Second Screen Apps

Der zweite Bildschirm wird immer wichtiger

19.08.2016
Die Zeiten, in denen der Fernseher die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuschauer hatte, sind vorbei. Parallel wird gesurft, geliked und getwittert. Eine Herausforderung für TV-Sender und Werbewirtschaft. Und auch eine Chance.

Die Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen parallel im 360-Grad-Video verfolgen, mit anderen "Tatort"-Fans per App den Mörder jagen, zum aktuellen Böhmermann-Skandal twittern und natürlich chatten, shoppen, E-Mails schreiben. Für viele Zuschauer gehört es längst zum Alltag, neben dem laufenden TV-Gerät ein Smartphone oder Tablet zu nutzen. Die Sender richten ihr Angebot zunehmend auf den sogenannten Second Screen aus - und auch die Werbewirtschaft hat den Zweit-Bildschirm für sich entdeckt.

Studie zur Second-Screen-Nutzung 2016

"Fakt ist, dass das Fernsehen - genau wie Printerzeugnisse - immer mehr Aufmerksamkeit an die sozialen Medien abgibt. Das wird auch so weitergehen. Das ist nicht mehr zu stoppen", sagt Prof. Stephan Weichert von der Macromedia-Hochschule in Hamburg.

Der Digitalisierungsbericht 2016, der Anfang September auf der IFA 2016 in Berlin präsentiert wird, zeigt: Die Second-Screen-Nutzung ist erneut leicht gestiegen. Rund jeder zweite Zuschauer (46,5 Prozent) setzt das Smartphone parallel zum Fernseher ein, bei den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar mehr als drei Viertel (78 Prozent). Welches Gerät gewinnt bei der geteilten Aufmerksamkeit? Den aktuellen Ergebnissen zufolge gehört dem Second Screen etwas mehr Aufmerksamkeit als dem Fernseher: "Wir beobachten einen Trend, dass der Second Screen zunehmend wichtiger wird und das TV-Gerät - also den bisherigen First Screen - als relevanteres Medium ablöst", sagt Weichert. "Das Fernsehprogramm bildet die Hintergrundmusik, das Begleitprogramm, dem ich beiläufig beiwohne."

Wie können die TV-Macher am besten darauf reagieren? Sie sollten "von sich reden machen und auch kontroverse Themen zulassen", rät der Experte. Auch Social Branding sei unerlässlich - also als Marke in den sozialen Medien vertreten zu sein. Außerdem gehe es darum, die richtigen Protagonisten zu haben. Ein gutes Beispiel für Weichert ist Moderator Jan Böhmermann: "Er ist ein Phänomen, weil er beide Klaviaturen beherrscht: Das analoge Programmfernsehen und die digitalen Netzwerke, die er für sich gewinnt und vereinnahmt."

Erfolgsbeispiele für Social Media Marketing
Pizza kommt per #EasyOrder
Seit Mai 2015 können Domino's-Kunden die Lieferung ihrer Lieblingspizza per Twitter veranlassen – dazu posten sie ein "Pizza-Emoji" an @Dominos oder nutzen den Hashtag #EasyOrder. Mehr als jeder zweite Pizzafan nutzt das bereits.
"Blinde Vorbestellung" bei Taco Bell
Die amerikanische Fast-Food-Kette Taco Bell startete im vergangenen Februar die "blinde Vorbestellaktion" eines neuen Produkts. Um was es sich handelte, blieb geheim – sicher war nur, dass es sich online vorbestellen ließ und dann am 6. Februar zwischen 14 und 16 Uhr im lokalen Restaurant abgeholt werden konnte. Die Taco-Bell-Jünger kamen in Scharen.
Edeka-Video #HeimKommen
Das weihnachtliche Werbevideo der Supermarktkette Edeka berührte im vergangenen Winter viele Hunderttausende Zuschauer.
Niveas zweite Haut
Auch dieser Weihnachtsclip aus 2015 ging viral: Kosmetik-Hersteller Niva stellte sein "Second Skin Project" vor und erreichte deutlich sechsstellige Abrufzahlen.
Snapchat-Kampagne zur Oscar-Verleihung
PricewaterhouseCoopers (PwC) kümmert sich seit 82 Jahren um die Auszählung der Stimmen für die Academy Awards, im Volksmund auch Oscar-Verleihung genannt. Für die 2016er-Ausgabe startete PwC eine Snapchat-Story rund um die berühmten goldenen Umschlägen mit den Oscar-Gewinnern. Viele neue Fans und ein Shorty Award waren der Lohn.
Lustige Sprüche frei Haus
"Unsere Klingen sind so gut, dass du sie einen ganzen Monat lang benutzen kannst" - das Start-up Dollar Shave Club verschickt unter diesem Claim im Monatsabo Rasierer und Rasierklingen per Post. Die zugehörige Marketing-Kampagne mit Bildern abgewetzter Klingen und lustigen Sprüchen sorgte für eine große Aufmerksamkeit im Social Web.
Für eine Handvoll Dollar
Black Friday als Konsum-Höhepunkt des Jahres? Der Partyspiel-Anbieter "Cards Against Humanity" machte da im vergangenen Jahr nicht länger mit. Er nahm seinen Shop einen Tag lang vom Netz und bot den Kunden stattdessen "nichts" für fünf Dollar an. Die dankten es ihm und zahlten - es kamen über 71.000 Dollar zusammen.
Luxus bei Snapchat
Das britische Modelabel Burberry war im April 2016 die erste Luxusmarke, die eine native Snapchat-Werbeanzeige buchte. 24 Stunden lang wurde ein neues Parfum beworben - mit exklusiven Videos, darunter dem Kurzfilm "Mr. Burberry" des Oscar-prämierten Regisseurs Steve McQueen, der binnen eines Monats bei Youtube fast 370.000 Mal aufgerufen wurde.
"Deadpool" – ein durchschlagender Erfolg
Das Antihelden-Epos "Deadpool" verhalf 20th Century Fox zu neuen Social-Web-HöhenflügeN: Die fast 500.000 Follower des @deadpoolmovie-Twitter-Kanals, der fast ein Jahr (!) vor dem Kinostart mit einem mehr als 55.000 Mal retweeteten Posting gestartet ist, die vielen prominenten Fans der Comicreihe und der im Social Web ebenfalls sehr aktive Hauptdarsteller Ryan Reynolds ließen die Grenzen zwischen PR und purer Fan-Vorfreude verschwimmen.
Verkaufen per Pinterest
Nach dem "127 Corridor Sale" im vergangenen Jahr bot der Spraydosen- und Farbenverkäufer Krylon dort erworbene und aufgehübschte Waren online via Pinterest Buyable Pins zum Verkauf an - als erster Anbieter überhaupt. Neben den erzielten Einnahmeen, die kmplett gespendet wurden, erfuhr Krylon für die Aktion eine mediale Aufmerksamkeit, die das Unternehmen ein Vielfaches von dem gekostet hätte, wäre sie auf klassischem Wege per Werbeanzeige zustande gekommen.

Die Second-Screen-Apps der TV-Sender

Die Sender lassen sich jede Menge einfallen, um die Zuschauer auch über den kleineren Bildschirm zu erreichen. RTL bietet seit einigen Jahren mit RTL Inside eine eigene Second-Screen-App, die TV-Formate live begleitet, etwa mit Extra-Informationen zu Magazinsendungen oder zu den Darstellern täglicher Serien wie "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten". Darüber hinaus werden Shows wie "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" intensiv über Twitter und Facebook begleitet. "Second Screen ist für uns sehr wichtig, um mit den Zuschauern in Dialog zu treten und sie mobil zu erreichen", sagt ein Sprecher der Mediengruppe RTL.

Die ARD startete im Mai eine "Tatort"-App mit Hintergrundinfos und Mitmach-Elementen. Begleitend zu den neuen Folgen gibt es etwa Antwortoptionen auf die Frage nach Täter und Motiv. Laut dem Sender wurde die App in den ersten drei Monaten 300 000 Mal installiert.

Besonders gut läuft Second Screen beim Sport. Zu den Olympischen Spielen in Rio bieten die öffentlich-rechtlichen Sender aktuell bis zu sechs Live-Streams von allen möglichen Wettkämpfen. So kann man zwei parallel laufende Entscheidungen auf zwei Bildschirmen verfolgen und muss auch auf eine Nischen-Sportart, die nicht im Hauptprogramm läuft, nicht verzichten. Ein Novum: Eine kleine Auswahl von Wettkämpfen wird erstmals in 360-Grad-VR gezeigt. Bei den Zuschauern sei angekommen, "dass sie online ihr eigener Olympia-Programmchef sind", so ZDF-Chefredakteur Peter Frey. So wurde etwa beim Livestream-Abruf an den bisherigen ZDF-Sendetagen im Vergleich zum Zeitraum vor den Olympischen Spielen eine vierfach höbere Nutzung registriert.

Virtual Reality 2016: Diese VR-Devices wollen den Durchbruch
Zeiss VR One
Die Carl Zeiss AG ist vor allem für ihre High-End-Linsentechnik bekannt. Mit dem VR One Headset will man sich nun ein Stück vom VR-Kuchen sichern. Das Plastik-Gehäuse des Headsets nimmt viele verschiedene iOS- und Android-Smartphones auf und ist angenehm leicht zu tragen. Design und Linsen sind von hoher Qualität und die VR One ist auch für Brillenträger angenehm zu tragen. Ein spezielles Belüftungssystem verhindert, dass die Gläser im Inneren des Devices beschlagen, ein transparenter Visor soll sicherstellen, dass das VR One auch mit Augmented-Reality-Apps funktioniert.
Google Cardboard
Googles Cardboard (und seine zahlreichen Verwandten von anderen Herstellern) machen iOS- und Android-Smartphones zu Virtual-Reality-Maschinen. Dabei richtet sich Cardboard in erster Linie an VR-Einsteiger, die sehen wollen, ob der ganze Hype überhaupt gerechtfertigt ist. Für Cardboard stehen zahlreiche Anwendungen und Spiele zur Verfügung. Das Resultat ist eine minimalistische Basis-Erfahrung in Sachen virtuelle Realität. Wichtig ist dabei: Cardboard ist nur so gut wie das Smartphone, das "drin" steckt - je höher also die Auflösung des Devices, desto besser das Erlebnis.
Merge VR
Das Merge VR-Headset ist nur schwer zu übersehen. Das liegt aber nicht nur am purpurnen Design-Kleid. Das extrem leichte Set ist sehr angenehm zu tragen und mit so gut wie jedem halbwegs aktuellen Android- und iOS-Smartphone kompatibel. Einstellbare Linsen, Belüftungssystem, Audio Ports und AR-App-Unterstützung runden das Paket ab.
Homido
Homido ist eine relativ neue, Cardboard-kompatible VR-Brille, die sich ebenfalls durch ein angenehm geringes Gewicht auszeichnet. Daneben ist sie mit so gut wie allen Smartphones kompatibel. Homido soll dank 3D-Support seine Nutzer in beeindruckende 360-Grad-Umgebungen portieren.
Noon VR
Die Noon VR-Brille von Nextcore funktioniert mit Smartphones, die über einen Screen von 4,7 bis 5,7 Zoll verfügen. Eine native VR-App (Android, iOS) lässt Nutzer 3D- und 360-Grad-Umgebungen erleben - dazu gibt es Features wie Head- und Eye-Tracking oder Gestensteuerung. Eine Plattform für user-generated content entsteht in Kooperation mit Koom VR.
Freefly VR
Das VR-Headset Freefly VR richtet sich momentan ausschließlich an Besitzer der iPhone-Generationen 6 und 6S. Auch mit einem neueren Android-Smartphone hat man gute Karten. Das Design wurde so verwirklicht, dass sowohl das Smartphone sicher "verstaut" ist, als auch externe Lichtquellen ausgeschlossen werden. Im Lieferumfang ist sogar ein Bluetooth-Controller enthalten.
Mattel View-Master VR
Auch Spielzeug-Riese Mattel hat ein Virtual-Reality-Headset in petto. Der View-Master VR ist auf Basis des Google-Cardboard-Framework entstanden. Mit der zugehörigen App lassen sich fertige VR-Welten erkunden, auch Augmented Reality ist mit dem Mattel-Headset erlebbar.
Samsung Gear VR
Wer ein Samsung Galaxy Note 5, ein S6, S6 Edge oder S6 Edge+ sein eigen nennt, kann mit der Gear VR postwendend in die virtuelle Realität abtauchen. Die Technik im Inneren stammt zwar von Samsung, Software und Betriebssystem kommen allerdings von Oculus, denn das zu Facebook gehörende Unternehmen hat mit den Koreanern kooperiert. Das hat einen weiteren Vorteil: Wenn Oculus Rift an den Start geht, werden sämtliche Anwendungen auch auf der Gear VR laufen.
Oculus Rift
Das wohl berühmteste VR-Device kommt von Facebook-Tochter Oculus und heißt Rift. Die vermutlich ab Mitte 2016 erhältliche Virtual-Reality-Brille wird eine Auflösung von 2160 x 1200 Pixeln, ein Sichtfeld von 110 Grad und Sensoren für Head-Tracking bieten. Ebenfalls im Lieferumfang enthalten: ein Xbox One-Controller. Später soll ein Touch-Controller von Oculus für eine natürlichere, intuitive Bedienung sorgen.
HTC Vive
HTCs Vive ist in Kooperation mit den Gaming-Spezialisten von Valve entwickelt worden. Das Ganze läuft entsprechend auch über Valves SteamVR-Plattform. Das Headset funktioniert nur im Zusammenspiel mit einem PC. Die eingebauten Kameras tasten die Umgebung per Laser ab und sollen jeden Raum in die virtuelle Welt übertragen.
Sony PlayStation VR
Einst als Project Morpheus gestartet, soll PlayStation VR künftig die ganze Welt des Gamings in die virtuelle Realität überführen. Mit einem 5,7-Zoll-OLED-Display, 100-Grad-Sichtfeld, Head-Tracking und einer Latenz von nur 18 Millisekunden wollen die Japaner die Gamer-Gemeinschaft auf VR-Linie bringen. Sonys VR-Headset wird zunächst nur im Zusammenspiel mit der PlayStation 4 funktionieren.

So nutzt die Werbung den Second Screen

Auch für die Werbewirtschaft ergeben sich neue Möglichkeiten. Die "Second Screen Usage ist eine ernstzunehmende Änderung des Mediennutzungsverhaltens", erklärt Helmut Kammerzelt von der FH St. Pölten. Die österreichische Hochschule hat die Auswirkung der Multi-Screen-Nutzung auf die Branche untersucht und festgestellt, dass sich die Zuschauer besser an Marken erinnern und der Wiedererkennungswert höher ist, wenn die Werbung parallel im TV und mobil gezeigt wird. Second Screen sei eine Chance, so das Ergebnis. In der Summe zeige sich, dass Marken von intelligent verzahnter und synchroner Ausspielung profitieren könnten.

Aber was macht das Multitasking mit dem Zuschauer? Die Meinungen dazu gehen auseinander. "Es gibt Psychologen, die behaupten, dass dieses Mehrrezeptionsverhalten dauerhaft zu einer höheren Konzentrationsfähigkeit führt - vor allem was das kognitive Wahrnehmungsverhalten angeht, also dass wir schneller Dinge verstehen und aufnahmebereiter sind", sagt Weichert. Andere glauben, es fördere die Zerstreuung und führe dazu, dass man sich nicht mehr auf eine Sache konzentrieren und einlassen könne. "Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen." (dpa/fm)