Vier Jahre Exzellenzinitiative

Deutsche Universitäten: Das Ende der Gleichheitslüge

09.04.2008 von Handelsblatt 
Vor vier Jahren kam die Exzellenzinitiative ins Rollen. Die Zwischenbilanz fällt überraschend positiv aus: Sie hat mehr Schwung in die verkrustete deutsche Hochschullandschaft gebracht, als selbst die größten Optimisten für möglich gehalten hätten.

Es war eine dieser typischen Polit-PR-Veranstaltungen der rot-grünen Schröder-Regierung: "Deutschland. Das von morgen" lautete der manierierte Titel des Innovationskongresses im Januar 2004 im futuristischen Gehry-Bau am Pariser Platz. Und das Hochschul-Förderkonzept, das die damalige Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) dort präsentierte, hieß "Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten". Die Feuilletons waren sich einig: eine Lachnummer. Die Bundesregierung, ätzte Thüringens Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski, werde mit dem Wettbewerb noch ähnliche Überraschungen erleben wie RTL mit Daniel Küblböck.

Heute, gut vier Jahre später, wissen wir es besser: Die Exzellenzinitiative, die aus der "Brain up!"-Idee hervorgegangen ist, hat mehr Schwung in die verkrustete deutsche Hochschullandschaft gebracht, als selbst die größten Optimisten für möglich gehalten hätten. "An den Universitäten ist so viel in Bewegung wie noch nie in den 25 Jahren, seit ich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin", sagt Michael Schuster, Programmdirektor für Geistes- und Sozialwissenschaften bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). 1,9 Milliarden Euro vergeben Bund und Länder bis 2011 an neun Elite-Unis, 37 Exzellenzcluster und 39 Graduiertenschulen.

Dabei ist das Geld nicht einmal der wichtigste Faktor. Viel entscheidender ist: Die Exzellenzinitiative markiert einen fundamentalen Bewusstseinswandel in der Hochschulpolitik: Die Förderung der "Elite" - lange Zeit im Gelehrtenmilieu streng verpönt - ist wieder zum Leitgedanken der Forschungspolitik geworden. Die Existenz von Qualitätsunterschieden in der Wissenschaft wird nicht mehr verurteilt und politisch bekämpft, sondern als Tatsache akzeptiert und bejaht. "Das deutsche Universitätssystem existierte lange Zeit in dem Glauben, dass qualitätsmäßig alle Universitäten gleich sind. Das war eine Lebenslüge. Jetzt sind die Qualitätsunterschiede, die es immer gab, offenbar geworden", sagt Jürgen Mittelstraß, Wissenschaftstheoretiker und emeritierter Professor an der Universität Konstanz.

Was mit der Exzellenzinitiative in der deutschen Hochschullandschaft passiert, ist zumindest in ideeller Hinsicht auch eine teilweise Rücknahme der egalitären Veränderungen der Zeit nach der Studentenbewegung. "Die Reform des Universitätswesens im Zuge der 68er-Bewegung brachte leider auch manches Beklagenswerte. So wurde die Universität teilweise zu einer Gefälligkeitsinstitution. Der Leistungsgedanke spielte oft keine entscheidende Rolle mehr", sagt Mittelstraß.

Diese Zeiten sind vorbei - "auch ohne die Exzellenzinitiative", wie Mittelstraß betont. Die Elite-Phobie der 70er- und 80er-Jahre halten nur noch einige altlinke Sozialwissenschaftler wie Michael Hartmann (Technische Universität Darmstadt) hoch. Seiner Ansicht nach wird die besondere Förderung einiger Unis die deutsche Hochschullandschaft schädigen und - gemeinsam mit Studiengebühren - den Zugang zu Spitzenpositionen für sozial benachteiligte junge Menschen erschweren.

Axel Meyer, Handelsblatt-Kolumnist und Professor für Evolutionsbiologie an der "Elite-Uni" Konstanz, sieht das ganz anders. Nach seiner Erfahrung sind für heutige Studenten Qualitätsunterschiede kein Indiz der Ungerechtigkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit. "Die Studenten waren den Dozenten voraus", sagt er. "Die Studienanfänger orientieren sich an den Uni-Rankings im ,Spiegel´, der ,Zeit´ oder im ,Focus´."

Inoffiziell gab es nämlich selbstverständlich schon seit jeher deutliche Unterschiede im Ansehen der deutschen Universitäten. Das Renommee betrifft allerdings tendenziell nicht eine gesamte Hochschule, sondern ist spezifisch für bestimmte Fächer. Ein Ingenieur-Studium an der RWTH Aachen genoss beispielsweise schon lange ein höheres Ansehen als die gleiche Ausbildung andernorts. Dagegen wird ein Historiker wahrscheinlich eher eine Stelle in Heidelberg oder Freiburg als in Aachen annehmen.

Fast schon nebenbei wurde mit der Exzellenzinitiative auch eine zweite Lebenslüge der bundesdeutschen Hochschulpolitik mit über Bord geworfen - vorbei sind die Zeiten, in denen unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaftspolitik stillschweigend Regionalpolitik gemacht wurde. Die Entscheidung, von den ersten drei Elite-Unis zwei in München anzusiedeln, machte deutlich: Es muss um Qualität gehen, nicht um Regionalproporz.

Sechs der insgesamt neun "Elite-Universitäten" liegen südlich des Mains - sie haben sich schon heute zu Versuchslaboren entwickelt, an denen plötzlich Dinge möglich sind, die jahrzehntelang undenkbar waren an deutschen Universitäten. Zum Beispiel die Differenzierung von Lehrverpflichtungen für besonders erfolgreiche Forscher. So hat die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität ein Teil des Elite-Geldes für sogenannte Forschungsprofessuren ausgegeben. Auch "proaktive Berufungen" sind heute in München möglich - die LMU kann Top-Forscher, die auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind, auch dann einstellen, wenn gerade kein Lehrstuhl vakant ist. Professoren-Ehepaaren, die gemeinsam auf Jobsuche sind, kann die LMU bessere Angebote machen. "Der Elite-Status und das zusätzliche Geld haben einen enormen Anstoß gegeben", sagt der Münchener Ökonomie-Professor Klaus M. Schmidt.

Selbst Hochschulen, die im Auswahlverfahren den Kürzeren gezogen haben, profitieren. "Ohne den Druck der Exzellenzinitiative hätten wir uns an der Fakultät wahrscheinlich bis heute nicht auf ein Konzept für eine Graduiertenschule einigen können", sagt der Kölner Ökonomie-Professor Achim Wambach. Der Kölner Ansatz fand zwar am Ende nicht die Gunst der DFG-Gutachter, aber das Doktorandenprogramm wird jetzt immerhin als "NRW Graduate School" gefördert.

Auch der Öffentlichkeitseffekt der Initiative ist nicht zu unterschätzen. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch im Ausland: "Schon die Tatsache, dass man in Deutschland so ein großes Projekt zur Förderung der Wissenschaft startet, hat für Aufsehen gesorgt", sagt Barbara Wankerl, Koordinatorin für die Öffentlichkeitsarbeit beim Exzellenzcluster "Ursprung und Struktur des Universums" an der Technischen Universität München. Sara Lucatello, italienische Gastwissenschaftlerin in diesem Forschungsverbund, bestätigt das aus ihrem Bekanntenkreis: " Diejenigen, die von der Exzellenzinitiative gehört haben, halten sie für eine großartige Idee."

Besondere Leistungen an bestimmten Hochschulen wollen und sollen auch besondere Aufmerksamkeit erfahren, um wiederum besonders fähige Studenten und Wissenschaftler anzuziehen. Diese Notwendigkeit angesichts der Konkurrenz im weltweiten Wissenschaftsbetrieb haben die deutschen Universitäten verstanden. "Gute Doktoranden werden gesucht. Es herrscht ein ,buyer´s market´ für gute Wissenschaftler. Zu viele Talente gehen ins Ausland", sagt Axel Meyer. "Wenn wir künftig nicht nur die besten Deutschen, sondern auch die besten Inder und Chinesen anlocken können, die jetzt nach Stanford gehen, dann hat sich die Exzellenzinitiative gelohnt."

Die größte Sorge mancher Forscher ist heute, dass noch völlig unklar ist, wie es nach 2011 mit der Sache weitergeht. "Noch ist unsicher, ob es sich wirklich lohnt, langfristige Strukturen aufzubauen", sagt der Münchener Ökonom Klaus M. Schmidt. "Es wäre wichtig, dass die Politik frühzeitig signalisiert, in welche Richtung der Zug weiterfährt."