"Den Sourcing-Manager gibt es noch nicht"

11.03.2004
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - In der Finanzbranche verstärkt sich der Trend zur Auslagerung von IT-Aufgaben bis hin zu kompletten Geschäftsprozessen. Doch die hoch gesteckten Ziele werden oft nicht erreicht. Wenn es um die Steuerung komplexer Partnerbeziehungen geht, stehen deutsche Banken noch ganz am Anfang, sagt Wolfgang König vom E-Finance Lab der Universität Frankfurt am Main im Gespräch mit CW-Redakteur Wolfgang Herrmann .

Finanzdienstleister wissen oft erschreckend wenig über ihre Geschäftsprozesse, sagt Wolfgang König von der Universität Frankfurt am Main.

CW: Als Argumente für Outsourcing-Vorhaben im Finanzsektor werden stets die gleichen Argumente ins Feld geführt: Kostensenkung, Flexibilisierung, Standardisierung und die Konzentration auf Kernkompetenzen. In der Praxis aber laufen viele Projekte nicht reibungslos. Wie realistisch sind die damit verbundenen Erwartungen?

KÖNIG: Man muss die Ausgangssituation der Unternehmen betrachten: Outsourcing-Projekte führen in der Regel durchaus zur Standardisierung von Produktbeschreibungen, zur Spezifikation von Service-Level-Agreements und dergleichen mehr. Im ersten Schritt scheint das oft nicht ausreichend zu sein, es ist aber allemal besser als vorher.

CW: Warum ist es so schwierig, die Ziele zu erreichen?

KÖNIG: Was die Finanzunternehmen derzeit in puncto Reduzierung der Fertigungstiefe anstreben, haben die Automobil- und die Maschinenbauindustrie schon vor 30 Jahren begonnen. Man kann nicht erwarten, dass der Finanzsektor das in ein oder zwei großen Sprüngen schafft. Es geht um mehrere schrittweise Verbesserungen. Das ist mühsam und mit harter Arbeit verbunden.

CW: Wo liegen denn die größten Defizite?

KÖNIG: Sie betreffen alles, was man unter dem Begriff Industrialisierung zusammenfasst, also beispielsweise Produktbildung oder Prozessspezifikationen. Gerade Finanzdienstleister wissen oft erschreckend wenig über ihre Geschäftsprozesse.

CW: Um die vielfältigen Beziehungen zu externen Dienstleistern in den Griff zu bekommen, benötigen Unternehmen völlig neue Kenntnisse und Fähigkeiten, sagen Experten. Das Anforderungsprofil eines Chief Sourcing Officer (CSO) unterscheide sich grundsätzlich von dem des klassischen CIO. Wo steht die deutsche Bankenszenze in dieser Beziehung?

KÖNIG: Ganz am Anfang. Die deutsche Bankenlandschaft erbringt noch immer schätzungsweise 75 Prozent der Wertschöpfung selbst. Im Automobilsektor liegen die Vergleichswerte bei 20 bis 25 Prozent, teilweise noch niedriger. Deutsche Geldinstitute steuern und kontrollieren ihre internen Prozesse längst noch nicht nach industriellen Regeln, wie dies etwa Automobilhersteller tun. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass es so etwas wie einen Outsourcing-Manager einfach noch nicht gibt.

CW: Die Deutsche Bank sieht sich mit ihren weitreichenden Auslagerungsvorhaben in einer Vorreiterrolle. Wie beurteilen Sie die Pläne?

KÖNIG: Der Deal, den die Deutsche Bank mit Accenture zur Übernahme des Einkaufs geschlossen hat, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Natürlich braucht das Unternehmen einen Sourcing Manager, der Accenture kontrolliert, ebenso benötigt Accenture eine solche Funktion zur Steuerung der Zulieferer. Beide müssen diesen Prozess üben. Es gibt dafür derzeit keine Muster.

CW: Die Deutsche Bank lagert noch andere Tätigkeiten aus, darunter auch Teile der Anwendungsentwicklung. Kritiker monieren, damit gebe das Unternehmen auch Kernkompetenzen aus der Hand. Teilen Sie diese Bedenken?

KÖNIG: Zu den Kernprozessen einer Bank gehört es nicht, Anwendungen zu entwickeln und zu pflegen, sondern beispielsweise Kredite zu bewerten und zu vergeben, die Transaktionsverarbeitung sicherzustellen oder Wertpapiere und Depots zu verwalten.

CW: Im Vergleich zu angelsächsisch geprägten Regionen wird deutschen Unternehmen eine sehr zurückhaltende, ja skeptische Haltung gegenüber Outsourcing im Allgemeinen und insbesondere dem Auslagern ganzer Geschäftsprozesse (Business Process Outsourcing) nachgesagt. Woran liegt das?

KÖNIG: Deutsche Unternehmen sind Weltmeister in Sachen Effizienz, was sie nicht selten daran hindert, dringend notwendige Innovationen voranzutreiben. Das führt zu der paradoxen Situation, dass deutsche Banken zwar hinsichtlich der Abwicklungssysteme im Backend am besten organisiert sind. Andererseits aber sind sie oft nicht bereit, selbst unprofitable Geschäftsteile aus der Hand zu geben. Stattdessen versucht man, das letzte Quentchen Effizienz aus einem Prozess herauszupressen.

CW: Mit dem wachsenden Kostendruck wird vielerorts auch der Zwang zum Offshore-Outsourcing begründet, sprich die Auslagerung von Aufgaben in weit entfernte Länder. Wie wird sich dieser Trend in Deutschland entwickeln?

KÖNIG: Der Kostendruck ist Realität. Deshalb lässt sich die Entwicklung nicht aufhalten. Die Deutsche Bank etwa hat große Kapazitäten in Indien aufgebaut, ebenso wie SAP. Offshore ist längst Teil des Geschäfts. Die spannende Frage wird sein, in welcher Geschwindigkeit welche Aktivitäten aus der Bundesrepublik wohin wandern.

CW: Welche Bewegungen erwarten Sie?

KÖNIG: Qualifizierte Anwendungsentwicklung, also beispielsweise Projekte mit einer starken Integration verschiedener Teilprozesse, werden zwar aus Deutschland abwandern, aber eher in nähere und kulturell ähnliche Regionen, beispielsweise Ungarn oder Weißrussland. Polen wird hier ein starker Anbieter werden. Standard-Backend-Dienste wie Softwarewartung werden eher nach Indien ausgelagert. Mit China steht schon der nächste große Konkurrent in den Startlöchern.

CW: In den USA regen sich inzwischen starke Vorbehalte gegen Offshore-Outsourcing. Einige Bundesstaaten haben bereits Gesetze gegen die Vergabe öffentlicher Aufträge an Offshore-Dienstleister vorbereitet. Erwarten Sie in Deutschland eine ähnliche Entwicklung?

KÖNIG: Ich bin kein Freund solcher Initiativen nach dem Motto "Buy American". Protektionistische Ansätze wie in den USA halte ich hierzulande eher für unwahrscheinlich. Trotzdem wird sich die Bundesrepublik dieser Diskussion nicht verschließen können.