Management
Der Wissensarbeiter von heute, der Inhalte schafft und Informationen teilt, ist auf eine effiziente Recherche angewiesen. Dies gelingt noch besser durch selbstlernende Systeme und automatisierte Abläufe wie die digitale Erfassung von Dokumenten, deren automatische Konvertierung, Indexierung, Datenextrahierung, Verteilung und Archivierung.
Cloud Working
Unter dem Motto „Workspace-as-a-Service" werden in Zukunft ganze IT-Arbeitsplätze in die Cloud verlegt.
Work-Life-Integration
Die Work-Life-Balance, die Arbeiten und Privatleben als voneinander getrennte Pole betrachtet, gehört der Vergangenheit an und wird zur Work-Life-Integration: die Arbeitszeit wird der individuellen Lebensphase angepasst, um auf diese Weise zum Beispiel Karriere und Familie besser miteinander vereinbaren zu können.

Das Vertrauen in die Public Cloud wächst und die Zeit spielt für die Public Cloud Anbieter wie auch Microsoft Azure und gegen die deutschen Unternehmen. Wer nicht digital transformiert, der verschwindet früher oder später vom Markt. Wer den Anschluss in der digitalen Transformation bei Themen wie Internet of Things, Smart Products oder eCommerce nicht verlieren will, der wird zwangsläufig nicht um die Public Cloud herumkommen.

AWS ist einer der Public Cloud Anbieter, der in diesem Transformationsprozess helfen kann. Aber, AWS ist komplex! Sowohl im Aufbau als auch im Betrieb und der Administration der virtuellen Infrastruktur auf der Amazon Cloud und damit auch im Hinblick auf die Entwicklung von Web-Applikationen und Backend-Services. Das hat zum einen das Gespräch mit Zanox wieder einmal verdeutlicht und bestätigt Gespräche, die mit anderen AWS-Interessenten geführt werden. Zudem ist das notwendige Cloud-Wissen weiterhin nur begrenzt vorhanden und es wird noch Zeit brauchen, bis dieses in der Breite angekommen ist. (bw)