Arbeitssituationen sollten das Lernen zulassen

Der Personalentwickler muß auch Strategien entwickeln

05.06.1992

Wozu betreiben Unternehmen Personalentwicklung? Zur Nachhilfe bei Qualifikationsdefiziten? Zur Förderung der Karriere? Als Sozialleistung? Wer nachfragt, bekommt meist nur Lippenbekenntnisse. Helmut Hofstetter* beschreibt die Aufgaben, Schwierigkeiten und Ziele der Personalentwickler.

Der Personalentwickler kann viele Funktionen einnehmen: Mauerblümchen, intellektueller Spinner, Handlanger, Feuerwehr, Alibi, Kosmetiker. Selten beschäftigt er sich mit strategischen Fragen. Das hängt zum einen mit der Rolle der Personalabteilung generell zusammen. Als Aufmunterer der Schwachen und Zweifelnden, als Dämpfer der Aufmüpfigen werden ihr gerne alle unangenehmen Aufgaben zugeschoben. Linienmanager rechtfertigen gerne ihre Widerstände und Ängste, die eigenen Mitarbeiter zu entwickeln, mit Arbeitslast und Zeitnot.

Der Personalentwickler stört das labile Machtgleichgewicht herrschaftlicher Führer, konspirierender Cliquen und konzeptionsloser Managementstrukturen. Soll er nicht in falsche Rollen schlüpfen müssen, bedarf es einer sehr guten Unternehmenskultur: einer Kultur, die nicht ein Immunsystem gegen Entwicklungen darstellt, sondern einer, die Entwicklung als oberstes Ziel lebt und honoriert.

Viel Papier für nichtssagende Thesen

Stäbe reagieren auf das Thema Personalentwicklung gerne mit nichtssagenden Thesen, die sie intern und extern mit viel Papier vermerkten. Zwangsläufig bleibt es aber bei bloßer Makulatur und bürokratischen Prozeduren, solange strategisches Denken zum Thema Personal Mangelware ist. Erst wenn die "Personaler" bei Entscheidungen über die Geschäftsstrategie mit einbezogen werden und Fachabteilungen in ihre Überlegungen nicht nur Produkte und Markt, sondern auch die entsprechenden Mitarbeiter berücksichtigen, kann Personalentwicklung einen Sinn bekommen. Ziel könnte zum Beispiel sein, schwer zu imitierende Kompetenzen aufzubauen oder alle Aktivitäten auf die veränderten Kundenbedürfnisse aus-

zurichten.

Daß Kundenzufriedenheit Ziel der Personalentwicklung sein kann, mag manchen überraschen, weil man mit ihr eher die Mitarbeiterzufriedenheit assoziiert. Aber der Erfolg eines Unternehmens steht und fällt mit der Brillanz der Mitarbeiter, die wiederum Ziel jeder Personalentwicklung ist.

Digital hat versucht, Personalentwicklung an den strategischen Unternehmenszielen auszurichten. Weichen quantitativen und qualitativen Mitarbeiterstamm braucht das Unternehmen in den nächsten Jahren, um die Ziele

- Rentabilität (Profit) im Reifezyklus des Unternehmens,

- Gewinnung von Marktanteilen in bedrohten, aber auch neuen Marktsegmenten,

- Kundenzufriedenheit bei zunehmendem Wettbewerbsdruck,

- dezentralisierte Organisation,

- Motivation, Kompetenz und Führungsstärke in härteren Zeiten zu erreichen?

Die Personalentwicklung sieht sich dabei in dem Dilemma, sich zwischen vielen kleinen Patentrezepten oder dem großen, ganzheitlichen Metakonzept zu entscheiden. Beides führt zum Untergang, denn die Insellösungen kommen sich gegenseitig in die Quere und die großen Konzepte landen in der Schublade.

Die Kunst besteht darin, ein komplexes, aber nicht kompliziertes System zu entwickeln ein zielgerichtetes, integriertes; umfassendes Management der Humanressourcen.

Das "People Development Program" bei Digital besteht aus vernetzten Bausteinen. Ziel ist, die Schlüsselkompetenzen der Mitarbeiter für ihre heutigen und künftigen Aufgaben zu fördern. Eine Reihe von Bausteinen dient der Entwicklung des Mitarbeiters während seines Firmendaseins.

Der Vorteil dieses strukturierten Designs ist, daß es übersichtlich, flexibel und maßgeschneidert für unterschiedliche Bedürfnisse ist. Zum Beispiel können die Bausteine mit unterschiedlichen Inhalten je nach Region, Funktion oder Managementerfahrung gefüllt werden, zum Beispiel Entrepreneurship, "think customer", "total quality", "Top Management meets First Liners".

Da Linienmanager glauben, alles besser zu wissen, können sie die Boxen auch selbst füllen und nur nach subjektivem Bedarf Hilfe und Material anfordern. Das System kommt damit der Praxis entgegen und nicht umgekehrt. In Regeln und festen Strukturen denkende Menschen mögen sich dabei die Haare sträuben. Sie seien beruhigt: Es kommt nicht auf das Formular an, sondern auf das Einhalten eines definierten Prozesses. Bei der Steuerung dieses Prozesses dürfen die Personalmanager das Ruder nicht aus der Hand geben.

Teure Kandidaten verschwinden plötzlich

Die eine Hälfte der Personalplanung besteht in der Erfassung der vorhandenen Ressourcen, und dies sowohl quantitativ (jobbezogene Aktivitäten) als auch qualitativ (aktuelle und potentielle Fähigkeiten). Die andere Hälfte ist die Operationalisierung von Marketing- und Accountplänen in Personalbedarf. Es empfiehlt sich dringend, für die Personalplanung und Personalbeschaffung eine gemeinsame Sprachgrundlage in Form verbindlicher Anforderungsprofile für Schlüsselpositionen zu schaffen. Der Generierungsprozeß erfolgt sowohl von unten nach oben mit Hilfe der Critical Incident Methode als auch top-down in Experteninterviews mit den Strategen des Hauses. Der Personalentwickler muß dabei für einheitliche Dimensionen (zum Beispiel Fach-, Prozeß-, Sozial-, Führungskompetenz) und Skalierung sorgen.

Personalentwicklung beginnt spätestens mit der Personalbeschaffung. Holt man sich nämlich die falschen Mitarbeiter an Bord, gibt es meist nicht mehr viel zu entwickeln. Und es scheint verbreitete Praxis zu sein, schnell (am besten gestern) Löcher zu stopfen und sich wenig Gedanken zu machen, was aus dem neuen Mitarbeiter in zwei Jahren werden soll.

Die Personalplanung stellt offensichtlich eine äußerst schwierige Aufgabe dar. Die meisten Firmen wissen nämlich nicht, was sie wirklich brauchen. Sie kaufen teure Kandidaten ein und wundern sich, wenn diese dann plötzlich frustriert verschwinden.

Beim Personalmarketing wird oft vergessen, daß es nicht nur einen Markt mit Kunden, sondern auch einen Arbeitskräftemarkt gibt. Hier als Arbeitgeber das richtige Image zu haben, bedeutet, weiche und harte Faktoren in eine attraktive Mischung zu bringen: PR-Maßnahmen, Personalpolitik, Unternehmenskultur, Produktmarketing und Unternehmenserfolg.

Die Rekrutierung ist ein Feld, auf dem sich Personalentwickler Meriten verdienen können. Aber bei einer Erhebung, wieviel Zeit die Interviewer und wieviel die Bewerber reden, würden die meisten Unternehmen zu unliebsamen Ergebnissen kommen. Digital hat mit einem Prozeß namens BAP (Bewerber-Auslese mit Profil) mit Anforderungsprofil über Frage- und Spieltechniken bis zur Konsensentscheidung die Ergebnisse der Rekrutierung verbessert. Assessmentcenter oder andere Tests werden nicht mehr benötigt. Die "Abwicklung" von überzähligen Mitarbeitern wird gerne tabuisiert. Dabei zeigen gerade Krisen überdeutlich, wie fair ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitern umgeht. Es ist klar, daß eine Politik des Hire und Fire das Personalmarketing torpediert.

Vor der Förderung muß man sinnvollerweise das Potential identifizieren. Aber wie kann ein Unterernehmen herausfinden, welche Stärken und Schwächen ein Mitarbeiter hat und wie diese einzuschätzen sind? Merkmalsorientierte Beurteilungsverfahren? Assessment Center? Wer soll die Beurteilung durchführen? Gerade hier geraten die Entscheidungen rasch zu einem Politikum.

Qualitätszirkel statt stumpfsinniger Routine

Nach dem sozialdarwinistischen Motto - die Guten setzen sich immer durch - suchen etliche Organisationen ihr Heil in Selbstentwicklungspaketen. Der Mitarbeiter analysiert selbstverantwortlich mit Fragebogen seine Stärken und Schwächen und bekommt Tips, was er daraus machen könnte.

Oft machen sich die potientiellen Führungskräfte z -u hohe Erwartungen, während die nicht Erwählten die Frustration heimsucht. In diesem Zusammenhang muß die Personalabteilung regulierend eingreifen.

Kompetenz entwickelt sich besser im richtigen Leben als im Klassenraum. Insbesondere, wenn Arbeitssituationen Lernen zulassen und fördern (und nicht zum Beispiel Fehler sofort sanktionieren). Entwicklung am Arbeitsplatz hat deshalb viel zu tun mit Arbeitsinhalten und -formen. Qualitätszirkel bewirken sicher mehr als stumpfsinnige Routine, und der Manager, der als Mentor oder gar als Coach agiert, erreicht sicher mehr als der Instruktor.