Der verordnete Arbeitsplatzwechsel

25.11.2002 von Joachim Hackmann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Outsourcing bringt dem Betreiber Umsatz, dem Anwender Kosteneinsparung und dem Mitarbeiter Veränderungen. Allerdings erfahren die Betroffenen meistens als Letzte, wie es mit ihnen weiter geht.
Eine Auftragsstudie des französischen Outsourcers Steria versucht die Auswirkungen von Auslagerungsvorhaben auf die betroffenen Mitarbeiter zu erfassen.

Ein für die Verantwortlichen von Outsourcing-Vorhaben wenig schmeichelhaftes Ergebnis erbrachte eine von dem französischen Auslagerungsanbieter Steria in Auftrag gegebene Studie: „Die Beschäftigten sind zuletzt dran“, fasste das britische Marktforschungshaus Benchmark Research die Erkenntnisse aus der Befragung von 120 für die Outsourcer CSC, EDS, Cap Gemini Ernst & Young, ICL, ADP und CMG tätigen Mitarbeitern zusammen. In der Regel verhandelt das auslagerungswillige Unternehmen mit potenziellen Anbietern über Preise, Service-Levels, Ablösebeträge, Abnahme und Liefergarantien sowie den Serviceumfang. Die betroffenen Mitarbeiter werden erst informiert, wenn der Vertrag unterschrieben ist. 19 Prozent der Befragten gaben beispielsweise an, zunächst durch Kollegen von den Outsourcing-Plänen gehört zu haben.

Betriebsrat informieren

Der Geschäftsbereich Systems & Defence Electronics (SD&E) des EADS-Konzerns schlug sehr früh den Weg der transparenten Informationspolitik ein. Das Management benachrichtigte den Betriebsrat über die Auslagerungspläne und sorgte für kontinuierliche Mitteilungen an die Belegschaft. Nach der Anbietervorauswahl wurden beispielsweise vier Service-Provider zu einer jeweils halbtägigen Präsentation gebeten, die Mitarbeitervertretung saß dabei. „Dass der Betriebsrat bei der Firmendarstellung anwesend war, hatte ich zuvor noch nicht erlebt. Das ist nicht die Regel“, zeigte sich Peter Hesse, HR Transition Manager bei HP in Deutschland, angenehm überrascht.

Doch es hat sich offenbar gelohnt. Nur drei von 160 Mitarbeitern sperrten sich gegen den Übergang. Insgesamt wechselten 110 Mitarbeiter zu HP Deutschland, das schließlich den Auftrag bekommen hatte. Einige verblieben bei EADS, andere verließen das Unternehmen. 25 gehen innerhalb der nächsten zwei Jahre in den Vorruhestand und stehen HP im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zur Verfügung. „Wir haben viele Gespräche geführt, Informationsveranstaltungen angeboten und einen wöchentlichen Statusbericht veröffentlicht“, erläutert Christoph Nehrkorn, Vice President Services bei der EADS-Einheit SD&E.

Qualitätseinbußen gab es nur partiell und nur in der Vorphase der endgültigen Entscheidung. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit, schenkt man der Steria-Erhebung Glauben. Die Marktforscher von Benchmark Research fanden heraus, dass bei mehr als der Hälfte der von einem kommenden Outsourcing betroffenen Mitarbeiter die Produktivität leidet und jeder Vierte Fehler am Arbeitsplatz verursacht. Als Gründe nennt die Studie Stress und Unsicherheit.

Derartige Symptome sind verständlich, denn der Betriebsübergang bedeutet Veränderungen, über die sich lange Zeit nur spekulieren lässt. Ist die Entscheidung für einen Betreiber gefallen, steht zwar der neue Arbeitgeber fest, das künftige Tätigkeitsfeld der IT-Experten allerdings noch nicht unbedingt. „Gutes Outsourcing ist, wenn der Betreiber die richtige Balance zwischen dem Einsatz der übernommenen Mitarbeiter beim ursprünglichen Arbeitgeber und bei anderen Kunden findet“, schildert John Wargin, Outsourcing Senior Consultant bei HP. Das heißt, ein Teil der Belegschaft muss andere Tätigkeiten übernehmen und eventuell auch den Standort wechseln.

Die Erfahrung, die Hesse aus den bisherigen Outsourcing-Projekten gewonnen hat, zeigt, dass Mitarbeiter zwischen 25 und 40 Jahren am besten mit Veränderungen umgehen können, sie oftmals auch begrüßen. Allerdings ist diese Personengruppe auch besonders umworben. EADS suchte beispielsweise für die im Konzern verbleibenden IT-Stellen jüngere Mitarbeiter mit Entwicklungspotenzial, die strategisch denken und steuern können. HP musste dagegen den Betrieb in der gewohnten Qualität fortführen. EADS hat die Leute bekommen, doch HP-Manager Hesse berichtet, wie in solchen Fällen verfahren wird: „Rosinenpicken lassen wir uns bezahlen.“

So ist alles eine Frage der Verhandlung und des Preises. Sobald ein Unternehmen den Zuschlag bekommen hat, startet die Due-Dilligence-Phase, also die Bewertung der zu übernehmenden Ressourcen durch den Outsourcer. Unter anderem sind die Gehalts- und Altersstruktur sowie die Qualifikation und Kapazität des vorhandenen Mitarbeiterstamms zu bestimmen. Zur Erhebung gehören auch Gespräche mit jedem einzelnen Mitarbeiter. Das hat einerseits den Zweck, den Betroffenen Bedenken hinsichtlich des verordneten Arbeitgeberwechsels zu nehmen und frühzeitig Integrationsarbeit zu leisten. Andererseits taxiert der Outsourcer die Gesprächspartner auf Leistungsbereitschaft, Fähigkeiten und mögliche Einsatzgebiete. Auch Streitpotenzial und Problemfälle unter den Mitarbeitern werden eingeschätzt und mit einer finanziellen Risikobewertung versehen.

 Zehn Prozent der Mitarbeiter gehen

Gesetzlich sind die Arbeitnehmer nicht zum Wechsel verpflichtet. Mit einer Ablehnung tun sie sich jedoch keinen Gefallen, weil der Verbleib beim alten Arbeitgeber in eine betriebsbedingte Kündigung ohne Sozialfallregelung münden kann. In Einzelfällen lassen sich auch Sondervereinbarungen treffen. HP-Manager Wargin berichtet etwa von der Möglichkeit, den Arbeitnehmer beim ursprünglichen Arbeitgeber zu belassen und dessen Leistung einzukaufen, doch „alles hat seine Grenzen“.

Zehn Prozent Fluktuation sind laut HP-Mann Hesse bei derartigen Projekten die Regel, auch in der jetzigen Zeit mit ihrem schwierigen Arbeitsmarkt. Abzüglich der beim Kunden verbleibenden Experten wechseln üblicherweise 80 bis 90 Prozent der IT-Belegschaft zum Dienstleister. Sind es weniger oder die Falschen, kann der Dienstleister Probleme bekommen, die Services in der vereinbarten Form und Qualität zu liefern. Außerdem hat der Betreiber großes Interesse daran, mehr als die im Vertrag vereinbarten Leistungen zu verkaufen: „Der Outsourcer muss neue Geschäftsfelder beim Kunden entdecken“, verrät Wargin. Wer könnte das besser als die vormals beim Kunden angestellten IT-Experten?