Mitdenker oder Mitläufer? Mitarbeiter oder Mittel zum Zweck? Führungskräfte sollten stets klar vor Augen haben, mit welchem Anspruch sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen umgehen. Fehlt es an adäquater Kommunikation, gar Respekt, sinkt die Motivation. Das ist besonders dramatisch bei notwendigen Change-Prozessen: ohne Motivation keine Veränderung.
Das gilt umso mehr bei der überlebenswichtigen digitale Transformation in Fabriken. Thomas Sattelberger, Ex-Vorstand der Deutschen Telekom, bringt das Thema Motivation und Sinnstiftung so auf den Punkt: "Ich habe nichts gegen Performance als Arbeitskriterium. Aber wenn der Sinn des Ganzen fehlt, dann bist Du nur ein Galeerensklave." Nach Sattelbergers Einschätzung sind wir in Deutschland "immer noch ein Land des Din-A4-Denkens, des technischen, starre, hierarchischen Managements" und der "nüchternen Ingenieurswelt".
Es gibt offenbar viel zu lernen im Land der Manager und Lenker. Tatsächlich hält eine Mehrheit der Arbeitnehmer in Deutschland und weiteren Ländern ihre Chefs nicht für kompetent, die digitale Transformation zu schaffen, so die Studie "Arbeitswelt der Zukunft" der Hochschule Furtwangen.
Sicher ist in der Ära Industrie 4.0: Jedes Projekt der digitalen Transformation wird nur "fliegen", wenn es zwei gleichstarke Flügel hat - Mensch und Maschine. Dabei hat der Mensch Vorrang: Es gilt, zunächst die Mitarbeiter zu motivieren und danach an die gemeinsame Aufgabe zu gehen, Maschinen und Prozesse zu optimieren.
Wie aber kann es gelingen, einen sozial anspruchsvollen Motivationsprozess zu starten, gegen den es nach aller Erfahrung viele Vorbehalte und Ängste gibt? Welchen Königsweg gibt es, eine Belegschaft für den technologischen Paradigmenwechsel in der Produktion zu gewinnen?
Goldene Regel: Change-Prozess mit moderner Management-Kultur
Manager von erfolgreichen digitalen Change-Projekten bestätigen gleichlautend als goldene Regel: Die Smart Factory gelingt nur mit einem umfassenden Change-Prozess mit einer modernen Management-Kultur. Daher ist die Smart Factory Chefsache - und nicht ein IT-Projekt unter vielen.
Inhaltlich geht es zu allererst - und fortlaufend - darum, den Sinn und Zwecke des Transformationsprozesses zu erklären. Das stärkste Argumente auf Management-Ebene heißt: Die Transformation erhöht die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit die eigene Standort- und Arbeitsplatzsicherheit. Die Belegschaft muss grundsätzlich davon überzeugt werden, dass eine neue Technologie sowie neue Prozesse und Lieferketten für den Standort zum Einsatz kommen, nicht gegen ihn. Auch in Deutschland konnten schon Standorte erhalten werden, weil sie ihre Produktivität durch Change-Prozesse mit digitaler Fabriksteuerung signifikant, zum Teil um mehr als 30 Prozent, erhöht haben.
Hinzukommen sollten konkrete operative und leicht nachvollziehbare Argumente - zum Beispiel leichtere Arbeitsbedingungen, welche zu besseren Ergebnissen führen. Heinz Adams von MANN+HUMMEL, dem weltweit tätigen Entwicklungspartner der Automobil- und Maschinenbauindustrie: "Sie müssen die Mitarbeiter laufend informieren und schulen. Sie verstehen dann sehr schnell, dass das Arbeiten leichter und besser wird." Die ersten messbaren Erfolge sollten entsprechend breit im Unternehmen kommuniziert werden.
Dem pflichtet Robert Stöhr bei, Geschäftsführer des Automobilzulieferers MSR Technologies in Laupheim bei Ulm: "Ein Vater des Erfolges war die frühe und intensive Einbeziehung der Mitarbeiter in das Projekt. So wurde das neue System schon in der Pilotphase sehr gut angenommen." (PDF)
Merkmale modernen Managements: Stil, Prinzip, Instrumente
Eine motivierende "smarte" Führungskultur in der Fabrik lässt sich an drei Kategorien darstellen: Stil, Prinzip und Instrumente. Da sich auch Führungskräfte nicht von jetzt auf gleich ändern können, ist es in vielen Fällen ratsam, zunächst die Team-Leiter coachen zu lassen nach dem Motto: "train the trainer".
Stil: Coach statt Despot
Der Stil von Führungskräften in erfolgreichen Fertigungsunternehmen entspricht - das leuchtet schnell ein - dem eines Coach, der motiviert und inspiriert (anstelle eines launischen Despoten). Im Vordergrund stehen gemeinsame, in offener Diskussion erarbeitete Ziele und Maßnahmen (anstelle von Befehl-und-Gehorsam-Strukturen). Die gewünschten Teil-Ergebnisse werden für einen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung (KVP) festgelegt und sind künftig für jeden offen und nachprüfbar.
Prinzip: Führen nach Kennzahlen
Das Prinzip smarter Führungskultur ist ein ausgeprägter, objektivierbarer Realitätsbezug anhand von gemeinsam mit den Teams festgelegten Kennzahlen (statt subjektive, kaum nachvollziehbare Erkenntnisse). Anhand von digital erfassten Soll-/Ist-Vergleichen kennen alle Beteiligten in ihrem Aufgabenbereich den Status von Produktion und Prozessen und können eigenverantwortlich steuern und gegensteuern. So tragen alle nachprüfbar zur wichtigsten unternehmensweiten Kennzahl bei, der Gesamtanlageneffektivität OEE (Overall Equipment Effectiveness).
Instrument: Smart Data statt nur Big Data
Anstelle von händisch auf Papier erfassten Maschinen-Leistungsdaten, welche ungenau und zeitverzögert an den Top-Floor gemeldet werden, wandelt eine Shop-Floor-Lösung Big-Data in Echtzeit in Smart-Data um. Dabei werden Soll-/Ist-Vergleiche an jedem Arbeitsplatz auf jedem gewünschten Endgerät nutzerfreundlich visualisiert. Mit Hilfe einer Synchronisationsplattform stehen auch Daten von internationalen Standorten grenzüberschreitend zur Verfügung.
Fazit: Industrie 4.0 braucht Kommunikationskultur 4.0
Jedes Unternehmen hat individuelle Anforderungen für die digitale Transformation. Für einen erfolgreichen Prozess kann aber grundsätzlich gelten, dass es einer offenen und vitalen Führungs- und Kommunikationskultur 4.0 bedarf. Diese sollte als Prozess verstanden, welcher vor der Einführung einer neuen Technologie gestartet wird. Erst beides zusammen, eine moderne Transformations-Kultur als notwendiges Biotop für die Einführung einer digitalen Technologie, bringt Unternehmen die gewünschten smarten Ergebnisse in der Industrie 4.0. (mb)