3D-TV

Der Megatrend, der keiner ist

10.09.2010 von Panagiotis Kolokythas und Maximilian Gaub
100.000 3D-Fernseher sollen bis Ende 2010 in deutschen Wohnzimmern stehen. Dabei schadet zu viel 3D-TV-Konsum Augen und Gehirn. Kein Problem, meint ein Experte. Die Technologie werde sich ohnehin nicht durchsetzen.

Es sollte „the next big thing“ werden, der nächste Megatrend: Virtual Reality (VR), das totale Eintauchen in eine Computerwelt, damals in den 1990er Jahren: Der Nutzer setzte einen Helm mit zwei integrierten Bildschirmen auf – und erlebte die Illusion einer digitalen Welt in drei Dimensionen. Sega zum Beispiel arbeitete an einem Prototypen für seine Konsole. Bis erste Probanden von Störungen ihrer Tiefenwahrnehmung berichteten. „Deswegen kam das System nie auf den Markt“, erzählt Mark Pesce, damals VR-Experte bei Sega.

Megatrend 2010: 3D im Kino, via Zeitung und bald via Fernseher
Heute spricht niemand mehr von den Helmen. 2010 schreien Medien den dreidimensionalen Trend auf dem Fernseher in die Öffentlichkeit, die IFA soll das Fest der neuen Heimtechnologie feiern. 3D-TV ist der neue Megatrend. Das ist wenig überraschend. Schließlich prägt 3D das neue Jahrzehnt, taucht zunehmend in unserem Leben auf. Natürlich im Kino – nach dem Erfolg von Avatar laufen dieses Jahr auch B-Streifen wie Piranhas oder Jackass mit optischem Tiefgang. Einmalig in der Zeitung – die Bild-Zeitung legt ihrer Zeitung am 28. August als Beilage eine rot-grüne-Brille bei. Inklusive Illusion, Titelmädchen Silvana zeige nun noch mehr. Irgendwann auch auf dem Handy – Nokia und Intel haben dazu im August ein gemeinsames Forschungszentrum gegründet.

Wal im Wohnzimmer: Hersteller werben mit intensiverem TV-Erlebnis. (Foto: Samsung)
Foto: Samsung

Prognosen: 25 Millionen verkaufte Geräte bis 2012
Und eben auf dem Fernseher. Der Branchenverband BITKOM rechnet mit 100.000 verkauften Geräten in Deutschland bis Ende des Jahres. Weltweit sollen es sechs Millionen werden, 2012 sogar 25 Millionen. Und für 2014 prognostizieren die Marktforscher von IMS Research: Jeder elfte Haushalt weltweit wird stereoskop fernsehen, in den USA annähernd jeder zweite.

Problem: Zu wenig Signale und ein Paradoxon für das Gehirn

Brillant: 3D im Kino ist ein Genuss. Wird es zuhause eine Qual? (Foto: GretchensFrage / flickr)

„Dann erleben wir das größte Gerichtsverfahren in der Geschichte des Planeten“, mutmaßt VR-Pionier Mark Pesce, heute Juror in einer Erfinder-Sendung im australischen Fernsehen und Dozent an der Universität von Sydney. Er sieht es als erwiesen an, dass die aktuelle Technik hinter der künstlichen Dreidimensionalität die Wahrnehmung der echten Welt beeinflusst. Seine Argumentation: Unser Gehirn verarbeitet in der Realität viel mehr Signale, um zu berechnen, wie nah oder weit etwas von uns weg ist. Die Technologie, die Dreidimensionalität auf Bildschirmen herstellt, benutzt allerdings nur einen Teil dieser Signale. Andere Forscher verweisen zudem auf einen Konflikt, der beim Betrachten von 3D-Bewegtbildern entsteht: Unsere Augen fokussieren dabei nämlich auf die Oberfläche des Bildschirms – tatsächlich aber liegt der Fokuspunkt hinter dem Screen. Ein Paradoxon, das manchen Zuschauern Kopfschmerzen bereitet.

Folgen: Was passiert, wenn wir den ganzen Tag 3D fernsehen?
Pesce folgert: Das Gehirn verlernt so die Wahrnehmung der Welt. Das ist nach dem Genuss eines zweistündigen 3D-Kinofilms selten ein Problem – spätestens im Parkhaus hat sich das Gehirn wieder an die Realität gewöhnt. Was aber, wenn die Flimmerkiste jeden Tag stundenlang dreidimensionale Bilder in die Augen der Menschen projiziert?

„Gerade bei Kindern mache ich mir Sorgen“, sagt Simon Watt. Er arbeitet als Dozent an der Bangor University in Wales, leitet dort die Forschung für visuelle Raumwahrnehmung, darunter Studien zu 3D-Bildschirmen. Er warnt davor, Kinder zu lang dem Konsum dreidimensionaler Inhalte auszusetzen. Schließlich dauert es oft bis zu zehn Jahren, bis die visuelle Wahrnehmung von Kindern völlig entwickelt ist. Übermäßiger Genuss von 3D-TV könnte diesen Prozess beeinträchtigen.

Weniger ist mehr: Hersteller wie Sony warnen davor, Kinder unkontrolliert 3D konsumieren zu lassen. (Foto: Sony)
Foto: Sony

Reaktion der Hersteller: Hinweise in Nutzungsbedingungen
Das wissen auch die Hersteller. Und alarmieren daher prophylaktisch. Samsung zum Beispiel informiert auf seiner Webseite: Langes Betrachten von 3D-Bilder kann zu Augenbelastungen führen. Wer Epileptiker in der Familie hat, sollte vor dem 3D-Genuss einen Arzt konsultieren. Und Sony rät dazu, Kinder beim 3D-Fernsehen ständig zu überwachen.

Stereoskope glaubt: "Sauber produziertes 3D kostet zu viel"

Aber: Auf den Bildschirm kommt es nicht an, sagt Jürgen Horn, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie, die Qualitätsstandards von Stereoprojektionen definiert. Sondern auf die Filmproduktion. „Das Entscheidende ist die Aufnahmetechnik und die Verarbeitung der Bilder“. Unsachgemäße Produktionen ermüden Augen und Hirn schneller. „Ein sauberes 3D-Bewegtbild muss zum Beispiel durchgehend scharf sein. Unschärfen versucht das Auge scharf zu stellen.“ Auch wichtig: Die beiden Bilder müssen exakt aufeinander abgestimmt sein: bildidentische Punkte müssen immer die gleiche Höhe haben. Jede Abweichung strengt den Organismus an. Und das führt bei längerer Betrachtungsdauer zu Kopfschmerzen und Übelkeit.

3D-Experte Horn: Ein sachgemäßes 3D-Fernsehprogramm rund um die Uhr ist zu aufwändig. (Foto: privat)

Deutsche Gesellschaft für Stereoskopie: Gutes 3D kostet zu viel
Irreparable Schäden bei Langzeitnutzung aber fürchtet Horn nicht. Denn: „3D im Wohnzimmer setzt sich mit Sicherheit nicht durch.“ Sein Begründung: Eine saubere 3D-Justierung von Videos kostet zu viel Geld, ein 3D-Fernsehprogramm rund um die Uhr sei viel zu aufwändig. Nicht jeder kann sich hochprofessionelle Filmproduktion à la Avatar leisten. Automatisch umgerechneten 2D-Bilder zum Beispiel fehlt aber aktuell die nötige Präzision, um dem Zuschauer Schmerzen zu ersparen.

Horn wird sich daher keinen 3D-Fernseher kaufen. Warum auch? Durch Fahrbewegung in Videos entstehen im Kopf ohnehin dreidimensionale Bilder. „Achten Sie bei Radrennübertragungen bei Bildern der fahrenden Kamera auf den Hintergrund", erklärt er. „Die Landschaft sehen Sie räumlich, weil das Gehirn das letzte Bild behält und das neue dazurechnet." Das Beispiel zeigt: 3D-TV ist schon lange ein Megatrend.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation PC-Welt.