Linux als E-Commerce-Plattform

Das Herz von Mobile.de schlägt Open Source

27.10.2008 von Wolfgang Herrmann
Die E-Commerce-Plattform Mobile.de setzt für ihre geschäftskritische IT-Infrastruktur komplett auf Open-Source-Komponenten unter dem Betriebssystem Debian Linux.

Seit der Gründung im Jahr 1996 hat sich der Online-Fahrzeugmarkt Mobile.de zu einem der meistbesuchten E-Commerce-Portale in Deutschland entwickelt. Im vergangenen Jahr zählte das Unternehmen aus Dreilinden/Berlin erstmals mehr als eine Milliarde Page Impressions pro Monat, inzwischen ist die Zahl auf 1,5 Milliarden gestiegen. Auf den Webseiten finden Benutzer rund 1,4 Millionen Fahrzeuge, im September 2008 besuchten 47 Millionen Interessenten die Site. Für die IT-Organisation erwachsen daraus extreme Anforderungen an die Verfügbarkeit und Skalierbarkeit der zugrunde liegenden Plattform. Von Anfang an stemmte der Anbieter die Last mit Open-Source-Systemen wie der Datenbank MySQL und der freien Linux-Distribution Debian.

Technische Gründe für Linux

Technologie ist für Mobile.de eine Kernkompetenz, sagt IT-Chef Philip Missler.

"Wir wollten ein Betriebssystem, bei dem wir sehr viel selbst machen können und die Kontrolle darüber haben, was wir tun", begründet Philip Missler, Director Technology, die Entscheidung für die quelloffene Plattform. "Nach unserer Erfahrung sind die Unix-artigen Betriebssysteme für unsere Anwendungsfälle klar die bessere Alternative." Zwar spielten auch Aspekte wie Herstellerunabhängigkeit und Lizenzkostenstruktur eine Rolle. Ausschlaggebend für Mobile.de seien aber technische Aspekte gewesen. Missler nennt unter anderem die Leistung, Effizienz und Stabilität bei der Verarbeitung sehr großer Anfragevolumina, aber auch die Wartbarkeit durch leichtgewichtige Werkzeuge sowie den modularen Aufbau des Betriebssystems, der unnötigen Ballast vermeide. Last, but not least habe auch die Anpassbarkeit für Linux gesprochen.

Ideologie spielte keine Rolle

Die Vorliebe für das Open-Source-Prinzip sei keineswegs "ideologisch" bedingt, sondern habe ganz praktische Gründe, betont Missler: "Unser Geschäft beruht zu 100 Prozent auf unserer IT-Systemlandschaft. Gerade deshalb halten wir es für eine gute Idee, keine wirklich kritischen Komponenten einzusetzen, die wir nicht vollständig kontrollieren und im Ernstfall anpassen könnten. Kein User möchte sich den Kauf oder Verkauf eines Fahrzeugs durch einen Systemausfall entgehen lassen." Kommerzielle Linux-Distributionen, wie sie etwa Red Hat oder Novell offerieren, kamen für die Verantwortlichen dabei nicht in Frage. Diese hätten zwar ihre Berechtigung, so der IT-Chef, adressieren nach seiner Einschätzung aber eher IT-Management-Probleme. Auf der Engineering Ebene böten sie kaum bessere Lösungen als die bei Mobile.de eingesetzte freie Distribution Debian GNU (Version Sarge). "Debian hat sich für uns bewährt", erklärt Missler. "Ein Grund dafür ist das Paket-Management und die Modularität, die eine genaue Anpassung an den Einsatzzweck leicht macht."

Open-Source-Wissen im Haus

Auf externe Hilfe beim Open-Source-Einsatz verzichten die Berliner weitgehend. "Weder für Linux noch für Server-Software wie MySQL, Tomcat oder Apache setzen wir auf Wartung oder Support durch Dienstleister", so der IT-Chef. Wie die meisten großen E-Commerce-Plattformen stelle Mobile.de zentrale Engineering-Services im Bereich Entwicklung und Betrieb mit internen Spezialisten sicher. Nur in Einzelfällen hole man sich Hilfe von Partnern. Missler: "Technologie ist für uns nicht eine reine Effizienz-Maschinerie, sondern ein zentraler Wertschöpfungsfaktor, eine Kernkompetenz unseres Unternehmens."

Skalierbarkeit durch redundante Systeme

Wegen des rasanten Wachstums der Nutzerzahlen stieß die Kapazität der IT-Plattform indes schnell an Grenzen. Vor allem die Datenbank drohte aus allen Nähten zu platzen. Für das Team um Missler galt es deshalb, die Skalierbarkeit zu erhöhen und dabei gleichzeitig die Ausfallsicherheit zu stärken. Darüber hinaus wollte das Management Kosten sparen und die Abhängigkeit von Dienstleistern verringern. "Jede Minute, in der eine unserer Anwendungen nicht verfügbar ist, kostet uns Kunden, Nutzer und damit Umsatz", erläutert Missler. Heute seien alle Systemschichten mehrfach redundant ausgelegt; deshalb gebe es auch keine Wartungsfenster. Alle Änderungen müssten sich im laufenden Betrieb erledigen lassen.

Vor allem am Flaschenhals der Datenbank-Server setzte das IT-Team an. Früher nutzte das Unternehmen rund 1000 kleine Linux-Server mit einer Anbindung an MySQL. Dafür standen rund 400 Datenbank-Replikanten zur Verfügung. "Damals hatte Mobile.de den größten Datenbank-Cluster in Europa", erinnert sich Missler. Heute bearbeiten nur noch 600 Blade-Server, verteilt auf zwei Rechenzentren, die weiter zunehmenden Nutzeranfragen. Die Reduzierung auf weniger, aber leistungsstärkere Server senke langfristig die laufenden Kosten für Energie, Hosting und Infrastruktur um 30 Prozent. Zugleich habe sich die kritische CPU-Auslastung, die vor der Umstellung zwischen 70 und 100 Prozent schwankte, auf 50 bis 60 Prozent verringert. Dabei verarbeite das neue System Suchanfragen viermal schneller.

Migration von Perl auf Java

Das aufwändigste Teilprojekt war laut Missler die Migration der Kernanwendungen von Perl auf Java: "Wir sprechen von mehreren hunderttausend Zeilen selbstentwickelten Codes, die bei einem Wechsel der Programmierer schnell zu einem ernsthaften Problem werden können", erläutert Missler die Dimension des Vorhabens. Die Herausforderung für das IT-Team bestand vor allem darin, alle Migrationsschritte ohne Unterbrechung des laufenden Betriebs zu schaffen. Seit Anfang 2007 arbeitete Mobile.de deshalb parallel in der alten und der neuen IT-Welt. Von der Umstellung erhofft sich Mobile.de insbesondere, schneller auf Veränderungen im Markt reagieren zu können. Unterm Strich habe das Architekturprogramm den Ressourcenbedarf um die Hälfte gesenkt, resümiert der IT-Chef. "Der Anteil der Betriebskosten am Gesamtumsatz ist seit dem Jahr 2005 um 35 Prozent zurückgegangen, und das bei deutlich verbesserter Qualität der Infrastruktur und der Betriebssicherheit."