1. Platz - Rainer Janßen, Münchener Rück

Der Business-Versteher

28.11.2008 von Christoph Witte
Rainer Janßen ist CIO des Jahres geworden, weil er die Anwendungsentwicklung der Münchener Rück Service-orientiert aufgestellt hat und neue Wege geht, um Business und IT ins gleiche Boot zu ziehen.
Rainer Janßen von der Münchener Rück wurde 2008 zum CIO des Jahres gewählt.

Der Mann weiß einen guten Plot zu schätzen. Vielleicht hält er auch deshalb in seiner inzwischen elfjährigen CIO-Karriere bei der Münchener Rück die Spannung immer aufrecht. Nicht indem er die Protagonisten wechselt oder immer wieder neue Nebenschauplätze aufmacht, sondern indem er die IT-Story seines Unternehmens logisch fortschreibt und von Höhepunkt zu Höhepunkt treibt. Wie einem guten Krimi-Autor geht es ihm darum, seine Figuren in ihren Entwicklungsmöglichkeiten zu verstehen, die sie aufgrund ihres Profils haben. Seine Hauptfiguren heißen Business und IT. Über lange Jahre waren sie als Gegensatzpaar angelegt. Nach einer langen und schwierigen Phase der Annäherung stehen sie nun durch einen Kunstgriff des Unternehmens auf der gleichen Seite. Doch dazu später mehr.

Janßens neuester Coup ist eine Reorganisation: "Wir haben die Anwendungsentwicklung Service-orientiert aufgestellt und eine konsequente Multi-Sourcing-Strategie umgesetzt." Was Janßen da so glatt über die Lippen geht, war mit grundlegenden Änderungen verbunden. So ist die Anwendungsentwicklung nicht mehr entlang den einzelnen Applikationen geordnet, sondern in Business- und technikorientierte Servicearten unterteilt.

Interview: "Wir haben viel für das Internet in Deutschland getan"

CW: Am Anfang Ihrer Karriere haben Sie für die IBM gearbeitet. Was haben Sie da gemacht?

JANSSEN: Das war eine spannende Zeit. Die IBM war damals noch viel internationaler aufgestellt als heute. Mitte der 80er Jahre durfte auch noch außerhalb der USA entwickelt und nicht nur installiert und ausgeliefert werden. Mein erstes Projekt war auch gleich mein spannendstes und das aus gesellschaftlicher Sicht relevanteste. Es ging um eine Datenbank für ein Transplantationsinformationssystem. Für die Transplantationsimmunologen der Universität Heidelberg haben wir Daten über Nierentransplantationen und posttransplantative Daten gesammelt, um besser zu verstehen, welche Niere am besten zu welchem Spender passt und welche Folgebehandlungen die höchsten Erfolgsaussichten haben. Aber es ging auch um eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Spenderorgane. Wenn Sie eine seltene Blutgruppe haben, ist Ihre Chance auf eine passende Niere sehr viel geringer, als wenn Sie die Blutgruppe Null haben. Dieses Kriterium haben wir berücksichtigt, so dass die optimale Überlebenschance der Niere nicht mehr das einzige Kriterium war, sondern auch die Chance berücksichtigt wird, die ein Dialysepatient aufgrund seiner Blutgruppe überhaupt hat, eine Niere zu bekommen.

CW: Nachdem das Projekt abgeschlossen war, haben Sie als Director des European Networking Center gearbeitet.

JANSSEN: Ja, das war von 1992 bis 1997. Wir haben uns damals mit Breitbandtechnologien und Multimedia beschäftigt. Dinge, die heute selbstverständlich sind, damals aber brandneu waren. Wir haben im Networking Center viel für das Internet in Deutschland getan.

CW: Warum sind Sie dann auf die Anwenderseite gewechselt?

JANSSEN: Als Louis Gerstner begann, die IBM umzustrukturieren, weil das Unternehmen drohte, an seinem bisher verfolgten Weg zugrunde zu gehen, habe ich anfangs begeistert mitgemacht. Aber dann wurde klar, dass die IBM nicht nur neu strukturiert werden sollte, sondern auch zu einer US-zentrischen Company wurde, in der das Denken außerhalb der Vereinigten Staaten nicht mehr so erwünscht war. Als ich das bemerkte, habe ich begonnen, mich umzuschauen. Ich hatte schon einen Vertrag der SAP zur Unterschrift vorliegen, als dann das Angebot von der Münchener Rück kam. Und das hat mir viel stärker zugesagt als der Job bei SAP. Das ist nach elf Jahren als CIO immer noch so.

Zentrale Anlaufstellen

"Die Business-orientierten Teams begleiten die Fachbereiche zwar im Anforderungs-Management, aber beispielsweise für die .NET-Entwicklung gibt es nur noch eine zentrale Anlaufstelle, die projektübergreifend arbeitet. Das Gleiche gilt etwa für die SAP-Entwicklung und das -Testing." Das funktioniere ganz ähnlich wie im Infrastrukturbereich, erzählt Janßen weiter. Gehe man streng nach Itil vor, gebe es ja da auch nur einen Service für Server oder für den Helpdesk. Weil die am internen Kunden orientierten Teams sich auf deren Anforderungen konzentrieren, haben sich die technischen Services zu größeren Einheiten zusammenfassen lassen, die einheitlich vorgehen und klare Qualitätsvorgaben machen.

"Wir haben vor der Reorganisation natürlich zusammen mit dem Business geprüft, welche Prozesse wertdifferenzierend sind und welche nicht. Die differenzierenden betreuen wir selbst, aber bei den anderen können wir uns zumindest teilweise von außen helfen lassen." Vor allem durch die größeren Einheiten fällt es leichter, die Dinge extern zu unterstützen, die Qualität der eingekauften Services lässt sich einfacher überprüfen und die Preisstruktur transparenter gestalten. "Die Dienstleister werden mit der Zeit auch deshalb produktiver, weil sie unsere Strukturen besser kennen lernen und die Arbeiten teilweise automatisieren. Davon wollen wir insofern profitieren, als wir für die gleiche Aufgabe im kommenden Jahr weniger bezahlen werden. Wir setzen unseren Dienstleistern damit praktisch Produktivitätsziele."

Dieses Vorgehen bringt laut Janßen etliche Vorteile:

Die Kehrseite der Medaille

Die Ergebnisse geben Janßen Recht. Die neue Organisation produziert bei gleichem Leistungsniveau deutlich preiswerter. Die starke Fokussierung hat die Professionalität der Mitarbeiter erhöht, und zu guter Letzt führt der Multisourcing-Ansatz zu mehr Flexibilität und schnellen Einsparungen.

Allerdings gibt es auch eine Kehrseite der Medaille. " Es ist relativ aufwändig, die Services gut aufeinander abzustimmen. Da müssen wir wirklich aufpassen, dass uns das nach der Einschwingphase nicht aus dem Ruder läuft", kommentiert Janßen. Außerdem müssen die Mitarbeiter ihre Skills erweitern. Aber hier hat der gelernte Mathematiker vorgesorgt. Auf die jeweilige Rolle zugeschnitten, werden gezielte Ausbildungsmaßnahmen angeboten.

Neben diesem Vorzeigeprojekt betreut der langjährige CIO, der auch als Vertreter der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat seines Unternehmens sitzt, noch verschiedene andere Baustellen. Im Portfoliobereich "Business Enabling" handelt es sich dabei um die Vereinheitlichung der gesamten Kernverwaltung der Rückversicherungsgruppe. Außerdem beschäftigt sich die IT mit dem Aufbau einer einheitlichen IT-Plattform für das Risiko-Management. Hier sind die Kernsysteme für Risikomodellierung, Kalibrierungssysteme und mathematische Werkzeuge bereits eingeführt. Ebenfalls in Arbeit befindet sich der Aufbau global einheitlicher IT-Systeme für Risikoeinschätzung und Preisfindung. Wesentliche Teile dieser Strategie sind bereits umgesetzt.

Business-Architekt als Partner der IT

Stolz verweist Janßen darauf, dass durch diese Anstrengungen die für das gesamte Rückversicherungsgeschäft wesentlichen Daten in einer weltweit einheitlichen Datenbasis abgelegt sind: "Wir leben davon, Risiken auszugleichen, und da ist es natürlich gut, wenn wir wissen, welche Risiken und wie viele von der gleichen Art und in welchen Regionen wir absichern. Die Risikoverteilung ist wichtig. Wir können Erdbebenschäden nur dann ausgleichen, wenn nicht überall gleichzeitig Erdbeben stattfinden beziehungsweise wir nicht nur in Kalifornien gegen Erdstöße versichern. Diese einheitliche Datenbasis hilft uns zum Beispiel dabei, gefährliche Risikoanhäufungen zu sehen und die Risikoverteilung besser zu verstehen", erläutert Janßen den Business-Nutzen der Strategie.

Im Portfolio "Architecture und Strategy" hat Janßen zusammen mit dem Business ein außergewöhnliches Enterprise-Architecture-Management konzipiert und eingeführt. Diese Architektur bringt es fast zwangsläufig mit sich, dass die am Anfang erwähnte intensive Zusammenarbeit zwischen IT und Business funktioniert. Janßen nennt das Ergebnis eine "Aufgaben- und Risikopartnerschaft". Die Eckpfeiler der Architektur sind die zwei Funktionen des Global-Business-Architekten (GBA) und des Global Process Owner. Der Business-Architekt agiert als Janßens Pendant auf gleicher Hierarchieebene auf der Business-Seite. Auch er berichtet direkt an den Vorstand.

"Wir haben viel Zeit und Geld verloren, weil wir lange Zeit keine Entscheidungsmaschine für IT-Belange außerhalb der Informatik hatten. Viele Leute hatten zwar zu vielen Dingen eine Meinung, aber es wurden keine Entscheidungen getroffen, und keiner sagte verbindlich, wo es langgeht." Der GBA entscheidet letztlich, welcher Prozess überhaupt mit IT und mit welcher Lösungsstrategie unterstützt wird und welche prozessübergreifenden Systeme implementiert werden. "Die IT stellt einen relativ großen Kostenblock und ein relativ großes operatives Risiko dar. Deshalb braucht man außerhalb der IT eine Funktion, die die Risikoprüfung der IT für den Vorstand übernimmt. Das macht der GBA", erläutert Janßen. Innerhalb der Prozesse trifft der Global Process Owner auf der Geschäftsseite die Entscheidungen, wie sein Prozess mit IT unterstützt wird. Der Business-Architekt übernimmt einen Glaubwürdigkeitsservice, der für die IT und das gesamte Unternehmen sehr wichtig ist. Janßen kommentiert das fast philosophisch: "Auf der einen Seite hat der CEO in Unternehmen wie unserem nicht das Interesse und die Zeit, sich mit IT zu beschäftigen. Auf der anderen Seite kann die IT nicht aus sich heraus das Vertrauen schaffen, das das Unternehmen gerne in sie haben möchte."

Mitverantwortung für die IT

Durch die beiden Funktionen Global-Business-Architekt und Global Process Owner wächst der Business-Seite eine klare Mitverantwortung für die IT zu. Sie entscheidet mit, womit die IT das Business unterstützt. Auf diese Weise funktionieren einseitige Schuldzuweisungen an die IT nicht mehr. "Wenn mal etwas schiefgeht und wir mehr Zeit und Geld benötigen, um ein Projekt erfolgreich abzuschließen, schlagen Business- Architekt und CIO zusammen beim Vorstand auf. Das erleichtert das Leben durchaus", schmunzelt Janßen.

Im Portfoliobereich "Globale Infrastruktur: Steuerung und Service-Management" hat der CIO einen standardisierten globalen Rollout-Prozess für Anwendungen und Client-Software innerhalb definierter Service-Levels etabliert und ein ebenfalls weltweit einheitliches integriertes Service- und Supportsystem aufgebaut. Außerdem beschäftigt sich die IT der Münchener Rück im Segment "IT-Infrastruktur" im Zuge von Green IT mit Virtualisierung, Wake on LAN und dem global einheitlichen Desktop. Kurz und gut, Janßen hätte noch viel Stoff für spannende Bücher, wenn auch nicht unbedingt für Krimis. Aber die liest er ja auch lieber, als dass er sie schreiben würde.

Rainer Janßen (55), Münchener Rück

Position: Leiter Zentralbereich Informatik und Group Information Executive der RV Gruppe.

Branche: Rückversicherung (7000 Mitarbeiter).

Ein CIO ist … dann gut, wenn er überlebt.

Er liest gerade … Andrew Vachss: "Die Schritte des Falken".

Lieblingsfach … in der Schule: Mathematik.

Wichtigstes Projekt: Service-orientierte Anwendungsentwicklung

Projektbeschreibung: Reorganisation der Anwendungsentwicklung, Umstrukturierung in Itil-ähnlicher Form, Differenzierung nach wertschöpfenden und nichtwertschöpfenden Prozessen, Orientierung an Business-Themen, gezielte Auslagerung von Services an externe Dienstleister.

Projektbereiche: Service-Management; IT-Governance; Outsourcing; Anwendungsentwicklung.

Herausforderungen: Planungs- und Abstimmungskomplexität, Übergang zur Servicestruktur.

Zeitrahmen: Fertigstellung Juli 2008.

IT-Mitarbeiter (allgemein): 650.

IT-Umgebung: SAP und Microsoft.