E-Procurement/Einkaufsstrukturen an Mitarbeitern ausrichten

Der Faktor Mensch

09.08.2002
Viele E-Procurement-Projekte bringen nicht den erhofften Erfolg, weil die Beschränkung auf traditionelle Güter erhebliches Potenzial brachliegen lässt. Außerdem dürfen Geschäftsprozesse und technische Strukturen nicht an den Einkäufern vorbeientwickelt werden. Von Daniel Kautz*

Sinkende Margen, steigender Wettbewerbsdruck und das lang anhaltende Konjunkturtief führen dazu, dass Unternehmen sich verstärkt auf klassische ökonomische Werte und Regeln besinnen. "Im Einkauf wird das Geld verdient" ist darunter eine der ältesten - und kostentechnisch eine der wirksamsten: 40 bis 60 Prozent der Gesamtausgaben eines typischen Industrieunternehmens fallen im Einkauf an. Eine nur dreiprozentige Kostenreduktion in diesem Sektor ist im Effekt vergleichbar mit einer 15- bis 40-prozentigen Umsatzsteigerung, die gegenwärtig ohnehin kaum möglich ist.

Wo die Restrukturierung der Beschaffung jedoch allein auf E-Procurement-Technologien setzte, stieß sie spätestens mit dem Ende des E-Commerce-Hypes an ihre Grenzen. Die Kostenersparnisse haben sich nicht in erwarteter Höhe eingestellt. Häufig gelang es den Unternehmen nicht, Organisationsstrukturen, Geschäftsprozesse und IT-Systeme wirksam aufeinander abzustimmen. Online-Auktionen scheiterten beispielsweise an bestehenden Vertrags- und Rahmenvereinbarungen mit den Zulieferern.

Als größte Blockade erweist sich derzeit das Versäumnis, den Faktor Mensch ungenügend in die technische Planung einkalkuliert zu haben. Die Akzeptanz vieler E-Procurement-Systeme durch die Mitarbeiter und die für E-Commerce nötigen Veränderungen der Arbeits- beziehungsweise Unternehmenskultur sind weit hinter den Anforderungen zurückgeblieben. Ob unternehmensweite Bedarfsbündelung und -standardisierung, ob Optimierung der Beschaffungsstrategien, ob Vereinfachung der Einkaufsprozesse: Fast immer hätten wesentlich bessere Ergebnisse erzielt werden können, wenn Wissen und Motivation der Mitarbeiter geschickter genutzt worden wären.

Technik ist nur Hilfsmittel

In der strategischen Planung und Umsetzung von E-Procurement-Lösungen müssen deshalb neue Schwerpunkte gesetzt werden, die den Menschen und seine Fähigkeiten als bestimmenden Wertschöpfungsfaktor in den Mittelpunkt des Beschaffungsprozesses stellen. Alle weiteren Faktoren werden zu Hilfsmitteln, die die Mitarbeiter bestmöglich in ihren Fähigkeiten unterstützen. Zum einen müssen also durch zielgerichtete, ergebnisgetriebene Investitionen in die Hilfsmittel - zum Beispiel Systemtechnik oder Geschäftsprozesse - optimale Arbeitsvoraussetzungen geschaffen werden. Zum anderen gilt es, die Fähigkeiten der Mitarbeiter gezielt auszubauen, damit sie als Beschaffungsexperten die verfügbaren Hilfsmittel erfolgreich nutzen können.

Künstliche Grenzen rächen sich

Ein weiterer Fehler früher E-Procurement-Ansätze war die Übernahme traditioneller Produktkategorien in die Systemwelt. Die elektronische Abgrenzung orientierte sich an Warenarten und Geschäftseinheiten, die diese Güter für ihre Tätigkeit einkauften. Die Zahl der Zulieferer wurde reduziert und zentralisiert, um die administrativen Kosten, beispielsweise für Vertragsverhandlungen, Content-Management und Rechnungswesen, zu senken. Die Lieferanten wurden gruppiert nach den Dienstleistungen oder Waren, die sie anboten. Wichtig dabei war vor allem, ob diese zum indirekten oder direkten Bedarf des Unternehmens gehörten: Vor allem im indirekten Bereich sah man viele Verbesserungsmöglichkeiten, weil dieser in Industriebetrieben meist wesentlich weniger professionell organisiert ist als der für Produktionsprozesse und den Unternehmenserfolg hochbedeutsame Bereich der direkten Beschaffung.

Neue E-Procurement-Lösungen, wie sie beispielsweise die Ariba oder SAP Markets/Commerce One heute anbieten, haben diese Ansätze in Frage gestellt, denn die Unterscheidung nach direkten oder indirekten Gütern hat zwar organisatorische Bedeutung, aber technisch keine Konsequenzen. "Die Gestaltung von E-Procurement-Lösungen ist keine Frage der Produktkategorie", bestätigt Faheem Ahmed, Senior Manager Solution Marketing bei SAP Markets. "Für eine Telekommunikationsgesellschaft ist ein Telefonapparat ein direktes Gut - für SAP oder einen Automobilbauer ist er ein indirektes. Es geht also nicht um den Apparat, sondern um den Kaufprozess."

Ähnliche Prozesse statt ähnlicher Güter

Wie viele seiner Kollegen unterscheidet Ahmed deshalb zwischen geplanten, automatisierbaren und ungeplanten, manuellen Beschaffungsprozessen - die aber zwecks größtmöglicher Effizienz trotzdem über ein und dieselbe technische Plattform ablaufen sollen. Ob Hydraulikpumpen, Petroleum oder Büromaterial: Es hängt nicht von der Ware, sondern von der Art des Einkaufs ab, ob die Bestellung vom System erteilt werden kann oder von Hand ausgeführt werden muss.

Für Pierre Mitchell, Analyst bei dem Beratungsunternehmen AMR, spielt es darüber hinaus eine Rolle, welche Folgeprozesse für das Gut angestoßen werden müssen - beispielsweise ob es gelagert werden muss, kann oder nicht darf. Zu einer Produktkategorie werden also prinzipiell nicht ähnliche Güter, sondern Güter, die ähnliche Prozesse im Unternehmen durchlaufen, zusammengefasst. Gefragt sind E-Procurement-Systeme, die sämtliche Beschaffungsprozesse für alle Güter und Dienstleistungen bewältigen können, die dabei den Besonderheiten der verschiedenen Geschäftseinheiten gerecht werden.

Neuerdings wird noch ein anderer, von dem Beratungsunternehmen Accenture "Procurement Transformation" getaufter Ansatz erprobt. Hier werden in Kategorien nicht ähnliche Warenarten oder Einkaufsprozesse zusammengefasst, sondern Mitarbeiter mit ähnlichen Qualifikationen. Das bewirkt Veränderungen auf allen Ebenen, sogar in der Technik: Anders als bisher wird das Enterprise-Resource-Planning-System gezielt entsprechend den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter ausgelegt. Elektronische Beschaffung wird nur dort praktiziert, wo sie sich rechnet. Ein Leistungskontrollsystem mit internem und externem Benchmarking stellt kontinuierliche Verbesserung sicher.

Einkäufer als Dienstleister

Es empfiehlt sich, Einkaufsmitarbeiter frühestmöglich innerhalb funktionsübergreifender Teams in den Beschaffungsvorgang einzubinden. Sie sind dann als Experten für wenige Kategorien zuständig. Operative und strategische Aufgaben werden klar getrennt und verschiedenen Mitarbeiterprofilen zugeordnet. Kontinuierliche Schulungen fördern die Qualifikation der Mitarbeiter. Diese verstehen sich selbst als Dienstleister für interne Kunden. Neben gezielt eingesetzter Technik sollen effiziente Geschäftsprozesse ihre Arbeit unterstützen: Dazu gehören individuelle Abrufverfahren oder vereinfachte Genehmigungsverfahren, die vom Einkaufs-Controlling und Berichtswesen überwacht werden. (rg)

*Daniel Kautz ist Manager bei Accenture im Bereich Supply-Chain-Management.

Angeklickt

Langfristig sind die Unternehmen erfolgreich, die ihre Beschaffungsexperten mittels effektiver und effizienter Organisationsstrukturen und Prozesse bestmöglich unterstützen. Der Einkaufsmitarbeiter muss zum Kernelement der Wertschöpfung werden.