Mit einem Marktanteil von fast 90 Prozent ist der gegenwärtige Tablet-Boom vor allem dem iPad von Apple sowie dessen Nachfolger iPad 2 zuzuschreiben. Die Geräte der Wettbewerber, selbst das vergleichsweise früh gestartete Samsung Galaxy Tab 7, sind bestenfalls Randerscheinung. Noch zumindest. Denn wie bereits im Smartphone-Bereich geschehen, schläft auch im Tablet-Umfeld die Konkurrenz nicht und versucht, die Apple-Dominanz mit einer Breitseite an neuen Geräten zu überrollen. So hat nicht nur der Blackberry-Hersteller Research in Motion mit dem Playbook ein besonders auf das Business-Umfeld ausgelegtes Gerät entwickelt. Anfang des Jahres wurden auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas auch über 50 Tablets mit Android-Betriebssystem gezeigt. Etliche von diesen werden zwar kaum über den Prototypen-Zustand hinausgehen. Es gibt jedoch auch eine Reihe von ernstzunehmenden Kandidaten, darunter das Motorola Xoom, das sowohl durch zeitgemäße Hardware (Dual-Core-CPU) wie auch Software (Android 3.0 - Honeycomb) hervorsticht. Die COMPUTERWOCHE hat das Gerät einer näheren Prüfung unterzogen.
Der erste Eindruck
Bereits beim Herausnehmen überrascht die Tester das stattliche Gewicht des Geräts. Kein Wunder - mit 730 Gramm und 12 Millimeter Dicke ist das Motorola Xoom nicht unbedingt schlank und rank geraten. Zwar entsprechen die Maße in etwa denen des Apple iPad - was Motorola bei der Entwicklung nicht wusste, ist jedoch, dass dessen Nachfolger iPad 2 deutlich leichter (613 Gramm) und mit acht Millimeter auch noch dünner ausgefällt. Auch bei dem Aluminium-Deckel, der auf der Vorderseite den Rahmen für das Display bildet, hat sich Motorola offenbar stark an dem ersten Apple-Tablet orientiert. Als Resultat weist das Xoom hier ähnlich scharfe Kanten auf wie das iPad. Der sanfte Übergang beim iPad 2 dokumentiert hingegen, dass es noch einen Ton eleganter geht - das Apple-Device war bei der Vorstellung des Xoom im Januar 2011 allerdings noch nicht einmal angekündigt. Besser gelöst ist bei dem Motorola-Gerät die Abdeckung der Antennen - hier verhindert eine gummiartige Beschichtung im oberen Bereich der Rückseite mögliche Funkstörungen.
Apropos oben/unten: Anders als das iPad/iPad 2 ist das Xoom nicht für die Nutzung im Hochformat konzipiert. So gibt es zwar keine physischen Knöpfe auf der Vorderseite und die Ansicht wechselt dank Lagesensor natürlich (wenn auch mit starker Verzögerung) in die richtige Position. Erst im Querformat kann der Nutzer jedoch auf die verschiedenen Bedienelemente zugreifen, ohne sich nahezu die Finger zu brechen. So hat Motorola etwa den Ein/Ausschalter unüblicherweise auf der Rückseite platziert, gleich neben dem einen Lautsprecher und der Rückkamera. Diese ungünstige Position hat nicht nur zur Folge, dass die Kamera - zumindest anfänglich - etliche Tapper abbekommt. Sie erschwert außerdem die Nutzung im Liegen, da man das Gerät beim Wechsel in den Standby-Modus anheben muss, um an den Schalter zu kommen.
Besser erreichbar sind die - wenn auch sehr klein geratenen - Knöpfe für die Lautstärkeregelung, sie liegen von vorne betrachte links oben am Rahmen.
Der Vollständigkeit halber: Als weitere Elemente befinden sich auf der Unterseite zudem ein Anschluss für eine externe Tastatur (Motorola-Zubehör), eine proprietäre Ladebuchse (eine einheitliche Regelung zum Aufladen via USB wie bei Handys gibt es nicht), sowie eine Micro-HDMI- (zur Übertragung von 1080p-Videos) und eine Micro-USB-Buchse. Den SIM-Karten-Slot sowie einen Einschub für eine externe Speicherkarte (MicroSD-Card) hat Motorola wiederum im oberen Teil des Rahmens untergebracht, der Kartenleser und die Möglichkeit, USB-Geräte wie einen Game-Controller anzuschließen (USB-Host), werden allerdings erst über ein anstehendes Software-Update (Android 3.1) aktiviert.
Hardwareausstattung vom Feinsten
Während das Xoom optisch eher auf dem Niveau des Ur-iPad rangiert, muss es sich technisch auch vor dessen Nachfolger nicht verstecken. So ist der Motorola-Flachmann mit einem "Tegra2"-Chipsatz von Nvidia mit Dual-Core-CPU, basierend auf ARMs Cortex-A9-Architektur (1 Ghz Taktung), ausgestattet und verfügt über 1 Gigabyte Arbeitsspeicher sowie 32 GB Speicherplatz. Die beiden Kameras lösen mit 5 beziehungsweise 2 Megapixel auf und sind den Module des Apple-Tablets (1,3/0,3 Megapixel) somit haushoch überlegen. Als weitere Features sind ein elektronischer Kompass, ein Gyrometer und ein Beschleunigungssensor zu erwähnen, in punkto Konnektivität unterstützt das Xoom Bluetooth 2.1, UMTS/HSPA und 802.11n-WLAN, wie beim iPad ist aber auch eine reine WLAN-Variante erhältlich.
Hervorzuheben ist zudem der Lithium-Ionen-Akku mit üppigen 24,5 Wh, der das Motorola Xoom selbst bei intensiverer Nutzung von WLAN oder Multimedia problemlos durch den Arbeitstag (und darüber hinaus) bringt -allerdings sind auch iPad und iPad 2 Experten auf diesem Gebiet. Formell bessere Karten im Vergleich zur Apple-Konkurrenz weist das Xoom dagegen beim Bildschirm auf. Hier setzt Motorola anstelle des 4:3-Formats von iPad und iPad 2 auf ein breiteres 16:10-Verhältnis. Der Screen ist mit 10,1 Zoll zudem etwas größer und mit 1280 mal 800 Bildpunkten auch hochauflösender (iPad/iPad 2: 9,7 Zoll; 1024 mal 768 Pixel). Der Nutzer profitiert dabei zweifellos von der besseren Darstellung von Dokumenten oder Websites - sofern ihm nicht die mobile Version angeboten wird. Anders als für iOS gibt es bislang auch nur wenige Android-Apps, die speziell an Tablets und deren größere Bildschirme angepasst (und nicht nur hochgerechnet) sind, geschweige denn eine spezielle Abteilung für diese - zugegeben ein Henne-Ei-Problem, dass sich über die Zeit sicher geben wird.
Gewöhnungsbedürftige Software
Verbesserungen könnte auch das Betriebssystem Android 3.0 (Codename Honeycomb) vertragen, mit dem das Motorola Xoom als eines von wenigen Tablets bereits (offiziell) ausgeliefert wird. Honeycomb bricht mit der gewohnten Benutzerführung von Android und stellt damit selbst für eingefleischte Android-Nutzer eine Herausforderung dar - zumindest anfänglich, denn das System entbehrt nicht einer klaren Logik: So befindet sich etwa auf der rechten unteren Seite eine Statusanzeige, die über Benachrichtigungen, eingegangene Mails, Uhrzeit, Netzverbindung oder Akku-Zustand Auskunft gibt. Einfaches Tippen auf das Feld öffnet eine größere Ansicht, nach einem erneuten Druck kann man bequem verschiedene Einstellungen vornehmen.
Links unten wiederum befindet sich der Home-Button, zusätzlich kann man über einen Pfeil zum zuletzt genutzten Fenster gehen oder sich alle offenen Anwendungen anzeigen lassen. Um die Verwirrung komplett zu machen, kann man im rechten oberen Fenster die Liste an installierten Apps aufrufen oder - über das Plus-Symbol - den Desktop konfigurieren. Auf diese Weise lassen sich Widgets, Apps oder Verknüpfungen auf die insgesamt fünf Homescreens ziehen - eine Funktion, die die Usability des Systems deutlich erhöht.
Die virtuelle Tastatur des Xoom ist über die meiste Kritik erhaben, insbesondere im Querformat sind die Tasten selbst für große Finger geeignet, eine nennenswerte Verzögerung bei der Eingabe war nicht zu bemerken. Einziger Wermutstropfen ist, dass man bei der Auswahl der Schreibmethode eingeschränkt ist: Das Zehnfingersystem - sofern beherrscht - scheitert an der fehlenden Auflage für die Handballen. Wer es hingegen gewöhnt ist, das Tablet mit den Händen zu halten und mit den beiden Daumen zu bedienen wird, stößt auf andere Schwierigkeiten: Zumindest im Querformat erreicht er die innen liegenden Tasten nur mit Mühe, auch das Halten erschöpft sehr schnell.
Einen grundsätzlich positiven Eindruck macht auch der native und via Update Flash-fähige Browser. Er unterstützt die Nutzung mehrerer Tabs und anonymes Surfen, die Inhalte auf einer Website lassen sich zudem in gewohnter Manier hoch- und runterzoomen, Auch das Scrollen auf den Seiten geht schnell vonstatten - wenn auch mitunter zu schnell oder mit einem spürbaren Ruckeln. Hier könnte aber möglicherweise das für die nächsten Wochen angekündigte System-Update auf Android-Version 3.1 Abhilfe schaffen, das in den USA schon ausgeliefert wurde.
Fazit: Aller Anfang ist schwer
Bei seinem Marktstart in Deutschland hat das Motorola Xoom mit einem großen Handicap zu kämpfen: Es muss sich bei allen Kriterien mit dem Apple iPad 2 vergleichen lassen und idealerweise sogar überlegen sein. Dies gelingt jedoch nur teilweise, da Apple - ähnlich wie im Smartphone-Segment - seine Modellpflege ernst nimmt. Dank der hohen Stückzahlen und den zahlreichen Apple Shops und der Infrastruktur ist die Jobs-Company dabei zudem in der Lage, sehr wettbewerbsfähige Preise für sein Tablet aufzurufen, ohne die erhebliche Gewinnmarge zu gefährden. Im Gegensatz dazu schätzen Marktbeobachter, dass die Konkurrenz, Motorola eingeschlossen, ihre Tablets nur mit Mühe auf das Preisniveau des iPad 2 bringt.
Dennoch gibt es natürlich auch eine Reihe von Argumenten, die für das Xoom sprechen. Dazu gehören hardwareseitig etwa das größere und hochauflösendere Display oder die beiden Kameras. Auch bei den Schnittstellen hat das Motorola-Gerät mit HDMI, USB-Host und microSD die Nase vorn. Insgesamt macht das Tablet etwas den Eindruck, unfertig zu sein. Das Honeycomb-Update 3.1, das einige Kinderkrankheiten beheben soll, war zum Testzeitraum leider noch nicht verfügbar.