Knowledge Management

Der Kampf um das Wissen hat begonnen

21.07.2008 von Dr.Ralf Meyer und Oliver  Tacke
Der demografische Wandels und der Fachkräftemangel zwingen Unternehmen Strategien zu entwickeln, wie sich das Know-how ihrer Mitarbeiter bewahren und vermitteln lässt.

Eine der größten Herausforderungen für Unternehmen ist mittlerweile der "Talentekrieg". Aufgrund der demografischen Alterung wird qualifiziertes Personal knapp: Ganze Jahrgangsgruppen älterer Mitarbeiter verabschieden sich in den Ruhestand, und frei werdende Stellen lassen sich nicht mit jungem Nachwuchs besetzen. Dadurch geht zum einen viel Erfahrung verloren, zum anderen fehlt es an frischem Wissen, das man braucht, um langfristig innovativ und erfolgreich zu bleiben. Hinzu kommt, dass Bewerber beim Berufseinstieg jünger sind als früher, weil Schulzeit und Studium sowie Wehr- und Zivildienst verkürzt wurden.

Erfahrungen austauschen

Eine Tag Cloud, wie hier rechts im Bild, hilft populäre Inhalte schneller zu finden.

Im Gegensatz zu Älteren gehen sie zwar wie selbstverständlich mit Computern und mobiler Kommunikation um, sie "chatten", "simsen" oder "twittern". Aber wer vermittelt ihnen die über das reine Wissen hinausgehende Erfahrung? Unternehmen müssen daher mehr denn je Wege finden, die Kenntnisse und Fähigkeiten vorhandener Mitarbeiter bestmöglich auf neue zu übertragen (siehe auch den Beitrag "Von Toyota lernen: Wissen besser nutzen"). Darüber hinaus müssen erfahrene Mitarbeiter neue Kommunikations- und Kollaborationsformen lernen und anwenden.

Bei der übergreifenden Kommunikation dominieren heute noch Telefonkonferenzen oder der Versand von E-Mails samt Anhängen (siehe auch "Strategien für ein effizientes E-Mail-Management). Dem Empfänger bleibt es überlassen, ob er eine intelligente Ablage und Organisation des nie versiegenden Stroms von Dateien schafft. Verzögerungen durch unauffindbare Dateien und unterschiedliche Versionsstände sind so vorherbestimmt. Muss zudem über Unternehmensgrenzen und Zeitzonen hinweg eine Aufgabe nach diesem Muster bewältigt werden, wachsen die Anforderungen weiter.

Metadaten halten Einzug

Hilfe versprechen neue Ansätze, die die Suche nach dem richtigen Dokument in begrenzter Zeit unterstützen sollen: So soll das "semantische Web" helfen, dank der Nutzung von Metadaten über die Bedeutung von Ausdrücken genauere Treffer für Anfragen zu liefern. Grafische Darstellungsformen wie Schlagwortwolken ("Tag Clouds") helfen ferner, bedeutsame Begriffe hervorzuheben: Je häufiger ein Ergebnis genutzt oder je besser es vom Anwender bewertet wird, desto stärker wird es in der Tag Cloud hervorgehoben (siehe auch den Beitrag der Analysten von Forrester "Web 2.0 bringt Mehrwert in die Unternehmen").

Nicht mehr Dokumente, sondern flexiblere, an den Aufgaben orientierte Verfahren bestimmen künftig die Informationssuche. Vorgänge werden nur noch durch wenige Metadaten repräsentiert, die auf E-Mails, Dateien und Telefonate verweisen und eine Liste der beteiligten Personen (inklusive Kontaktmöglichkeit) bereitstellen. Zugleich ist ersichtlich, wer zu welchem Zeitpunkt welchen Beitrag geleistet hat, um eine Aufgabe zu erledigen. Die Beschreibung des Vorgangs kann auch als Vorlage für den Aufbau von Workflow-Modellen dienen.

Die Nutzung von Wissen erfordert auch seine schnelle Vermittlung. Mit E-Mail und "Push-Diensten" lassen sich Daten zwar schnell und bequem verschicken. Doch eine Echtzeitkommunikation entsteht so nicht. Zudem scheitert E-Mail wie das Telefon bei komplexen Aufgaben: Manche Sachverhalte kann man nur mit Mühe mündlich veranschaulichen, Unterlagen lassen sich nicht gemeinsam einsehen und bearbeiten. Ebenso fehlen Gestik und Mimik, die zu einem besseren Verständnis des Gegenübers beitragen.

Über alle Kanäle

Ein Lösungsansatz sind Videokonferenzsysteme mit einem integrierten gemeinsamen Arbeitsbereich. Sie haben sich aber bisher nicht im großen Stil durchgesetzt, weil ihre Bedienung und Verwaltung als umständlich empfunden wird und die immer noch vergleichsweise hohen Kosten und erforderlichen Verbindungskapazitäten abschrecken.

Eine andere Option sind kombinierte Unified-Communications-and-Collaboration-Lösungen. Sie sollen Kommunikationskanäle in beliebige Anwendungen einbinden, ohne dass der Endanwender die technischen Details kennen muss, und versprechen die Kosten und den Aufwand bei der Sprach- und Datenübertragung zu reduzieren. Entsprechende Systeme helfen unter anderem lokale und Weitverkehrsnetze konsolidieren, sie stellen Sicherheitsfunktionen für alle eingesetzten Geräte bereit und unterstützen Techniken für die bessere Erreichbarkeit von Nutzern.

implizites und explizites Wissen

Doch ein Problem bleibt: Ein großer Teil des Unternehmenswissens steckt in den Köpfen der Mitarbeiter. Scheiden sie aus, geht das so genannte implizite Wissen unweigerlich verloren, da es schlecht in Worte zu fassen ist und folglich nur schwierig und über längere Zeiträume vermittelt werden kann. Seine Weitergabe erfolgt über persönliche Beziehungen und meist nur an direkte Kollegen (siehe auch den Beitrag "Wem gehört das Wissen der Mitarbeiter"). Das explizite Wissen hingegen lässt sich verwalten, beispielsweise in Akten, Archiven oder Datenbanken. Oft sind diese Medien aber schwierig zu bedienen und werden deshalb selten genutzt und gepflegt. Die Qualität des Systems sinkt, das Vertrauen nimmt weiter ab, niemand verwendet das System - ein Teufelskreis (siehe auch "Wie sich wichtiges Wissen planen lässt").

"Wir"-Gefühl statt Eigenbrödler

Lösungen aus dem Web 2.0 verheißen einen Ausweg. Vor allem Wikis bieten jedermann die Gelegenheit, unkompliziert Artikel einzustellen oder zu verändern. Beschränkt man sich zudem bewusst auf wenige unumstößliche Richtlinien, bleibt die Hemmschwelle zur Mitarbeit niedrig (sihee auch das Praxisbeispiel von Fraport).

Die neue Technik allein sorgt zwar nicht automatisch dafür, dass jeder Mitarbeiter sein Wissen teilt, aber sie macht es deutlich einfacher und dadurch wahrscheinlicher. Eine wichtige Rolle spielt hierbei das "Wir"-Gefühl, das Web-2.0-Plattformen erzeugen (siehe auch "Wie Unternehmen das Web 2.0 nutzen"). Man versteht sich als Teil einer Community, die eine eigene Identität aufbaut und gemeinsame Interessen verfolgt. Werden solche sozialen Netze geschickt von Unternehmen eingesetzt, stärken sie die Bindung der Mitarbeiter.

Wissen vergessen können

Es klingt vielleicht paradox, aber Organisationen müssen ihr Wissen nicht nur bewahren, sondern zugleich auch vergessen können. Sollen keine undurchschaubaren und ineffizienten Datenfriedhöfe entstehen, muss man sich von Ballast trennen. Veraltete Informationen lassen sich entweder über intelligente Systeme nach einiger Zeit automatisch löschen oder mit Wiki-ähnlichen Verfahren schnell tilgen.

Anwender können zudem über eine Bewertungsfunktion helfen, wertvolles Wissen von nutzlosem zu unterscheiden. Werden die Autoren positiv eingestufter Inhalte belohnt, entsteht ein sich selbst verstärkender Effekt, der die Qualität eines Wissens-Management-Systems weiter erhöht. Anders sieht es allerdings mit dem Beseitigen von Wissen aus, das im Internet kursiert. Einer Person oder einem Unternehmen wird es heute kaum noch gelingen, unerwünschte oder gar gefälschte Inhalte komplett zu löschen. Jahre zurückliegende Beiträge in Internet-Foren sind schon manchem Bewerber zum Verhängnis geworden.

Selbstorganisation

Das klassische Präsenzlernen wird es auch künftig in Schulungen geben. Es dient aber vorrangig dem Grundlagentraining. Die Vertiefung des Wissens erfolgt hingegen künftig über dezentral organisierte soziale Netze, deren Mitglieder selbstständig Zeit, Ort und Umfang ihrer Weiterbildung bestimmen. Sie kommunizieren mit Gleichgesinnten, erstellen selbst Inhalte und tauschen diese aus. Der Trend geht also zur Selbstverantwortung und zur Selbstorganisation des Lernens.

Wie aber lässt sich Wissen im Unternehmen halten, wenn ganze Jahrgangsgruppen in den Ruhestand wechseln? Dann bleibt Unternehmen oft nichts anderes übrig, als Ehemalige als Berater oder Trainer zu reaktivieren. Neuerdings werden dazu Web-Communities wie Xing mit ausgeschiedenen Mitarbeitern genutzt, und dieser Trend wird sich fortsetzen. (as)

Die wichtigsten Trends im Wissens-Management

  • Techniken des Web 2.0 halten Einzug im Unternehmen.

  • Der demografische Wandel löst vermehrt Wissenstransfer-Initiativen aus.

  • Die Integration von Echtzeitkommunikation, Telefonie und Kollaboration wird Wissensarbeitsplätze nachhaltig verbessern.

  • Neue Suchtechniken erobern die Unternehmen.

  • Lebenslanges Lernen findet zunehmend dezentral in sozialen Netzen und selbstorganisiert statt.