Die Zukunft der Arbeit

Das Ende der E-Mail

22.12.2010
E-Mail war gestern, meint Philipp Rosenthal. Er bezeichnet sich als Future Office Evangelist und kümmert sich um den Arbeitsplatz der Zukunft bei Tieto.

CW: "Future Office Evangelist" ist eine etwas ungewöhnliche Bezeichnung. Wie lautet Ihre Stellenbeschreibung?

ROSENTHAL: Meine Arbeit ist der Klebstoff zwischen Produkt-Management, Marketing und Vertrieb. Ich kümmere mich um die Weiterentwicklung unseres Portfolios, produziere Inhalte für Vertrieb und Marketing und halte interne Schulungen für unsere Mannschaften. Ich stehe für die Philosophie eines Social-Media-inspirierten Arbeitsplatzes mit meinem Namen.

CW: Wie sieht denn so ein Social-Media-inspirierter Arbeitsplatz aus?

ROSENTHAL: Soziale Medien führen zu Verhaltensweisen, die wir uns von den Information Workern wünschen: teilen, sich mitteilen, über fachliche und geografische Grenzen hinweg Netzwerke und Beziehungen aufbauen. Unser Future-Office-Konzept entwickelt das Intranet zu einer Kommunikationsplattform als gemeinsame Basis für Austausch, Kollaboration, Vernetzung und Wertschöpfung weiter. Außerdem haben alle an einem Projekt Beteiligten zeit- und ortsunabhängig Zugriff auf Anwendungen und Datenbanken und können in virtuellen Meeting-Räumen Dokumente gemeinsam bearbeiten. Ein wichtiger Bestandteil sind Mitarbeiter-Profile à la Xing, die neben Kontaktdaten und beruflichen Qualifikationen auch die letzten Einträge in internen Blogs und Wikis enthalten. Der nächste vor allem arbeitskulturell große Schritt wird das Ablösen von E-Mail im Bereich von Status-Updates und projektbezogenen Informationen sein. Dort werden wir auf kontextuelles Micro Blogging umsteigen - dieses wird sich dann auch in den persönlichen Profilen wiederfinden.

CW: Was ist der Gradmesser Ihres Erfolgs und welche Hebel können Sie bewegen, um ihre Ziele zu erreichen?

ROSENTHAL: Die Erfolgsindikatoren sind harte Zahlen - Umsatz und Gewinn. Zur Sicherung der Performance setze ich auf drei Faktoren: erstens die Vertriebsziele, die ich mit den Kollegen aus Marketing, Vertrieb oder Software Engineering habe. Zweitens, den Aufbau von Kompetenzen im Future-Office-Umfeld, den wir vorantreiben. Und schließlich die Begeisterung für das Thema, die ich mit meiner Arbeit intern und extern zu wecken versuche.

CW: Wie kann man sich die "Evangelisierung", die Erzeugung dieser Begeisterung, konkret vorstellen?

ROSENTHAL: Vor allem muss man konsistent sein: Wenn ich für einen Arbeitsplatz werbe, der sich an den Prinzipien von Social Media orientiert, muss ich selbst diese Prinzipien anwenden. So betreibe ich die interne Vermarktung auf Basis einer Community. Dort finden sich alle Informationen rund um das Thema. Darüber hinaus hat die Community einen Blog. Das ist mein Hauptinstrument für die Kommunikation mit meinen "Followern": Auf diese bin ich für meinen Erfolg angewiesen, denn ich habe keine direkten Mitarbeiter, ich muss also überzeugen! Außerdem gibt es ein Wiki, so etwas wie meine "Microsite" für Informationen, die man sich nicht zwingend in einem Dokument herunterladen muss.

Arbeit 2.0
Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?
neue Antworten auf diese Frage suchten 28 Absolventen aus aller Welt in Berlin. Sechs Wochen lang dauerte der Workshop "Palomar 5". Foto: Palomar 5/ Carolin Seeliger
Sie haben Palomar 5 organisiert:
Philippa Pauen, Dominik Wind, Jonathan Imme, Hans Raffauf, Simon Wind, Mathias Holzmann (von links nach rechts)
600 Menschen aus aller Welt haben sich beworben....
....28 Absolventen, die unter anderem an Eliteuniversitäten in Harvard, Oxford oder Princeton studierten, wurden schließlich nach Berlin eingeladen. Foto: Carolin Seeliger
Denken ohne Grenzen
Sechs Wochen lebten die Kreativen in einer alten Berliner Malzfabrik und entwarfen Konzepte für ein neues Arbeiten. Foto: Norbert Ittermann
Nur der Schlafplatz war begrenzt.
Jeder Teilnehmer musste sich in einer drei Quadratmeter großen Koje aus Spanbretter betten. Foto: Norbert Ittermann
Ansonsten boten die einstigen Fabrikräume...
viel Platz für die Suche nach Ideen. Foto: Norbert Ittermann
Teamarbeit ohne Grenzen...
...ist für die jungen Generation ganz wichtig. Im Workshop praktizierte sie sie auch täglich.Foto: Norbert Ittermann
Rückzugsorte...
...fanden sich natürlich trotzdem. Foto: Carolin Seeliger
Achtung Auftritt..
..hieß es beim Abschlussgipfel, als alle Teams ihre Ideen präsentierten. Darunter ein mobiles Holodeck für mehr Entspannung im Arbeitsalltag (The Egg). Foto: Carolin Seeliger
300 Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur.
..hörten sich die Ideen der jungen Wilden an, die anders arbeiten wollen. Ohne Hierarchien, ohne feste Arbeitszeiten und nicht in Konzernen. Foto: Carolin Seeliger

E-Mail: Überstrapaziert und ineffizient

CW: Verwenden Sie gar keine klassischen Kommunikationskanäle wie E-Mail oder Telefon?

ROSENTHAL: In der Kommunikation mit meiner Community verzichte ich darauf - wenn man ein, zwei spezifische Anlässe mal ausklammert. Im Projektgeschäft - also der aktiven Arbeit mit und für Kunden - schreibe ich natürlich E-Mails. Aber mittelfristig werde ich auch die interne Kommunikation im Projektumfeld auf Microblog und Activity Stream umstellen. E-Mail ist überstrapaziert und einfach vollkommen ineffizient.

CW: Müssen Sie Ihre Tweets und Blog-Beiträge von der Kommunikationsabteilung genehmigen lassen?

ROSENTHAL: Nein, das würde allein schon angesichts der Vielzahl meiner Aktivitäten im Rahmen der "Evangelisierung" nicht funktionieren und auch der Grundidee des Ganzen zuwiderlaufen: Authentisch zu sein ist die wichtigste Regel beim Einsatz von Social Media überhaupt. Aber mir ist bewusst, dass meine Aussagen direkt auf unsere Organisation zurückfallen. Deshalb agiere ich in enger Abstimmung mit unserer Kommunikationsabteilung und den Richtlinien des Unternehmens.

CW: Natürlich ist Begeisterung für ein Thema wichtig. Aber es gibt doch sicher auch "harte" Voraussetzungen für den Erfolg eines Future Office!

ROSENTHAL: Als Unternehmen darf man den Aufwand für das Change-Management nicht unterschätzen. Denn es sind nicht die IT-Plattformen, die den Ausschlag geben, sondern die Firmenkultur. Und die Menschen müssen die neuen Möglichkeiten für sich auch einzusetzen wissen. Das erreicht man nicht mit einem Handbuch, da muss man auch mal Händchen halten.

CW: Ist Future Office Evangelist eine Rolle, die wir in Zukunft häufiger sehen werden? Stecken darin vielleicht sogar neue Karrierewege für Berufseinsteiger?

ROSENTHAL: Mit den Digital Natives wächst eine Generation heran, der traditionelle Formen der Organisation und Kommunikation nicht mehr gerecht werden. Früher oder später müssen sich alle Organisationen und Unternehmen auf diese Veränderungen einstellen, wenn sie im Wettbewerb um Kunden und Talente erfolgreich sein wollen. Und dafür werden sicherlich "Veränderungsagenten" dringend gebraucht, ob sie nun Evangelisten heißen oder nicht. Ob das aber eine Aufgabe für Berufseinsteiger ist? Man braucht für diese Rolle nicht nur fachliche Fähigkeiten. Wichtig sind politisches Geschick, Verständnis für Rollen und Funktionen in einem Unternehmen und Kommunikationsfähigkeit.

Tieto

Der IT-Dienstleiter Tieto wurde 1968 in Finnland gegründet, schloss sich 1999 mit dem schwedischen Konzern Enator zusammen zu Tieto Enator. Seit dem Frühjahr 2009 heißt das Unternehmen nur Tieto. Der Konzern aus Skandinavien beschäftigt weltweit 17.000 Mitarbeiter und zählt sich zu den großen IT-Dienstleistern Europas. Tieto bietet Services für die Bereiche IT, Beratung sowie Forschung und Entwicklung an. Die deutsche Niederlassung hat ihren Hauptsitz in Eschborn.