Ratgeber

Das E-Mail-Chaos beginnt im Kopf

29.07.2009 von Sascha Alexander
Vieles wird falsch gemacht bei der E-Mail-Nutzung. Die Folgen sind eine sinkende Produktivität und Stress. Doch es gibt einfache Hilfen.

Wie bearbeiten Sie eigentlich Ihre E-Mails? Lesen Sie Ihre elektronische Post systematisch jeden Morgen oder eher zwischendurch? Ordnen oder filtern Sie die eingehenden Nachrichten oder kommt alles auf den großen digitalen Haufen "für später"? Schreiben Sie nur Geschäftliches oder alles, was Ihnen in den Sinn kommt oder lustig ist? Schicken Sie Ihre Mails gern an alle oder nur an ausgewählte Empfänger? Lassen Sie sich vom E-Mail-Client über neue Post benachrichtigen, oder schauen Sie sowieso ständig nach? - Auf Fragen wie diese können geschäftliche E-Mail-Nutzer meist keine eindeutigen Antworten geben. Nur in einem Punkt sind sich heute die meisten einig: Sie sehen in der Informationsflut durch E-Mails eine der Hauptursachen für Stress und Unkonzentriertheit am Arbeitsplatz (Lesen Sie auch den zweiten Teil des Ratgebers, der sich vor allem mit den Anforderungen an den Arbeitgeber beschäftigt).

Vierzehn Regeln für den E-Mail-Verkehr
1. Verfassen Sie Ihre E-Mails knapp und präzise.
Alles was mehr als zwei Seiten umfasst, gehört in eine angehängte Datei.
2. Überprüfen Sie Rechtschreibung und Grammatik.
In den meisten E-Mail-Systemen gibt es entsprechende Funktionen. Da dies bekannt ist, werden entsprechende Fahrlässigkeiten übel genommen. Fehler suggerieren: Der Autor hat sich entweder für mich keine Zeit genommen oder er ist ein Schlendrian.
3. Beantworten Sie E-Mails schnell.
Reaktionsschnelligkeit ist einer der entscheidenden Vorteile von elektronischer Post. Vor allem auf erwartete Messages sollte zügig geantwortet werden. Wenn man nicht gerade extrem beschäftigt ist, sollte man den Posteingang mehrmals täglich checken. Allerdings ist es nicht nötig, die automatische Benachrichtung (Auto Notify) zu jeder eingehenden E-Mail zu aktivieren - das lenkt zu sehr von der Arbeit ab.
4. Gehen Sie sparsam mit der Funktion "Antwort an alle" um.
Es besteht die Möglichkeit, die Nachricht an eine Gruppe zu versenden, aus der sich vielleicht nur ein Prozent der Beteiligten dafür interessiert. Der Effekt ist vergleichbar mit einer Fahrt in einem öffentlichen Verkehrsmittel, in dem man gezwungen ist, dem Handygespräch eines Unbekannten zuzuhören. Wer ohne Notwendigkeit allen antwortet, erzeugt außerdem jede Menge elektronischen Müll. Insbesondere, wenn Anhänge mitgeschickt werden, führt das unnötige Versenden an große Verteiler zu Ressourcenproblemen.
5. Sorgen Sie dafür, dass Ihre E-Mail einfach lesbar ist.
Experton empfiehlt, die E-Mail in einem Stil zu verfassen, der einem schriftlichen Dokument (zum Beispiel Geschäftsbrief) gleicht. Grußformel und Unterschrift (Automatische Signatur) sind selbstverständlich. Außerdem sind kurze Sätze sowie - bei längeren Texten - Absätze zu empfehlen.
6. Halten Sie sich an die rechtlichen Bestimmungen für den E-Mail-Verkehr.
In Deutschland gilt seit Anfang 2007 eine neue Rechtsprechung, der zufolge im Anhang Pflichtangaben über das Unternehmen (Rechtsform, Sitz, Registergericht, Geschäftsführung) vorgeschrieben sind. Außerdem kann es manchmal nützlich sein, Angaben zu Urheberrecht, Vervielfältigung oder sonstige Rechtsklauseln anzuhängen. Im Übrigen sollten Unternehmen Regeln für den E-Mail-Verkehr formulieren (E-Mail-Policy), die regelmäßig zu verbreiten sind, damit auch neue Mitarbeiter auf dem Laufenden gehalten werden.
7. Antworten Sie niemals auf Spam.
Eigentlich eine Binsenweisheit, und doch ein immer wieder gemachter Fehler. Viele Spammer statten ihre Nachricht mit einer Opt-out-Funktion aus, indem die Mail im Betreff-Feld vorgeblich mit "unsubscribe" abbestellt werden kann. Für manche Spam-Programme, die für den automatischen Versand des elektronischen Mülls sorgen, bedeutet eine solche Antwort: Der Adressat ist da, er kann mehr Spam in Empfang nehmen.
8. Nutzen Sie Blindkopien, um Dritte zu informieren.
So bleibt der Verteilerkreis im Unklaren darüber,wer die Nachricht noch erhalten hat.
9. Formulieren Sie den Betreff aussagekräftig.
Nur so ragt die Botschaft aus der Fülle der Spam-Mitteilungen heraus, die heute die meisten Postfächer füllen.
10. Keep it simple.
Es gibt heute viele Möglichkeiten, E-Mails aufzuhübschen (Emoticons, Bilder etc.). Versender sollten vorsichtig damit umgehen, da nicht jedes Mail-Programm damit fertig wird und außerdem Ressourcen verschwendet werden. Zudem sind Emoticons mitunter mit Spyware infiziert. Deshalb: Nichts von unbekannten Quellen herunterladen!
11. Nutzen Sie die Features moderner E-Mail-Programme.
Rückruf: Eine E-Mail, die fehlerhaft oder ohne Anhang versandt wurde, wird zurückgerufen. Sparsam verwenden, lieber Botschaften noch einmal genau checken, bevor sie verschickt werden. Oft werden E-Mails schnell geöffnet und lassen sich nicht mehr zurückrufen. <br/><br/> Automatische Antwort: Die Out-of-Office-Funktion ist wirklich nützlich und sollte angewendet werden! Allerdings sollte man sie schnell deaktivieren, wenn man wieder im Büro ist.<br/><br/> Wiederversenden: Manchmal erreichen E-Mails nie den Adressaten, etwa weil der Mail-Server ausfällt. Mit der Resend-Funktion lassen sie sich umstandslos ein zweites Mal verschicken. Vor dem Versand in die Betreffzeile eine Bemerkung wie "zweiter Versuch" einfügen.<br/><br/>Übermittlungsbestätigung: Nice to have, aber nicht zwingend nötig. Funktioniert auch nicht mit jedem E-Mail-System. <br/><br/>Lesebestätigung: Ebenfalls nice to have.
12. Nutzen Sie E-Mails um Gespräche und Diskussionen anschließend zu bestätigen.
Elektronische Post bietet die Chance, sehr schnell Gesprächsergebnisse aus Konferenzen oder Telefonaten zu protokollieren. So lassen sich für alle Beteiligten die Ergebnisse sichern, bezüglich geplanter Maßnahmen sind alle auf demselben Stand. Was schriftlich fixiert wurde, wird von den Beteiligten ernster genommen.
13. Verlassen Sie sich bei dringenden Informationen nicht auf E-Mail.
Dazu lieber das Telefon benutzen. Es gibt keine Garantie, dass eine E-Mail gelesen wird. Oft wird die Nachricht übersehen, die Lektüre wird vertagt oder die Botschaft wird als vermeintlicher Spam gelöscht.
14. Nutzen Sie E-Mails nicht für unangebrachte Kommunikation.
E-Mail für die Verbreitung von Spam zu missbrauchen, ist nicht nur ein Ärgernis, sondern möglicherweise auch noch illegal. Und: In den meisten Fällen kann der Absender schnell ermittelt werden.

Tatsächlich finden sich dramatische Hinweise, dass etwas schief läuft in den Arbeitsvorgängen, die heute ohne elektronischen Geschäftsverkehr nicht mehr vorstellbar sind. So ergab im letzten Jahr eine Umfrage der US-amerikanischen Beratungsfirma Basex unter "Wissensarbeitern", dass ein typischer IT-Angestellter 28 Prozent seiner Arbeitszeit unproduktiv verbringt, weil ständig unwichtige Nachrichten per Telefon, E-Mail oder Instant Messages eingehen. Elf Minuten kann durchschnittlich ein "Knowledge Worker" arbeiten, bis er von irgendetwas oder irgendjemanden unterbrochen wird, fand bereits 2005 eine Untersuchung der University of California heraus.

220 Milliarden E-Mails am Tag

Die jährlichen Kosten durch Arbeitsunterbrechungen beziffert Basex allein in den USA auf 900 Milliarden Dollar im Jahr (711 Milliarden Euro). Eindeutige Zahlen steuerte kürzlich auch die Radicati Group bei, die von einem weltweiten Aufkommen von 220 Milliarden E-Mails am Tag ausgeht. Gartner prognostiziert, dass sich diese Summe um jährlich 40 Prozent erhöhen wird.

Zwar beziehen solche Zahlen den privaten E-Mail-Verkehr mit ein, doch scheint klar, dass auch im professionellen Umfeld die elektronische Post im Arbeitsalltag immer mehr (produktive) Zeit und Speicherressourcen frisst. So ergab kürzlich eine von Adobe Systems in Auftrag gegebene Umfrage unter 3000 europäischen "Knowledge Workern" dass 92 Prozent aller Befragten E-Mails nutzen, um Informationen auszutauschen und abzustimmen - aber nur 60 Prozent der Büroangestellten mit E-Mail-Kommunikation als Methode der Zusammenarbeit zufrieden sind.

Risiken und Kosten nehmen zu

Der laxe und unsachgemäße Umgang mit oft geschäftlich relevanten E-Mails hat weit reichende und derzeit viel diskutierte Folgen für Unternehmen: Sie verlangsamen Geschäftsprozesse, werfen komplexe rechtliche Fragen auf (aufbewahrungswürdige und aufbewahrungspflichtige Dokumente) und treiben die Infrastruktur- und Supportkosten in die Höhe (Eine Studie von BearingPoint wirft hierzu einen Blick in deutsche Unternehmen).

Hilfe versprechen heute Softwareprodukte für E-Mail-Management, die meist Collaboration-Lösungen wie Lotus Notes, Microsoft Outlook oder auch den Microsoft Sharepoint Server erweitern und Anwender zu einer systematischen (manuellen oder automatisierten) Ablage wichtiger Korrespondenz zwingen - immer vorausgesetzt, es gibt klare Unternehmensrichtlinien(siehe auch, welche häufigen Stolpersteine es bei der E-Mail-Archivierung gibt). Ebenso finden sich spezielle E-Mail-Response-Management-Systeme, die beispielsweise in Call-Centern eine strukturierte, automatisierte und nachvollziehbare Bearbeitung großer Mengen eingehender E-Mails ermöglichen sollen (Hilfe bei der Produtkauswahl finden Sie hier).

Trotz dieser Hilfsmittel, die zusammen mit hoffentlich leistungsfähigen Spam-Filtern und Firewalls die E-Mail-Flut eindämmen beziehungsweise kanalisieren sollen, bleibt der persönliche Umgang mit E-Mails am Arbeitsplatz ein Zeit- und Mengenproblem - mit dem die Geschäftsleitungen ihre Mitarbeiter meist allein lassen.

Unstillbare Neugier

Viele Nutzer sind mittlerweile so konditioniert, dass sie es nicht aushalten, neu eintreffende E-Mails nicht zu öffnen. So zeigte im letzten Jahr eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom zum Einsatz von Handys und E-Mail, dass ein Viertel der beruflichen Nutzer permanent nebenbei in seinen Posteingang schaut (Zur Plage kann auch der Blackberry werden). Ein weiteres Drittel liest immerhin mehrmals täglich seine E-Mails. Dabei sind laut der Umfrage eigentlich nur 40 Prozent der elektronischen Nachrichten wirklich wichtig.

Um die eigene Produktivität bei der E-Mail-Nutzung zu steigern, müssen Nutzer ihr Verhalten ändern. Das fängt schon vor dem Schreiben und dem Versand an: Anwender sollten überlegen, ob eine E-Mail überhaupt das richtige Instrument für ihr Anliegen ist und welchen Verteiler sie wählen. So sei elektronische Post für einfache Anweisungen, Rückfragen oder Absprachen ein probates Kommunikationsmittel, rät die Stiftung Produktive Schweiz. Ansonsten könne der Griff zum Telefon oder ein kurzes Meeting der bessere Weg sein, um Missverständnisse und unproduktive Pingpong-Effekte durch zu viele Rückfragen per Mail zu vermeiden.

Posteingang täglich ausmisten

Oft legen Anwender beim Verfassen von E-Mails auch zu wenig Wert auf eine aussagekräftige Betreffzeile. Sie sollte laut Praktikern neben dem Anliegen auch signalisieren, ob vom Empfänger eine Antwort oder Reaktion erwünscht ist. Ferner sollte der Absender sein Schreiben klar strukturieren, indem er die wichtigsten Informationen voranstellt, den Text durch Aufzählungszeichen gliedert und nicht zu viele Themen in einer Mail vermengt.

Der Schulungsanbieter Digicomp rät zudem, Vorlagen oder Textbausteine für immer wiederkehrende Formulierungen zu nutzen, um so elektronische Briefe schneller verfassen zu können. Auch sei es ein Zeichen von "Netikette", ein Textformat anstelle von schwerer zu nutzenden HTML-formatierten Mails zu verwenden sowie Dateianhänge über 0,5 MB nur auf Wunsch zu verschicken.

Sehen Sie im Lesen von E-Mails keinen bloßen Zeitvertreib.
Foto: Optimal Systems

Viele Fehler werden ebenfalls beim Umgang mit eingehenden E-Mails gemacht. So rät die Stiftung Produktive Schweiz Anwendern davon ab, E-Mails als Pausenfüller zu sehen oder sie während Konferenzen zu betrachten. Besser sei es aus Gründen der Produktivität, sich täglich einen bestimmten Zeitpunkt für ihre Bearbeitung zu reservieren. Fabian Fischer, Mitglied der Geschäftsführung der Unternehmensberatung Beck et al., empfiehlt zudem den regen Gebrauch von Inbox-Filtern im E-Mail-Client.

Ziel müsse es sein, den Posteingang möglichst frei zu bekommen und stattdessen eingehende Post über vordefinierte Regeln in logisch strukturierte Unterordner zu verfrachten. Auch sei es eine große Hilfe, die automatische Benachrichtigungsfunktion der E-Mail-Software auszuschalten. Und schließlich rät Fischer, auf andere Kommunikationskanäle wie etwa Teamspaces auszuweichen.

Werden E-Mails bearbeitet, sollten Anwender sich an Regelmäßigkeit gewöhnen und nach Möglichkeit jede E-Mail nur einmal anfassen. Dabei ist die Frage zu stellen: Muss ich etwas erledigen? Guido Schmitz, Vorstand der Pentadoc AG, sieht hier drei Möglichkeiten: "Was weniger als zwei Minuten Zeit braucht, wird sofort erledigt. Was delegiert werden kann, wird sofort delegiert, und was länger dauert, wird geplant." Unwichtige E-Mails, die aber im Posteingang immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sollte man sofort löschen.

Es gibt keine Patentrezepte

Schwierig sind hingegen Schreiben, deren Nutzen und Bedeutung nicht klar ist oder für die man momentan keine Zeit hat: "Solche E-Mails lege ich in den Ordner Vielleicht/Irgendwann, den ich einmal in der Woche prüfe", beschreibt Schmitz seine ganz persönliche Lösung. Hilfreich kann es auch sein, diese Mails in den Kalender zu kopieren und sich dort Zeit für die Bearbeitung zu reservieren oder sie in eine Aufgabenliste zu stellen. "Am Abend muss aber der Posteingangskorb leer sein", hat sich Schmitz vorgenommen.

Wer die Produktivität in Sachen E-Mail steigern will, sollte sich alle guten Ratschlägen zum Trotz nichts vormachen: Es gibt keine Patentrezepte. Mit Sicherheit sind aber E-Mails nur einer von mehreren Faktoren, die den Arbeitsrhythmus unterbrechen und Stress verursachen. Wer seine Produktivität steigern will, sollte ehrlich mit sich selbst sein und auch die anderen Störer identifizieren und - wenn möglich- besser kontrollieren. Zeiten der Ungestörtheit während des Arbeitsalltags sind wichtig- sei es, um Aufgaben gewissenhaft zu erledigen oder aber den eigenen Akku nach Stressphasen wieder aufzuladen.

E-Mail richtig nutzen

Neben Unternehmensrichtliinien und rechtlichen Vorgaben gibt es einige Verhaltensregeln, die die persönliche Arbeit mit der elektronischer Post erleichtern und organisieren helfen:

Tipps gegen Stress am Arbeitsplatz

Auch wenn man glaubt, dass keine Zeit hat und sich schon irgendwie durchwursteln kann, sollte man aus eigenem Interesse die Empfehlungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Ernst nehmen: