Stefan Ried

Der Deutsche Software-Mittelstand traut sich nicht ins Ausland

09.04.2008 von Stefan  Ried
Deutsche Softwareunternehmen verkaufen bis auf SAP AG und Software AG viel zu wenig über die Grenzen von Deutschland hinaus. Wie Nachforschungen von Forrester Research gezeigt haben, werden fundamentale Grundsätze bei der Internationalisierung immer wieder missachtet und der Sprung aus dem Binnenmarkt kann ein teures Drama werden.

Forrester prognostiziert für den Softwareumsatz 2008 in Deutschland eine Steigerung um sechs Prozent von 9,9 auf 10,5 Milliarden Euro. Dieses Wachstum ist zwar weiterhin höher als in den USA, aber nur noch halb so groß wie im Vorjahr. Die deutsche Softwareindustrie sollte sich auch nicht zu sicher sein, dass ihr Binnenmarkt nicht von ausländischen Anbietern erobert wird. Zudem kommt das traditionelle Softwarelizenzgeschäft immer mehr in Bedrängnis durch das Mietmodell Software as a Service (SaaS) oder Open-Source-Alternativen. Die deutschen Softwarehersteller müssen sich also auch darauf vorbereiten, ihre Umsatzeinbußen in Deutschland durch internationale Expansion auszugleichen.

Die SAP AG und die Software AG erwirtschaften schon heute den Großteil ihrer Umsätze außerhalb von Deutschland. Die Statistik der 25 größten deutschen Softwareunternehmen zeigt deshalb 76,3 Prozent Auslandsumsatzanteil. Damit lägen die Deutschen weit vor dem nordamerikanischen Benchmark von 56,8 Prozent.

Klammert man jedoch die SAP AG und die Software AG aus der Statistik aus, bleibt ein eher bescheidener Anteil von 38,8 Prozent internationaler Umsätze deutscher Softwarefirmen

Die zehn häufigsten Fehler bei der Internationalisierung

Diese geringe Erfolgsrate beim Sprung aus dem Binnenmarkt kann viele Gründe haben. Forrester Research untersucht im Moment die erfolgreichsten Internationalisierungsstrategien der Softwareindustrie. Vorab kristallisieren sich bereits die zehn kostspieligsten Fehler der Branche heraus, die die deutschen Hersteller unbedingt vermeiden sollten:

  1. Die kulturellen Unterschiede werden unterschätzt. Entscheidungsträger und Partner in anderen Ländern denken anders - selbst innerhalb Europas.

  2. Der Markteintritt in ein fremdes Land wird nicht strategisch entschieden, sondern passiert häufig wie ein Unfall. Business-Pläne fehlen zu oft.

  3. Es werden keine lokalen Niederlassungen gegründet, die in Stil und Größe zu den Erwartungen im Land passen. Außerdem werden zu häufig neben Software auch Führungskräfte exportiert und vergessen, dass Niederlassungen im Ausland nur unter der Leitung eines lokalen, muttersprachlichen Managements funktionieren.

  4. Landesspezifische Anforderungen werden ignoriert. Durch lokale Geschäftspraktiken oder gesetzliche Regelungen ergeben sich spezielle Anforderungen.

  5. Es wird vergessen, die Internationalisierung schon zu Anfang in der Softwarearchitektur zu berücksichtigen. Die Software muss aber bereits bei der Auslieferung der ersten Sprache die Lokalisierung in andere Sprachen und die Anpassung von Geschäftslogik vorsehen.

  6. Das vollkommen andere Wettbewerbsumfeld wird nicht berücksichtigt. Anbieter müssen das neue Umfeld zunächst studieren und sich mit den genannten Bedrohungen des klassischen Lizenzgeschäfts auseinandersetzen, bevor sie in einen neuen Markt gehen.

  7. Es wird zu wenig auf die Lieferfähigkeit geachtet. Zu selten geht der Markteintritt eines Produkts mit dem Aufbau von ausreichenden Implementierungs-Kapazitäten im Land einher. Unter Umständen wächst die Nachfrage aber schneller als die eigenen Kapazitäten. Deshalb sollte man auf die lokalen Dienstleister nicht verzichten.

  8. Zu aggressive Merger und Akquisitionen. Oft ist der Kauf einer etablierten Firma zwar eine gute Eintrittskarte in einen neuen Markt, aber es sollte keine Invasion daraus werden.

  9. Auch absatzstarke Länder brauchen bei gutem Management keine eigenen Entwicklungsgruppen, um ihre Anforderungen im Produktportfolio unterzubringen. Das wird häufig vergessen.

  10. Dem Markteintritt geht keine grundlegendes Research voraus. Auch andere Länder teilen sich in verschiedene Segmente auf, die es zu kennen und gegebenenfalls zu bedienen gilt.

Leider verschwenden sowohl die Großen der Branche als auch viele mittelständische Unternehmen durch diese Fehler viel Geld und Glaubwürdigkeit. Ein deutscher Hersteller einer betriebswirtschaftlichen Software versucht zum Beispiel in arabischen Ländern seine Software zu verkaufen. Bei überfälligen Zahlungen werden, wie in Deutschland sogar rechtlich notwendig, automatisch Mahnungen verschickt. Während in Deutschland eine Mahnung ein ganz normaler Geschäftsvorfall ist, kommt dies in anderen Kulturen einer persönlichen Beleidigung gleich und die Software wird zum Ladenhüter.

Zur Person...

Stefan Ried

Stefan Ried ist Spezialist für den Middleware-Markt. Vor seinem Engagement bei Forrester Research arbeitete er über zehn Jahr als Entwickler, Produktmanager und Produktmarketing-Manager für international tätige Softwarehäuser - unter anderem für SAP und Software AG. Er berät Anbieter zu M&A-Strategien und Produktportfolio-Entwicklung. Rieds Studien drehen sich unter anderem um Themen wie SOA-Governance, Web 2.0 AJAX und andere neue Technologien im Bereich der Anwendungsentwicklung.

Deutschland hat Potenzial, setzt es aber nur langsam um

Aufgrund der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in Europa haben deutsche Unternehmen einen Vorsprung bei der Expansion in neue Länder. Die deutsche Softwareindustrie sollte sich dessen bewusst sein und schnell handeln, bevor die US amerikanischen Unternehmen das Geschäft in Osteuropa machen. Wir sollten nicht vergessen, dass in den USA die wirtschaftliche Depression deutlich härter wird als in Europa und die dortigen Softwarehersteller entsprechend aggressiver nach neuen Märkten suchen werden.