Der holprige Weg zum Nearshoring

06.07.2005 von Sabine Prehl
Die Softwareentwicklung in Osteuropa birgt preisliche Chancen, aber auch qualitative Gefahren. Nearshore-Interessenten müssen Reisen, zusätzliche Verwaltung und Qualitätsmängel in Kauf nehmen.
Angesichts der niedrigen Löhne bietet Rumänien derzeit das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.

Für Offshore-Aktivitäten ist Indien nach wie vor die erste Adresse. Doch Osteuropa holt auf. Vor allem Tschechien, Ungarn, Polen und Rumänien bieten den Analysten von Pierre Audoin Consultants (PAC) zufolge gute Voraussetzungen: Neben niedrigen Löhnen und geografischer Nähe verfügen diese Länder über hoch qualifizierte IT-Spezialisten, die nicht nur Englisch, sondern oft auch Deutsch oder Französisch beherrschen.

Allerdings birgt Nearshoring nicht zu unterschätzende Fallstricke. Das wurde auf dem von der computerwoche und dem Bayerischen Metall- und Elektroverband (BayME) gemeinsam organisierten Kongress zum Thema deutlich. So gibt es in Osteuropa zwar viele gut ausgebildete Programmierer. Fundierte Kenntnisse von Geschäftsprozessen bringen aber nur wenige mit. Der aus diesem Grund notwendige verstärkte Kommunikations- und Reisebedarf der heimischen Mitarbeiter treibt die grundsätzlich niedrigeren Kosten in die Höhe. Auch Zusatzausgaben, die durch Projektverzögerungen oder mangelhafte Qualität entstehen, können die ursprünglich erzielten Einsparungen schnell wieder auffressen.

Prozesswissen ist dürftig

Die TMG Systemhaus GmbH, eine Softwarefirma mit Sitz in Lauf an der Pegnitz, kann davon ein Lied singen. Bei ihrem Nearshore-Projekt, der nach Tschechien ausgelagerten Programmierung eines technisch sehr anspruchsvollen Nachfolgesystems für die bundesweiten Industrie- und Handelskammern, kam es immer wieder zu Missverständnissen, obwohl die tschechischen Programmierer gut Englisch und einige auch Deutsch sprachen.

Das Hauptproblem waren die zum Teil sehr unterschiedlichen Ansprüche - etwa an Softwareergonomie, Qualität oder Termintreue. Vor allem mit komplexeren Geschäftsabläufen taten sich die tschechischen Mitarbeiter schwer, berichtete Lutz Schertel, Gesellschafter der TMG-Mutter Hochfranken Software GmbH. "Es ist erstaunlich, wie sehr man sich missverstehen kann."

Auswahlkriterien Preise/Löhne; Technik- und Prozess-Know-how; kultureller Hintergrund der Mitarbeiter; Sprachkenntnisse; Qualität und Methoden; Datensicherheit, Rechtssicherheit; Entfernung; gleiche "Augenhöhe".

Insbesondere in der Anfangsphase mussten die deutschen Programmierer ihren tschechischen Kollegen laut Schertel ständig auf die Finger schauen, um die Qualitätsstandards halten zu können; mit Programmieranweisungen war es da nicht getan. Die Schaffung von Teams unter deutscher Leitung löste dieses Problem zwar weitgehend, trieb aber die Reisetätigkeit und damit die Kosten in die Höhe. "Exorbitant" stieg der Moderationsaufwand laut Schertel in der Schlussphase des Projekts, als im Zuge der Abnahme ein "Fein-Tuning" an der Anwendung erfolgte. "Effektiver ist es, eventuelle Änderungen gleich vor Ort beim Kunden vorzunehmen", so die Empfehlung des Managers.

Tschechien Geografische und kulturelle Nähe; Offenheit gegenüber Ausländern; geringe Inflation und Arbeitslosigkeit; viele Tschechen sprechen Deutsch; Software- und Servicesmarkt am weitesten entwickelt in Osteuropa. Geringe Mobilität der Mitarbeiter; Kapazitäten bald erschöpft.
Tschechien Geografische und kulturelle Nähe; Offenheit gegenüber Ausländern; geringe Inflation und Arbeitslosigkeit; viele Tschechen sprechen Deutsch; Software- und Servicesmarkt am weitesten entwickelt in Osteuropa. Geringe Mobilität der Mitarbeiter; Kapazitäten bald erschöpft.

Zusätzlicher Aufwand sei zudem dadurch entstanden, dass jeder Entwicklungsschritt schriftlich festgehalten werden musste. Angesichts der guten Arbeitsmarktperspektiven und der kurzen Kündigungsfristen ist die Fluktuation in Tschechien sehr hoch. Eine ausführliche Dokumentation ist daher unerlässlich. Auch die Vorbehalte auf beiden Seiten erschwerten das Projekt: Die Deutschen warfen den Tschechen vor, Termine nicht einzuhalten beziehungsweise nicht rechtzeitig über Verzögerungen zu informieren. Die tschechischen Programmierer wiederum beschwerten sich über die ständige Kontrolle. "Die fühlten sich zuweilen regelrecht schikaniert", so Schertel.

Einsparziele verfehlt

Geschürt wurde die Unzufriedenheit laut Schertel durch das krasse Gehaltsgefälle: "Die tschechischen Mitarbeiter haben natürlich schnell raus, dass ihre deutschen Kollegen dreimal so viel verdienen." Trotz alledem zeigten sich die Nearshore-Mitarbeiter hoch motiviert und leistungsbereit. "Als es zeitlich eng wurde, leisteten die Tschechen erhebliche Mehrarbeit, ohne darüber große Worte zu verlieren", lobte der Manager. So etwas mache sich speziell bei Softwareprojekten bezahlt.

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Plus - Minus

Unterm Strich konnte das Systemhaus seine Kosten durch die Nearshore-Programmierung senken, wenn auch, wie Schertel einräumte, "nicht in dem erwarteten Maße". Gelohnt habe sich das Projekt vor allem wegen der Erfahrungen, die TMG dabei gesammelt habe: "Wir wissen jetzt, dass sich Nearshoring nur bei großen Vorhaben beziehungsweise wenig erklärungsbedürftigen Produkten rentiert."

Praktische Erfahrungen sind auch nach Ansicht von Stefan Meyerolbersleben, Geschäftsführer der Beratungsfirma it-offshoring.de, für den Erfolg einer Nearshoring-Strategie entscheidend. Denn, so Meyerolbersleben: "Nearshoring ist sinnvoll, aber nicht trivial." Er empfehle daher, mit kleinen, einfachen Projekten anzufangen und deren Erfolg regelmäßig zu messen sowie sie gegebenenfalls schnell zu korrigieren. Zudem warnte der Consultant davor, sich zu sehr auf die Kosten zu fixieren: "Ein Preisvergleich hat nur bei gleicher Qualifikation Sinn."

Rumänien kommt

Die Wahl des Standorts will ebenfalls gut überlegt sein. So ist Tschechien in Sachen IT sehr weit entwickelt und für deutsche Firmen geografisch günstig gelegen. Nicht zuletzt wegen der geringen Entfernung, die die vor allem in der Startphase und in Pilotprojekten erforderlichen intensiven Absprachen erleichtert, fiel die Wahl von TMG-Manger Schertel auf Tschechien. In dem kleinen Land werden laut PAC-Berater Tobias Ortwein jedoch bereits die IT-Experten knapp.

Polen   Größter Markt in Osteuropa; geografische Nähe zu Deutschland; viele Polen sprechen Deutsch; zweistelliges Wachstum im Projektgeschäft; zahlreiche lokale Softwareentwickler.   Hohes Preis- und Lohnniveau; geringer Outsourcing-Grad.
Polen   Größter Markt in Osteuropa; geografische Nähe zu Deutschland; viele Polen sprechen Deutsch; zweistelliges Wachstum im Projektgeschäft; zahlreiche lokale Softwareentwickler.   Hohes Preis- und Lohnniveau; geringer Outsourcing-Grad.

Das größte Potenzial birgt nach Einschätzung der PAC-Experten Rumänien. Der dortige Software- und IT-Servicesmarkt sei zwar noch nicht sehr weit entwickelt, und abgesehen vom Bereich Embedded-Software und der ERP-Softwareentwicklung verfügten die rumänischen Fachkräfte über vergleichsweise wenig IT-Know-how. Angesichts des riesigen Nachholbedarfs herrscht jedoch eine enorme Dynamik: Die Nachfrage nach Software und Services soll rasant zunehmen.

Ausreichende Marge für Kunden

Zudem hat Rumänien von den betrachteten Nearshore-Ländern derzeit das niedrigste Preis- und Lohnniveau. Rumänische IT-Dienstleister verlangen im Schnitt zwischen 130 und 160 Euro pro Person und Tag. Damit liegen sie um bis zu 50 Prozent unter den Preisen in den anderen drei Ländern: "Da bleibt auch für den Auftraggeber genug Marge übrig", fasste Eugen Schwab-Chesaru, Geschäftsführer von PAC Rumänien, zusammen.

Rumänien   zweitgrößtes Land nach Polen; extrem hohes Entwicklungspotenzial für die nächsten vier bis fünf Jahre; bestes Preis-Leistungs- Verhältnis; Steuervorteile als Nicht-EU-Land.    Geringe Qualifikation; zurückhaltend gegenüber Outsourcing; schlechtes Image als Nicht-EU-Land.
Rumänien   zweitgrößtes Land nach Polen; extrem hohes Entwicklungspotenzial für die nächsten vier bis fünf Jahre; bestes Preis-Leistungs- Verhältnis; Steuervorteile als Nicht-EU-Land.    Geringe Qualifikation; zurückhaltend gegenüber Outsourcing; schlechtes Image als Nicht-EU-Land.