IT im Wandel

Der klassische CIO steht vor dem Aus

21.09.2011 von Gérard Richter
Die IT muss sich neu erfinden, und mit ihr auch die CIOs. Gérard Richter von Oliver Wyman sagt das Ende der klassischen IT voraus.
Die IT wandelt sich, und mit ihr das Berufsbild der CIOs.
Foto: Fotolia, imageteam

Die IT muss sich neu definieren - weg von ihrem Ruf als schwerfällige Zentralfunktion im Unternehmen hin zu einem Enabler von Informationen und Prozessen. Für die klassische IT ist da kein Platz mehr. Es geht nicht mehr darum, welche Hardware eingesetzt und welche Software implementiert wird. Entscheidend ist, wie der Informationsfluss zwischen den Geschäftsprozessen sowie die Geschäftsprozesse selbst optimiert werden und damit zum Geschäftserfolg beitragen können. Dabei wird der stete Wandel im Arbeitsfokus eines CIO stehen, bedingt durch die vielen Innovationen sowie die zunehmenden technischen Möglichkeiten.

Renaissance von CIO und IT

Gérard Richter ist sich sicher: "Klassische CIOs werden in zehn Jahren der Vergangenheit angehören."
Foto: Oliver Wyman

Denken Sie an folgendes Zukunftsszenario: Die IT beherrscht unser Leben immer mehr und ist dabei kaum sichtbar. Sie ist Commodity, also Massenware. Die Erfahrung des Anwenders spielt eine größere Rolle als die Technologie selbst, und schließlich übernehmen die Geschäftsbereiche die IT als eine ihrer Kernkompetenzen. Und ganz ehrlich: Vor diesem Hintergrund ist es schwer vorstellbar, dass IT-Abteilungen überleben, in denen sich bis zu 90 Prozent der Mitarbeiter ausschließlich damit beschäftigen, IT-Infrastrukturen zu betreuen, Daten zu pflegen und kaum wahrnehmbare Anpassungen am Software-Code durchzuführen. Keinesfalls soll das den Niedergang von CIO und IT vorhersagen. Im Gegenteil: Es spricht für deren Renaissance und Weiterentwicklung.

In den Anfängen der Datenverarbeitung wussten die "alten IT-ler" genau, warum sie ihre Rechner mit Lochkarten fütterten. Sie gaben Daten ein, um Kalkulationen zu erstellen. Die Informationen wurden dann an das Unternehmen weitergegeben, damit diese das richtige Vorgehen festlegen konnten. Irgendwo auf diesem Weg allerdings wurden sie durch die vielen neuen Technologien aus dem Konzept gebracht.

Die IT-Story wurde zur Story über Blade-Server, Virtualisierung, Software-as-a-Service, mobile Technologien, Embedded Systems und Cloud Computing. Paradoxerweise machten genau diese Technologiesprünge die IT weniger sichtbar. Es interessiert heute fast niemanden mehr, was im Hintergrund eigentlich abläuft. Wir haben den klassischen Fall von "Back to the Basics" in der IT: Um welche Daten geht es, welche Erkenntnisse können wir daraus ziehen und was müssen wir als Nächstes tun? Letztlich sollte die IT wieder auf Informationen basieren und nicht auf Technologien.

CIOs werden Mitglieder einer Fachabteilung

Mit dieser grundlegenden Veränderung im Kopf müssen sich CIOs und IT-Manager die Frage stellen: Warum speichern wir all diese Informationen? Je nach Antwort wird es für sie grundsätzlich zwei Wege geben: Eine Möglichkeit ist, die IT als eine Plattform zur Unterstützung der Kernprozesse im Unternehmen zu nutzen. Aufgabe dieser CIOs wird es weniger sein, Informationen für Services wie E-Mail oder Datenserver bereitzustellen. Sie werden vermutlich vielmehr Mitglieder einer der Fachabteilungen werden, deren Geschäftsprozesse sie ohnehin bestens verstehen.

Die andere Möglichkeit ist, die Informationen als wirkliches Asset in das Unternehmen einzubeziehen und für die Verbesserung der Wettbewerbsposition nutzbar zu machen. CIOs, die sich für diesen Weg entscheiden, werden Transparenz in die bei Geschäftsprozessen entstehenden Informationen bringen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag, indem sie Daten strukturieren, aufbereiten und sie für die Integration in neue und flexible Tools bereitstellen.

In etwa 3.000 Tagen wird es entweder Information Manager geben, die in die Fachabteilungen integriert sind. Oder Information Officer, die das "beste Verständnis" haben - sowohl für alle Prozesse innerhalb eines Geschäfts als auch für Informationen, die durch diese Prozesse generiert werden. Besser als andere im Unternehmen können diese Information Officer dann aufzeigen, wie ein Prozess optimiert werden kann und wie sich damit Kosten einsparen und mehr Umsatz generieren lassen. Egal in welcher Ausprägung: Das Berufsbild des CIOs wird in zehn Jahren mit dem heutigen nicht mehr vergleichbar sein. Ob der Titel fortbestehen wird, ist offen. Die Tätigkeit wird dann aber treffender als Chief Change Officer beschrieben.

Diskussionen über Sinn und Unsinn von Smart Grids vergessen

Vergessen werden sollten Diskussionen über Sinn und Unsinn von computergesteuerten Wäschetrocknern und Smart Grids. Das ist der ganz normale Fortschritt, der mit der Entwicklung neuer Geräte und leistungsfähiger technischer Infrastrukturen in unser Leben Einzug hält. Was uns vielmehr beschäftigt, ist die Wahrnehmung der IT: In den vergangenen 120 Jahren - 1890 wurden Lochkarten für die Volkszählung in den USA eingeführt - hat uns eigentlich nur interessiert, in welche Datenbank wir uns einloggen und welche Geräte und Software-Anwendungen wir nutzen.

Jetzt aber messagen Teenager, anstatt sich E-Mails oder SMS zu schreiben. Arbeitnehmer loggen sich ein und rufen Daten ab, anstatt eine ERP-Anwendung zu starten und Inventarlisten herunterzuladen. Die IT verschwindet immer mehr im Hintergrund. Sie ist ebenso selbstverständlich geworden wie Elektrizität oder andere Dinge, die früher einmal Hightech waren.

In den vergangenen Jahren diskutierten Nutzer darüber, welche Software sie auf ihrem Notebook, Netbook, Smartphone oder Tablet-PC verwenden. 2011 dagegen öffnen genau diese Leute einfach nur ihren Browser, um miteinander zu kommunizieren, nach etwas zu suchen oder einzukaufen. Wenn Sie sie fragen, was sie gerade machen, wird die Antwort vermutlich Facebook, Google oder Amazon lauten.

Sichtbarste Veränderung der IT im Privatleben

Am sichtbarsten ist diese Veränderung im Privatleben. Doch die gleiche Entwicklung beobachten wir auch in den Unternehmen. So ersetzen Blogs und RSS Feeds interne Newsletter, soziale Netzwerke verbessern die unternehmensinterne Organisation und die Zusammenarbeit, überholte Datenbanktechnologien werden durch Enterprise Search Engines ersetzt, und E-Mails weichen Messenger Chats oder Videokonferenzen am Desktop.

Natürlich spielt die Technologie nach wie vor eine große Rolle. Aber mit jedem Jahr, das vergeht, stehen den Nutzern mehr Möglichkeiten zur Verfügung, um sich schnell und effizient mit Spezialisten auszutauschen, komplexe Fragestellungen durch effektivere Informationsbeschaffung schneller zu lösen und letztendlich die Innovationsgeschwindigkeit zu steigern.

Die IT wird nicht mehr mit Technologie begeistern

Die IT wird nur noch Informationsbedürfnisse befriedigen und nicht mehr mit Technologie begeistern. Wir werden sogar die Welt verlassen, in der die Technologie unser Verhalten bestimmte. Wir hatten einen Firmen-PC und haben uns in das Netzwerk hinter einer Firewall eingeloggt. Wir nutzten spezielle Anwendungen, um uns mit verschiedenen Firmendatenbanken zu verbinden. Heute wissen wir, was wir wollen, und nutzen dafür den einfachsten Weg: Browser und benutzerfreundliche Schnittstellen, die nahtlos mit der firmeninternen Datenwolke zusammenarbeiten.

In der Vergangenheit wie auch heute waren und sind nicht immer zuverlässige Optionen für die benötigten IT-Services am Markt verfügbar. Und manchmal mussten für bestimmte Infrastrukturen hohe Investitionen vorgenommen werden. So kam es beispielsweise vor, dass eine Anlage einen absolut ausfallsicheren Support rund um die Uhr brauchte. Oder einen lokalen Server, um Spitzenbelastungszeiten auszugleichen. Für solche Fälle konnte die IT im eigenen Haus tatsächlich einen kurzzeitig spürbaren Benefit bringen. Early Adopter der virtuellen Software allerdings waren ihren Wettbewerbern um Jahre voraus - technologisch und vor allem auf der Kostenseite.

As-a-Service-Modelle werden sicher sein

Warum also werden internetbasierte Services nicht stärker genutzt? Heute ist fast jedes erdenkliche IT-Produkt als Service erhältlich: Computing Power, Speicher und Anwendungen. E-Mail ist ein erstklassiges Beispiel dafür, wie eine IT-Leistung ganz einfach außer Haus gegeben werden kann. Dennoch machen die meisten Unternehmen nach wie vor keinen Gebrauch davon. Das aber wird sich 2021 geändert haben. Die Bedenken gegenüber Datensicherheit und -verfügbarkeit werden mit zuverlässigen As-a-Service-Modellen ausgeräumt sein und damit die IT-Abteilungen unter hohen Handlungsdruck gesetzt. Die Verantwortlichen werden dann erklären müssen, warum sie mehr Geld für selbst entwickelte Lösungen ausgeben, die noch dazu weniger Funktionen und geringere Flexibilität bieten.

Wenn interne IT-Abteilungen künftig noch eine Berechtigung haben, dann vermutlich durch die Entwicklung spezieller Anwendungen für die Fachabteilungen. In den vergangenen drei Jahrzehnten mussten viele Unternehmen ihre eigenen Programme schreiben, um sich einen Wettbewerbsvorteil durch die IT zu sichern.

Geschäftsproblem wird unabhängig von Technologie gelöst

Ein Beispiel: Für ein Kundenkartenprogramm wurde eine Funktion benötigt, die das CRM-System aber nicht unterstützte. In diesem Fall hatte die Firma keine andere Wahl, als die Ärmel hochzukrempeln und selbst zu programmieren. Es lag in der Verantwortung des Geschäftsbereichs, genau zu beschreiben, was sie brauchten. Und die IT hatte die Verantwortung, es genau so zu liefern. Für die IT allerdings ist es sehr schwer, einen Beitrag zu liefern, wenn sie nur eine rein technische Position im Unternehmen einnimmt. Am Ende verzögern und verteuern quälende Diskussionen über Machbarkeit und Nutzen das Projekt.

In den Strukturen von 2021 gedacht, wäre diese spezielle Funktion des CRM-Systems am Markt verfügbar. Der entsprechende Dienstleister des Unternehmens würde auf Anfrage des Projektleiters, der mittlerweile in der Geschäftseinheit für den Prozess und sein Ergebnis verantwortlich ist, eine Lösung präsentieren und diese in die bestehende CRM-Plattform integrieren. Der Projektleiter löst damit ein Geschäftsproblem unabhängig von der technologischen Lösung, die für ihn als Process Owner ohnehin weniger relevant ist. Er nimmt dabei auch die Rolle des computererfahrenen Einkaufsmanagers wahr, der die Dienstleistungen seines Vertragspartners versteht und schließlich sein Ziel erreichen kann: die flexible und zuverlässige Abdeckung der Kundenanforderungen.

Ab 2021 wird der CIO eine völlig neue Rolle einnehmen. Heute zerbrechen sich die meisten IT-Abteilungen über zwei Dinge den Kopf: wie sie die Basisinfrastruktur erhalten und wie sie geschäftsspezifische Anwendungen anpassen und betreiben können.

Nur wenige Mitarbeiter werden in einer klassischen IT-Abteilung arbeiten

Von 2021 an aber werden nur noch wenige Mitarbeiter in einer klassischen IT-Abteilung arbeiten, etwa Spezialisten für besonders kritische Infrastrukturkomponenten. Die meisten Mitarbeiter, die sich um Applikationen kümmern, werden in die Geschäftsbereiche integriert sein und sich primär um die Prozessabläufe sowie die benötigten Daten kümmern. Andere Mitarbeiter werden sich auf die Nutzung von Daten und deren intelligente Verknüpfung fokussieren, um dem Unternehmen auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse einen kürzeren Innovationszyklus und damit eine bessere Wettbewerbsposition zu ermöglichen. Auch der CIO wird einen der beiden Wege gehen müssen.

Der Trend zu Konsolidierungen wird sich künftig über alle Industrien hinweg weiter verstärken. Auch die Komplexität von Geschäftsmodellen nimmt zu. In diesem makroökonomischen Umfeld wird es für Unternehmen im Jahr 2021 entscheidend sein, Kundenanforderungen schnell in stabile Prozesse und damit in Produkte und Dienstleistungen umzuwandeln. Darüber hinaus müssen sich die Unternehmen in Zukunft mehr Gedanken über die intelligente Identifizierung, Strukturierung und Nutzung von Daten machen, um im weitgehend globalisierten Wettbewerb bestehen zu können. Welche Rolle dabei einem CIO mit dem Aufgabenprofil von heute zukommt? Wahrscheinlich keine.

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Der CIO von 2021 wird sich zu einem CCO entwickelt haben, der nah an den Geschäftsprozessen agiert, Technologien nutzt und stets an Verbesserungen arbeitet. Gleichzeitig beschäftigt ihn, wie die verfügbaren, aber unüberschaubaren Datenmengen gewinnbringend im Unternehmen eingesetzt werden können. Er muss dabei mit Adleraugen auf das gesamte Wissen der Organisation blicken und überlegen, wer die Daten sammelt, welche Erkenntnisse daraus abgeleitet werden können und welche Entscheidungen auf dieser Basis getroffen werden sollen.

Der Chief Change Officer wird in der Pole Position sein

Letztlich wird der CIO Teil eines kleinen Personenkreises im Unternehmen sein, der diese Fragen beantworten kann. Diese CIOs werden also nicht zu irgendeiner Hilfsfunktion degradiert. Sie werden Einblicke bekommen und Vorschläge machen können, wie es sonst keinem anderen Abteilungsleiter möglich sein wird. Im Jahr 2021 werden sie in der Pole Position sein, um die Stelle des CCOs zu übernehmen.

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