Smart Factory - jetzt aber schnell

Deutschland braucht den Industrie-4.0-Stecker

23.05.2016 von Franz Gruber
Um bei Industrie 4.0 schneller zu werden, benötigt Deutschland einen Standard für die Anbindung von Maschinen ans Internet. Die Amerikaner sind mit "MTConnect" bereits vorgeprescht.
Industrie 4.0 in Deutschland: Benötigt wird ein Standard-Stecker, mit dem unterschiedliche Maschinen einheitlich an das Internet angeschlossen werden können.
Foto: Shutterstock.com - Gorvik

Deutschland - Wir können alles, außer schnell. Auf diese zugespitzte Formel lässt sich die Situation im internationalen Wettlauf um Industrie 4.0 und die Smart Factory bringen. Die vernetzte Produktion war das zentrale Thema bei der diesjährigen Hannover Messe. Doch im Mutterland der Normen und DIN-Vorschriften gibt es bis heute - fünf Jahre nach Einführung des Begriffs Industrie 4.0 - keinen eigenen Schnittstellen-Standard zum einfachen und einheitlichen Anschluss heterogener Maschinenparks an das Internet.

Ein solcher "Industrie-4.0-Stecker" aber wird dringend benötigt. Denn Realität in den allermeisten Fertigungsunternehmen sind heterogene Anlagen, also Maschinen unterschiedlicher Hersteller und Baujahre. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Staufen gibt eine Mehrheit der Industriefirmen an, das Haupthindernis für die vernetzte Produktion sei die Tatsache, dass es noch keine Standards gibt.

Natürlich hat sich in fünf Jahren viel bewegt im Land der digitalen Denker und Lenker. Die deutsche Industrie-4.0-Plattform wird mittlerweile von den Bundesministerien Wirtschaft und Forschung geleitet (www.plattform-i40.de). Die Industrieverbände Bitkom, VDMA und ZVEI haben im Rahmen der 4.0-Plattform eine Referenzarchitektur RAMI 4.0 vorgelegt. Und mit dem US-Pendant Industrial Internet Consortium soll kooperiert werden. Auch ist ein Netzwerk von Testlaboren, das Labs Network Industrie 4.0 im Aufbau (www.lni40.de).

Smart Factory in der Praxis
179 Anwender hat die Staufen AG für ihren Industrie 4.0 im Jahr 2015 befragt. Aufgezeigt werden Veränderungen gegenüber dem Stand der Ding in 2014. Unsere Bildergalerie präsentiert wichtige Ergebnisse der Studie: 4 Prozent der Firmen haben Industrie 4.0 inzwischen gänzlich umgesetzt. 2014 lag der Anteil bei lediglich 1 Prozent.
Sprung bei der Logistik
Die Grafik zeigt, in welchen Bereichen die Firmen Industrie 4.0 einsetzen oder das planen. Gegenüber dem Vorjahr gab es bei der Logistik und Lagerhaltung einen großen Sprung.
Konkurrenz holt auf
Der internationale Vergleich zeigt die deutschen Firmen an der Spitze. Aber die Konkurrenz aus Asien und Übersee holt auf.
Selbstkritische Töne
Die Befragten meinen mehrheitlich, dass das Thema Industrie 4.0 in der Vergangenheit unterschätzt wurde. Insgesamt beurteilen sie die Lage kritisch und selbstkritisch.
Erwarteter Erfolg
Die Studienteilnehmer gehen überwiegend davon aus, dass sich dank Industrie 4.0 in fünf Jahren wirtschaftlicher Erfolg eingestellt haben wird. Gerechnet wird außerdem mit veränderter Produktpalette und neuem Geschäftsmodell.
Führung durch Kommunikation
Staufen wollte auch wissen, wie sich Industrie 4.0 auf das Thema Führung auswirkt. Die hier dargestellten Antworten auf diese Fragen zeigen insbesondere einen Bedeutungszuwachs der Kommunikation.
Angepasstes Leitbild
Diese Übersicht zeigt, welche Maßnahmen die Firmen im Hinblick auf Industrie 4.0 in Sachen Führung bereits umgesetzt haben. Mehr als 70 Prozent haben Leitbild und Führungsrichtlinien angepasst.

Neu: Standardization Council Industrie 4.0

Jüngster Beschluss der 4.0-Initiative zur Hannover Messe: Die deutschen Industrieverbände und Normungsorganisationen haben ein Standardization Council Industrie 4.0 gegründet (www.sci40.com). Erarbeitet und koordiniert werden sollen Normen und Standards, um im Zeitalter der Digitalisierung die Grenzen zwischen Elektrotechnik, Maschinenbau und IT zu überwinden.

Das alles ist löblich. Und gründlich. Zu hoffen bleibt aber, dass die geplanten Fortschritte nicht bekannten Mustern aus einer Zeit 2.0 folgen statt einem Industriezeitalter 4.0. So ist das deutsche Referenzmodell RAMI 4.0 akademisch sauber - aber auch abstrakt. Digital versierte Manager erzählen mir, dass sie damit in der Praxis bisher wenig anfangen können.

Umso verdienstvoller ist die Gründung des Standardization Council Industrie 4.0. Allerdings ist bezüglich Standards und Normen auch schon teure Zeit verstrichen. So wurde der Vorschlag für eine einheitliche Industrie-4.0-Schnittstelle von hiesigen Verbänden vor geraumer Zeit schon erarbeitet. Der Standard durfte jedoch aufgrund des deutschen Verbandsrechts lange Zeit nicht kommuniziert werden. Das wurde auf einer Podiumsdiskussion im Hasso-Plattner-Institut im März 2015 deutlich.

Mit MTConnect haben die USA Fakten geschaffen

Zeit ist ein erfolgrkritischer Faktor in der digitalen Ära. Noch haben die US-Amerikaner auch beim industriellen Internet die Nase vorn. Die USA haben dabei keinen technologischen Vorsprung, sondern einen Vorsprung durch Tatkraft: Schon vor zehn Jahren initiierte der US-Industrieverband AMT (Association For Manufacturing Technology) den Open-Source-Standard MTConnect als einheitlichen "Internet-Stecker" für Maschinen. Er findet international breite Akzeptanz.

MTConnect ermöglicht den Anschluss unterschiedlichster Maschinen an Internet-Cloud-Anwendungen in kürzester Zeit. Die Erfahrung meines Unternehmens: Via MTConnect ist es möglich, Maschinen schon nach 30 Minuten in Cloud-Lösungen zu integrieren.

MTConnect arbeitet auf XML- und http-Basis und ist gut für alle IT-Projekte, in denen als Echtzeit eine Taktung im Millisekundenbereich ausreicht - also den meisten Anwendungen. MTConnect ermöglicht zum Beispiel auf einfache Weise eine zustandsorientierte Instandhaltung mit Echtzeit-Messung von Temperatur, Vibration, Luftfeuchtigkeit, Stromverbrauch etc..

Der deutsche Manager Dr. Gilbert Meyer-Gauen, IT-Verantwortlicher beim Konzern National Oilwell Varco (NOV) in den USA: "Mit MTConnect ist es sehr einfach, Daten von einer CNC-Maschine zu bekommen. Innerhalb von einer Minute erhalten wir heute Echtzeit-Daten. Das ist Gold für jeden Programmierer."

In der Theorie top, in der Praxis zu langsam

Eine einheitliche Schnittstelle für die Maschinenanbindung wie MTConnect ist zwar nicht das einzige, was eine moderne Industrie-4.0-Landschaft benötigt. Hinzu kommen müssen weitere Faktoren wie schnelles Internet, ausreichende Kapazitäten für Internetprotokolle (jede vernetzte Maschine und jedes vernetzte Teil benötigt eine eigene IP-Adresse) oder In-Memory-IT-Architekturen für schnellste Rechenleistungen.

Alle deutschen Vernetzungsinitiativen in Politik, Verbänden, Kammern und Forschung sind sehr begrüßenswert und haben dafür gesorgt, dass Industrie 4.0 in Deutschland in der Breite in allen Branchen angekommen ist. Aber das Beispiel MTConnect zeigt: Deutschland ist in der Theorie top, aber in der Praxis zu langsam. Der deutsche Unternehmer will einfache, praxistaugliche und bezahlbare Lösungen. Zum Beispiel einen einfachen und universellen RAMI-4.0-Adapter. Und zwar jetzt.

Daher benötigen wir zu aller Gründlichkeit eine höhere Geschwindigkeit. Das neue Standardization Council Industrie 4.0 darf keine Zeit verstreichen lassen. Der internationale 4.0-Wettlauf der führenden Industrienationen um die produktivsten Standorte verzeiht keinen Verzug. Wir müssen bei der vernetzten Fertigungssteuerung in Echtzeit jetzt schnell lernen, unser Wissen und Können auch in Echtzeit in die Fabrikhallen zu tragen.

OPC und MTConnect im Vergleich

OPC: Als Standardprotokoll für die Datenübertragung ist zum einen die 'Open Platform Communications' (OPC) im Einsatz. OPC ist frei konfigurierbar, geregelt ist lediglich, auf welche Weise zwei Maschinen miteinander 'sprechen'. Was kommuniziert werden muss, ist individuell zu regeln.

MTConnect: Einen anderen Weg geht die Open-Source-Plattform MT Connect. Technologisch ist sie mit OPC vergleichbar, die Plattform wurde allerdings bereits auf die Aufgabe 'Kommunikation mit Werkzeugmaschinen' ausgerichtet. Die lizenzfreie Anwendung hat in Nordamerika hohe Verbreitung, auch erste Unternehmen in Europa nutzen das System. Die Lösung verbindet Anlagen, Anwendungen und ganze Fabriken miteinander und bietet ein integriertes Gesamtfertigungssystem.

Maschinendaten richtig erfassen

In den meisten Fabriken gibt es heterogene Maschinenparks - Anlagen unterschiedlicher Hersteller und Baujahre. Mit moderner Technologie lassen sich die allermeisten Maschinen auf drei Wegen schnell an Internet-Cloudlösungen anbinden und damit Echtzeit-Daten generieren. Grundsätzlich sollte die Maschinendatenerfassung auf allen Wegen kombiniert werden. Denn je höher der Anteil automatisch erfasster Daten, desto höher die Qualität der Kennzahlen zur Produktionsoptimierung.

1. Daten bereitstellen

>> Signalerfassung mit Wandler: Ältere Maschinen ohne eigenen Kommunikationsprozessor lassen sich über einen Ein-/Ausgabe-Ethernet-Wandler (E/A) mit dem Internet verbinden. Das Gerät wird im Steuerungsschrank installiert, die Signale gelangen aus der Steuerung der Maschine über digitale Signalausgänge in den Wandler.

>> Signalerfassung über Hersteller-Protokolle: Neuere Maschinen sind schon mit Kommunikationsprozessor und Software ausgerüstet. Informationen können direkt aus der Maschine gelesen und weitere Funktionen genutzt werden wie die Übertagung von NC-Programmen zur Maschine oder die Abfrage aktueller Werkzeugbelegungen.

>> Steuerung per Server: Bei modernster Maschinenanbindung erfolgt die Datenaufbereitung schon in den Anlagen per eingebauten Rechnern. Die Daten werden meist schon in der Maschine einheitlich formatiert, die Weiterleitung erfolgt über Ethernet.

2. Daten einlesen

Sind Prozess- und Messdaten gesammelt, müssen sie eingelesen werden. Dabei muss Sorge getragen werden, dass die verwendete Lösung verschiedene Protokolle wie OPC UA, MTCONNECT, FANUC FOCAS, Heidenhain, Siemens MCIS-RPC oder OKUMA THINK verarbeiten kann.

3. Interpretation der Daten

Für Interpretation der Maschinensignale ist ein weiterer Logikbaustein erforderlich, der aus mehreren Signalen und zusätzlichen Informationen die gewünschten Betriebszustände berechnet. Erst, wenn die Betriebszustände aus der Fertigung - zum Beispiel 'Produktion', 'Rüsten' oder 'Störung' - vereinheitlicht sind, werden die Informationen zum übergeordneten System in der Unternehmensplanung übertragen. So arbeitet der Top Floor in Echtzeit mit realen Leistungsdaten aus dem Shop Floor - eine wesentliche Grundlage für eine nachhaltige Produktivitätssteigerung. (mb)