Praxistest

Das hat das Nokia 5800 XpressMusic zu bieten

13.03.2009
Mit dem Multimedia-Smartphone 5800 XpressMusic hat der Handy-Riese Nokia seine erste Touchscreen-Anwort auf das Apple iPhone präsentiert. Ein Test zeigt, was den Nutzer erwartet.

Der Lieferkarton ist prall gefüllt. Ersatz-Stylus, Lanyard, eine stabile Hartplastik-Schutzhülle und das TV-Kabel sind nette Extras. Die 8 Gigabyte große microSD-Karte steckt bereits im Handy, ein separater Standfuß wird ebenfalls mitgeliefert, er erlaubt das freihändige Betrachten von Videos. Ein Gutschein über zehn Songs im Nokia Musik Store komplettiert die lange Liste der Beigaben.

Etwas pummelich, aber doch ganz ansehnlich: Das Nokia 5800 XpressMusic.

Mit 52 Millimetern ist das 5800 XpressMusic zwar sehr schmal, aber dicke 15,5 Millimeter lassen es wie einen Ziegelklotz aussehen. Zum Glück ist das Handy mit nur 109 Gramm viel leichter, als man denkt. Logisch, denn das erste Touchscreen-Handy von Nokia kommt als billiger Plastikbomber daher. Immerhin leistet sich die Verarbeitung nur wenige Patzer. Während man keine unregelmäßigen Spaltmaße entdecken kann, quietscht und knarzt das klotzige Handy allerdings fast bei jeder Berührung. Schuld ist der weiche Kunststoff, der auf Druck schnell nachgibt.

Das 3,2-Zoll-Display wird auf 4x7 Zentimetern extrem in die Breite gezogen und vermittelt daher 16:9-Charakter. Zusammen mit der hohen Auflösung von 640x360 Pixel und 16 Millionen darstellbaren Farben ist es ideal für die Videobetrachtung geeignet. Außer Xvid- und DivX werden alle gängigen Videostandards vom Nokia-Handy unterstützt. Der Touchscreen sieht nicht nur gut aus, er reagiert auch sehr sensibel. Neben der typischen alphanumerischen Tastatur steht eine bildschirmfüllende Volltastatur zur Auswahl. Mit ihr lassen sich Texte fast so fehlerfrei und schnell wie auf dem Samsung M8800 Pixon schreiben, das unter den Touchphones bislang die Referenz darstellt. Die Handschrifterkennung ist demgegenüber mangelhaft. Unter dem Display befinden sich drei gut erfühl- und bedienbare Buttons zum Annehmen und Beenden von Anrufen und für das Hauptmenü. Der seitliche Schieberegler zum Entsperren des Displays ist ausreichend straff ausgelegt, nur die Kamerataste schneidet mit ihrem extrem matschigen Druckpunkt schlecht ab.

Ausstattung

Große Namen sind nicht immer gleichbedeutend mit guter Qualität. Das beweist die Carl Zeiss-Optik des 5800, denn abgesehen davon, dass 3,2 Megapixel aktuell die unterste Grenze des Zumutbaren darstellen, liefert die Kamera auch nur unterdurchschnittliche Ergebnisse. Fotos werden oft mit Farbstichen versehen, die Bildschärfe lässt zu wünschen übrig und vor allem das Ausfransen an scharfen Kanten macht sich störend bemerkbar. Noch schlimmer werden die Ergebnisse bei Innenaufnahmen, egal ob mit oder ohne LED-Blitz. Darüber hinaus ist die Speicherzeit für die Bilder mit drei Sekunden zu lang. Der Autofokus verhindert ebenfalls Schnappschüsse, da er mindestens zwei Sekunden zum Scharfstellen benötigt. Der einzige Lichtblick ist der Videomodus, der mit 640x480 Pixeln Auflösung gute Nokia-Standardkost bietet.

Der Browser bietet in einem Zusatzfenster zahlreiche Optionen an.

Der S60-Musikplayer sieht auf dem ersten Touchphone von Nokia genauso aus, wie auf älteren S60-Handys. Musik wird nach Interpreten, Alben, Genres, Komponisten und Podcasts vorsortiert. Podcasts können direkt auf das Handy heruntergeladen werden. Hat man sich für ein Lied entschieden, landet man in einem schmucklosen Musikplayer, der Coverarts nur sehr klein anzeigt. Jetzt kann man mit dem frei einstellbaren Equalizer den Klang anpassen oder einen Bass-Boost zuschalten. Da Nokia beim 5800 einen speziellen Audiochip verwendet, gibt es beim Sound wenig zu meckern - zumindest, solange man gute Kopfhörer benutzt. Das mitgelieferte Kabel-Headset bringt zwar Höhen gut zur Geltung, sitzt aber schlecht und tendiert selbst bei der spärlichen Basswiedergabe schnell zum Klirren. Ein UKW-Radio mit RDS und 20 Senderspeicherplätzen sorgt für musikalische Abwechslung.

Im Prinzip hat Nokia den alten S60-Browser 1:1 übernommen und für die Fingerbedienung angepasst. Egal, ob man mit WLAN oder HSDPA (bis zu 3,6 Mbit/s) ins Internet geht, im direkten Vergleich rendern Opera 9.5 oder der Safari-Browser des Apple iPhone schneller. Auch das Scrolling ist bei den Konkurrenten flüssiger. Dafür ist die Darstellung fehlerfrei, allerdings empfanden wir die Bedienung nicht mehr so komfortabel, wie bei S60-Geräten ohne Touchscreen.

Zwar ist man auch mit WLAN nicht viel schneller als mit HSDPA im Internet unterwegs, dank eines vorinstallierten SIP-Clients kann man allerdings günstig übers Internet telefonieren. Mit dem PC verbindet man das Nokia entweder über USB oder Bluetooth. Nahezu alle Profile, von SAP für die KFZ Freisprechanlage bis zu A2DP zur kabellosen Übertragung von Musik, werden unterstützt.

E-Mail-Postfächer lassen sich dank eines Assistenten, der die meisten Einstellungen automatisch abruft, komfortabel einrichten. Nach der Eingabe von E-Mail-Adresse, Nutzernamen und Passwort ist das Handy zum Abruf neuer Nachrichten bereit. Im Posteingang werden übersichtlich sieben Kopfzeilen angezeigt. Der Kalender bietet Bekanntes und profitiert wie die Kontaktverwaltung von der neuen Touchscreen-Bedienung. Mit wenigen Klicks lassen sich neue Termine und Aufgaben festlegen, die Übersicht ist dank des großen Displays gut. Dazu trägt auch der Startbildschirm bei, auf dem die Termine der nächsten Tage angezeigt werden.

Mit dem großen Display ist das 5800 perfekt als vollwertiges Navi geeignet. Der Satelliten-Fix dauert dank A-GPS nur wenige Sekunden, die Verbindung ist stabil. Einen weiteren dicken Pluspunkt heimst sich das erste Touchphone von Nokia für die kräftigen Lautsprechern ein. So bleiben die Routenanweisungen auch in lauter Umgebung noch verständlich. Alle Karten und Funktionen von Nokia Maps 2.0 sind umsonst, nur die sprachgeführte Navigation kostet extra.

Telefonfunktionen / Ausdauer

Das Betriebssystem Symbian S60 kommt beim Nokia 5800 mit 128 Megabyte RAM und einem auf nur 369 Megahertz getakteten ARM-11-Prozessor aus. Dennoch werden Menüs fast verzögerungsfrei geöffnet, Drehungen des Bildschirms geschehen fast direkt. Zwischendurch kommt es allerdings immer wieder zu kurzen Hängern, in denen das Display für etwas mehr als eine Sekunde schwarz bleibt. An der Bedienung hat sich kaum etwas geändert. S60-Veteranen werden sich mit der Menüstruktur und dem äußeren Erscheinungsbild von S60-Touch äußerst wohl fühlen. Doch eine seltsame und wenig intuitive Bedienlogik verhagelt das gute Gesamtbild. In den meisten Menüs muss man zur Bestätigung ein zweites Mal auf die Unterpunkte klicken, um das 5800 XpressMusic zur Ausführung zu bewegen. In Kontextmenüs wie etwa im Musik-Player reicht dafür ein Klick, dafür ist man hier plötzlich gezwungen, ausschließlich über den viel zu schmalen Scrollbalken am rechten Rand zu navigieren. Auch nach längerer Benutzung gewöhnt man sich nicht an diese widersprüchliche Menüführung. Praktisch ist hingegen die berührungssensitive Taste über dem Display, die jederzeit den Zugriff auf die wichtigsten Multimedia-Anwendungen wie Musik oder Videos erlaubt.

Active-Standby mit aktivierter Medienbibliothek.

Das 5800 XpressMusic schaltet das Display beim Telefonieren automatisch ab, sobald es ans Ohr gehalten wird. Im Netz von T-Mobile war an beiden Enden der Leitung keinerlei Rauschen zu vernehmen, Gesprächspartner klangen beidseitig realistisch und laut. Wegen der starken Rauschunterdrückung fehlt es allerdings etwas an Höhen. Der laute und voluminöse Außenlautsprecher, dem kein Klirren oder Knistern zu entlocken war, überzeugte dagegen restlos. Ebenfalls positiv fiel der Akku auf. Mit seinen 1320 mAh hält der Powerpack das Handy je nach Nutzung 2 bis 5 Tage am Leben. Das ist angesichts der geballten Ausstattung ein Spitzenwert. Die Musikwiedergabezeit von 35 Stunden laut Herstellerangabe erscheint daher recht realistisch.

Fazit

Plastik hin oder her: Die gebotene Leistung ist im Verhältnis zum Preis sehr gut. Wenn Nokia 2009 auch noch die Musik-Flatrate "Comes with Music" anbietet, dürfte sogar die Wahl zwischen iPhone und 5800 schwer fallen - zumindest für preisbewusste Musikfans. Denn technisch hat der Billigheimer mit seinem großen Touchscreen, HSDPA, GPS und WLAN erstaunlich viel zu bieten, er patzt allerdings beim Design und bei der Bedienung. Die seltsame Scroll-Methode, die von allen anderen Touch-Handys abweicht, stößt fast in allen Menüs und besonders im Browser sauer auf. Nokia hat den Fehler gemacht, die S60-Oberfläche nur geringfügig an die Touch-Bedienung anzupassen, statt sie neu zu erfinden. Letztendlich polarisiert das 5800 XpressMusic. Es wird vermutlich genau so viele Freunde wie Hasser finden. Auf jeden Fall weckt es Vorfreude auf das kommende N97.

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