Social Media Conference

"Der Mob auf Facebook wartet nicht"

27.10.2010 von Simon Hülsbömer
Gerade im Social Web ein Problem: Was tun, wenn über das eigene Unternehmen schlechte Nachrichten verbreitet werden? Eins ist sicher: (Fast) Alles ist besser als nichts zu tun.

Ob Greenpeace eine virale Protestkampagne gegen Nestlé-Produkte startet oder die Deutsche Bahn mit der Ankündigung eines exklusiven Facebook-Cheftickets gar noch selbstverschuldet ins Fettnäpfchen tritt: Unternehmen, die in Social Media zwar präsent sein wollen, sich aber nicht konsequent mit deren Einfluss und Bedeutung auseinandersetzen, können schnell Probleme bekommen. Darüber waren sich die Teilnehmer des Diskussionsforums "Krisen-PR" im Rahmen der ersten Social Media Conference in München einig. Mehrere Hundert Branchenvertreter, vornehmlich aus den Presse- und Marketingabteilungen großer und mittelständischer Unternehmen, debattierten dort zwei Tage lang über die Folgen der digitalen Öffentlichkeit.

Mirko Lange, Geschäftsführer der PR-Agentur talkabout communications, forderte im Rahmen des Panels dazu auf, jeden Nutzer auf Facebook, Twitter, Xing oder anderen Kanälen von Anfang an ernst zu nehmen und keinesfalls zu ignorieren. Kunden, die sich übergangen und nicht beachtet fühlten, könnten schnell für den einen oder anderen "Shitstorm" sorgen - also eine Welle von negativen Kommentaren und Bewertungen über ein Unternehmen und seine Produkte lostreten, die kaum mehr unter Kontrolle zu bringen sei.

Zwei Fälle aus den letzten drei Wochen

Beispiele für die Macht des Social Web gibt es in jüngster Zeit genug: Vor drei Wochen musste Helmut Hoffer von Ankershoffen, Ex-Chef von WeTab-Hersteller Neofonie, seinen Hut nehmen, nachdem Journalist Richard Gutjahr dessen überbordende Lobeshymnen auf das eigenen Produkt in seinem Blog öffentlich gemacht und innerhalb von Stunden eine breite Öffentlichkeit hergestellt hatte - auch dank der Hilfe reichweitenstarker Portale wie Spiegel online. Wohlgemerkt: Zwischen Gutjahrs Veröffentlichungen (an einem Samstag!) und von Ankershoffens Rücktritt lagen keine drei Tage. Ein anderes Beispiel ist die Schlammschlacht zwischen Medienjournalist Stefan Niggemeier und Verleger Konstantin Neven DuMont: Nachdem Niggemeier mit dem Verdacht, DuMont "störe systematisch" seinen Medienblog, an die Öffentlichkeit ging, sah sich der Verleger schnell in einer peinlichen Situation wieder, die sofort auf sein gesamtes Unternehmen abfärbte. Heute steht DuMont kurz vor dem Ausscheiden aus seinem Amt.

Aussitzen ist tödlich

Wie wichtig eine schnelle Reaktion auf negative Kritik im Social Web ist, verdeutlichte Social-Media-Berater Björn Ognibeni, der unter anderem für die Deutsche Bahn tätig ist. Bei unternehmerischen Unstimmigkeiten und damit einhergehenden kritischen Nachfragen von klassischen Journalisten könne die Pressestelle durchaus schon einmal auf den nächsten Tag vertrösten. Bei der steigenden Öffentlichkeit, die Blogger, Twitterer und andere Social-Media-Aktive genießen, gelte dieser Grundsatz kaum noch. "Der Journalist legt den Hörer auf und wartet auf die Antwort aus der Pressestelle. Der Mob auf Facebook wartet aber eben nicht. Da muss sich die PR gewaltig umstellen", so Ognibeni. Der Tipp aus der Runde: Häufig würde es bei schon reichen, zunächst eine Standardantwort nach dem Motto "Danke für Ihre Anfrage. Wir prüfen sie und melden uns wieder" zu geben. Wichtig sei natürlich, später auch wirklich ausführlich zu antworten - die erste Gefahr eines "Shitstorms aus dem Nichts" sei durch die kurzfristige Rückmeldung in den meisten Fällen jedoch schon gebannt.

Was legal ist, ist noch lange nicht legitim

Ein grundsätzliches Problem, mit dem viele Unternehmen zu kämpfen hätten, sei die eigene Rechthaberei, so Lange. Auch wenn das Unternehmen formal im Recht sei - beispielsweise bei der Abmahnung von Bloggern, die negative Aussagen über ein Unternehmen treffen oder sogar Unternehmensinterna veröffentlichen - sei es selten ratsam, dieses Recht mit allen Mitteln einzufordern. "Legalität ist im Social Web nicht das Gleiche wie Legitimität", warnte der PR-Mann vor der schnellen juristischen Keule. Robert Bartel, Syndikusanwalt der Deutschen Bahn, pflichtete ihm bei und erläuterte, dass der Streisand-Effekt (stark negative PR durch Beharren auf dem eigenen Recht) durch Besonnenheit verhindert werden könne. Als Beispiel führte er den Fall des Blogs Netzpolitik.org ins Feld. Dessen Betreiber Markus Beckedahl hatte im Zuge des Bahn-Datenskandals Anfang 2009 DB-interne Unterlagen veröffentlicht und damit nach Auffassung der Bahn-Verantwortlichen einen illegalen Geheimnisverrat begangen. Die Bahn verklagte den Blogger aber nicht, weil wegen fehlender Rechtssicherheit ein erfolgreicher Prozessausgang nicht garantiert werden konnte und der zu befürchtende Imageschaden durch einen solchen Prozess in der ohnehin polarisierenden Datenschutzdebatte zu groß gewesen wäre. Langes Tipp: "Der Klügere gibt nach - und das muss nicht immer unbedingt der sein, der im Recht ist."

Kommunikation ist alles

Ibrahim Evsan, einst Gründer der Videoplattform Sevenload und heute Chef des Social-Gaming-Anbieters United Prototype, erzählte schließlich, wie er und sein Team seit jeher mit drohender Kritik aus dem Social Web umgehen: "Wir nehmen uns ein bisschen Zeit für den Kritiker, reden ein bisschen mit ihm und machen ein Video zum Thema. Problem gelöst!" Was sich fast schon zu simpel und unkonventionell anhört, habe bisher immer funktioniert. Schlussfolgerung des Panels: Was zählt, ist einzig und allein die auf sachlicher Ebene existierende Kommunikation mit dem Nutzer.