Das Ende der Papierstapel

13.12.2005 von Frank Wuschech
Lösungen für die automatisierte Rechnungsverarbeitung schaffen einen durchgängigen elektronischen Prozess - vom Einkauf bis zur Bezahlung.

Die Deutschen hängen am Papier - zumindest, wenn es um die Verarbeitung eingehender Rechnungen geht. In vielen Unternehmen gleich welcher Größe laufen die Prozesse noch wie anno dazumal: Die Mitarbeiter der Poststelle sortieren die Dokumente per Hand und übergeben sie an den Büroboten, der dann schwer bepackt zu den Kollegen in der Fachabteilung marschiert und ihnen die Papiere bringt. Dort suchen die Mitarbeiter die Bestellaufträge heraus, um sie mit den Lieferscheinen und Rechnungen abzugleichen.

Hier lesen Sie...

  • wie Unternehmen die zeitaufwändige Bearbeitung von Eingangsrechnungen automatisieren können;

  • wie sich ein Medienbruch im Einkaufs- und Finanz-Management vermeiden lässt;

  • wieso die meisten Rechnungen immer noch auf Papier verschickt werden - und warum sich das bald ändern dürfte.

Noch herrscht das Papier

Stimmen die Daten überein, wird die Akte dem Verantwortlichen zur Genehmigung vorgelegt. Ist diese erteilt, erhält die Finanzabteilung eine Anweisung, die Zahlung vorzunehmen. Abschließend kommt der Archivar ins Spiel: Er sucht den richtigen Ordner heraus, heftet die Rechnung ab und sorgt dafür, dass sie wie vom Gesetzgeber verlangt für zehn Jahre revisionssicher aufbewahrt bleibt.

Rechnungen auf Papier lassen sich effizienter verarbeiten.
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Das klingt nach der Büro-Gemütlichkeit eines Heinz-Erhardt-Films? Weit gefehlt: Etwa 70 Prozent aller großen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, so schätzen Beratungsfirmen, verfahren heute noch so oder ähnlich. Auch in Konzernen mit mehreren Standorten: Hier müssen die eingehenden Rechnungen vorab sogar noch per Post an die zentrale Bearbeitungsstelle geschickt werden, was zusätzlich Porto kostet. Selbst wenn Unternehmen Einkauf und Buchhaltung komplett mit E-Procurement-Lösungen und ERP-Systemen abwickeln, verarbeiten sie die Rechnungen in den meisten Fällen immer noch auf Papier.

Wie sich die Abläufe dabei verzögern, haben die Marktforscher des Beratungshauses Gartner herausgefunden: Der Käufer, so eine aktuelle Studie, benötigt im Schnitt 41 Tage, um eine eingehende Rechnung zu bearbeiten und zu bezahlen, sofern er keine entsprechende Software einsetzt. Das manuelle Verarbeiten der Rechnungen bremst den gesamten Vorgang aus - wie ein veralterter Arbeitsspeicher einen Hochleistungscomputer.

Ein durchgängig elektronisches System von der Bestellung bis zur Bezahlung der Rechnung vereinfacht nicht nur den Einkauf, sondern verbilligt auch die Rechnungsverarbeitung. Komplettlösungen ersetzen Routinearbeiten wie das Weiterleiten von Papierrechnungen und die manuelle Eingabe von Bestell- und Rechnungsdaten. Auch zeitraubende Genehmigungsumläufe fallen weg, da Bestellung, Lieferung und Rechnung automatisch abgeglichen werden. So lassen sich sämtliche Beschaffungs- und Kreditorenprozesse straffen, die Verwaltungskosten sinken kräftig. Verzugszinsen lassen sich vermeiden und Skontomöglichkeiten besser ausschöpfen. Finanz-Manager erhalten zudem einen exakten Überblick über die Verbindlichkeiten - eine wichtige Voraussetzung für die Liquiditätsplanung.

Vom Einkauf bis zur Bezahlung

Wie sieht eine Lösung für einen durchgängigen Ablauf von der Beschaffung über die Rechnungsverarbeitung bis hin zur gesetzeskonformen Archivierung im Detail aus? Eine solche "Purchase-to-pay"-Anwendung hat ihren Ausgangspunkt in der kataloggestützten Bestellung: Die Produktkataloge befinden sich in einem Webbasierenden System, in dem die Nutzer ihre gewünschten Artikel online aussuchen und Favoriten einstellen können. Komfortable Suchmenüs mit Warentypen, Kategorisierungs- und Warenkorbfunktionen sorgen für eine schnelle Bestellabwicklung. Das System übermittelt die Bestellungen automatisch im XML-Format oder per E-Mail an den Lieferanten. Für die externe und interne Kontrolle werden im Katalogsystem auch Informationen und Verträge mit den vereinbarten Konditionen hinterlegt. So lässt sich überprüfen, ob die ausgehandelten Verträge und Modalitäten von allen Lieferanten und internen Abteilungen angewendet und eingehalten werden. Jedes Unternehmen kann dabei sein Bestell- und Freigabeprozedere selbst bestimmen.

Jedes Stadium dokumentiert

Auf diese Weise ist jedes Stadium des Prozesses dokumentiert. Die Anwender können jederzeit über bestimmte Suchkriterien wie Buchungskreis, Lieferant, Belegart, Zeitraum, Start- und Enddatum den aktuellen Status des Bestellvorgangs abrufen. Da die Bestellungen immer mit der jeweiligen Kostenstelle im Unternehmen verknüpft sind, lässt sich auch leicht überprüfen, wie sich der Einkauf auf die Abschlüsse auswirkt.

Mit Identifizierungsmethoden lesen Programme - hier das Beispiel Itesoft - Papiervorlagen aus.

Wenn die bestellte Ware ausgeliefert ist und die zugehörige Papierrechnung eingeht, wird sie durch Scannen direkt in das Workflow-System übertragen. Eine Optical-Character-Recognition-Funktion (optische Zeichenerkennung) erkennt selbsttätig die relevanten Daten wie Bestell- und Rechnungsnummer, Kostenstelle oder Ansprechpartner, verknüpft sie mit den Kreditorenstammdaten aus dem Buchhaltungssystem, gleicht sie ab und bereitet die Rechnung zur Zahlung vor.

Der Mensch bearbeitet Ausnahmen

Der Mensch kommt erst dann ins Spiel, wenn es eine Diskrepanz zwischen Order und Rechnung gibt. Verlangt der Verkäufer zum Beispiel Geld für Produkte oder Leistungen, die nicht erbracht oder geliefert wurden, wird der zuständige Mitarbeiter per E-Mail informiert und kann die Angelegenheit prüfen. Hat er die Rechnung dann genehmigt und kontiert, geht sie zur Abschlusskontrolle an die Kreditorenbuchhaltung und wird von dort automatisch in das Buchhaltungssystem übertragen. Alle anderen Rechnungen kontiert die Lösung sofort und übergibt sie an das System für die Finanzbuchhaltung.

Zu jeder Zeit verfolgt die Lösung selbsttätig den Bearbeitungsstatus jeder Bestellung und Rechnung, überwacht Zeitlimits und verschickt falls nötig Erinnerungsmails für die Freigabe von Rechnungen oder kann den unstrittigen Teilbetrag eigenständig kontieren, so dass nur der Posten offen bleibt, der nicht dem Einkaufsauftrag entspricht - sofern dies vom Rechnungsempfänger so gewünscht wird.

35000 Rechnungen pro Jahr

Wie Unternehmen von der automatisierten Rechnungsverarbeitung profitieren, zeigt das Beispiel der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-Betriebe (WVV): Rund 35 000 Rechnungen fallen hier jedes Jahr an, etwa für Grabungen und das anschließende Verlegen von Kabeln und Rohren, Wartungsarbeiten, Materiallieferungen, IT-Services und vieles mehr. Bis vor kurzem wurden bei der WVV sämtliche Rechnungen zur Bestätigung durch die jeweilige Fachabteilung "auf physikalischem Weg" in den Umlauf gebracht - mit allen Nachteilen: Durchlief die Papierrechnung erst einmal den traditionellen internen Postweg, dauerte es mitunter über 14 Tage, bis Kontrolle und Genehmigung abgeschlossen waren. Die Kreditorenabteilung hatte keinen vollständigen Überblick über den Verbleib von Rechnungen und war mit Skontoverfall und der Überschreitung von Zahlungsfristen konfrontiert. Hinzu kam die zeitaufwändige und umständliche Ablage der Rechnungsbelege in die jeweiligen Ordner.

Heute spart die WVV Zeit und Kosten: Die Rechnungen werden zentral gescannt, aufbereitet und bei Bedarf elektronisch zur Kontrolle weitergeleitet. Sind bereits vorher die Rechnungen korrekt, werden sie automatisch zur Verbuchung in das vorhandene SAP-System übertragen. Auch die langwierige Ablage und physische Belegarchivierung entfallen. Ein verbesserter Überblick über die anstehenden Zahlungen lässt eine genauere Liquiditätsplanung zu. Mit dem neuen System die Eingangsrechnungsbearbeitung im Schnitt ist eine eingehende Rechung nach zwei bis drei Tagen bearbeitet, so dass sich der Durchlauf um 80 Prozent verkürzt hat. Konzernweit bedeutet das eine Einsparung von zwei bis drei Vollzeitkräften. Für die WVV hat sich die Investition in jeder Hinsicht gelohnt - sie hat sich in rund einem Jahr amortisiert.

Lösungen für die elektronische Rechnungsverarbeitung pusten also den Staub aus dem Finanz-Management. Doch es geht effizienter: Wenn die Rechnungen nämlich gleich elektronisch über ein Internet-basierendes Abrechnungssystem übermittelt werden. Denn dann entfallen das Scannen und die optische Zeichenerkennung.

Allerdings werden heute laut einer gemeinsamen Studie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main und der TU Darmstadt nicht einmal 30 Prozent der Rechnungen, die in Unternehmen eingehen, elektronisch verschickt. Das Festhalten am Papier liegt daran, dass der Gesetzgeber hohe Hürden für die steuerliche Anerkennung dieser digitalen Rechnungen aufgebaut hat: Das Umsatzsteuergesetz verlangt mittlerweile einen Nachweis der "Echtheit und Unversehrtheit der Rechnung durch eine qualifizierte elektronische Signatur". Fehlt diese, ist der Vorsteuerabzug gefährdet.

Gesetz schreibt digitale Signatur vor

"Qualifiziert" bedeutet in diesem Fall: Der Anbieter der digitalen Signatur muss von der Bundesnetzagentur (ehemals Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post) anerkannt sein.

Mittlerweile gibt es zwar eine Vielzahl von Softwareherstellern, die diese Vorgaben erfüllen - jedoch noch keinen Standard, da fast alle Anbieter eigene Formate entwickelt haben. Die Unübersichtlichkeit auf dem Markt für digitale Signaturen ermutigt Unternehmen trotz der zu erwartenden Kostenersparnisse nicht gerade hier zu investieren. Allerdings gibt es mittlerweile Anwendungen, die als eine Art "Clearing-Stelle" die unterschiedlichen Signaturen verifizieren und dafür sorgen, dass sich die Bearbeitung nahtlos in die Finanz-Management-Systeme einfügt.