Zwischen Innovation und Sparzwang

Das Doppelleben der CIOs

25.11.2010 von Robert Gammel
Wieviel Controlling verträgt eine IT-Organisation? Und wie lässt sich verhindern, dass das innovative Potenzial zu stark eingeengt wird? Der IT Operations Day in St. Gallen lotete dieses Spannungsfeld aus.
Foto: Joachim Wendler
Foto: Joachim Wendler

Mittels KPIs suchen Manager aller Branchen, ihre Organisation zu steuern, bei kritischen Ergebnissen gegenzulenken und aus Erfolgsgeschichten Best Practices für andere Unternehmensbereiche abzuleiten. Eine Kennzahl, mit der fast jeder CIO konfrontiert wird, sind die IT-Kosten in Relation zum Umsatz. Zum einen kursieren hier branchentypische Zahlen, zum anderen ist so der Sparbeitrag der IT in schwierigen Zeiten mehr oder weniger festzementiert, das heißt, der Vorstand spart sich weitere Diskussionen.

Doch diese Zahl ist bei CIOs eher unbeliebt. Sie ziehen lieber Werte heran, mit denen sich die Wirksamkeit ihrer Bemühungen genauer darstellen lassen. Urs Bleisch, CIO des weltweit zweitgrößten Beton und Zement-Herstellers Holcim (mehr als 20 Milliarden Schweizer Franken Umsatz), nennt hier beispielsweise die Kosten pro IT-User heran. "Wenn ich nachweise, dass die IT-Kosten um 30 Prozent gesenkt werden konnten, sagt das noch nicht viel über die gestiegene Effektivität aus", so Bleisch. Angenommen, im Berechnungszeitraum habe die Zahl der User deutlich zugenommen. Da sei es doch deutlich aussagekräftiger, wenn man es so formuliert, dass die Kosten pro Anwender um 70 Prozent gesenkt werden konnten.

Mittels umfangreicher Datenerhebung und Controlling-Bemühungen lassen sich die Stärken und Schwächen einer IT-Organisation detailliert ausleuchten. Eine besondere Bedeutung kommt diesen Zahlen vor allem dann zu, wenn sie als Grundlage zur Verrechnung der IT-Dienste an die internen Kunden dienen.

Der IT Operation Day

  • Zum dritten Mal trafen sich IT-Verantwortliche aus dem deutschsprachigen Raum kürzlich zum IT Operation Day.

  • Der Kongress wird abwechselnd von der Universität St. Gallen und der Technischen Universität Berlin ausgerichtet.

  • Die Veranstlaltung steht immer unter einem bestimmten Thema. Diesmal hieß es "IT-Controlling".

  • Im Mai 2011 ist wider die TU Berlin an der Reihe. Termin und Thema werden rechtzeitig in der COMPUTERWOCHE veröffentlicht, die als Medienpartner fungiert.

Ein Fünftel der Kosten lässt sich direkt zuordnen

Dass das Controlling hier nur teilweise weiterhilft, zeigte Frank Naumann, IT-Leiter der HUK-Coburg. Demnach lassen sich nur rund 20 Prozent der IT-Kosten direkt den Verursachern in den Fachabteilungen zuordnen. Die verbleibende Mehrheit von 80 Prozent der IT-Gemeinkosten müssen demnach mittels Verteilungsschlüsseln auf die internen Kunden umgelegt werden. Nauman legt dabei vier Kostenkategorien zu Grunde: Kauf-, Miet- oder Leasingkosten für Hard- und Software, Personalkosten, Ausgaben für externe Dienstleister und Berater sowie Nebenkosten wie Strom oder Raumkosten.

Auch wenn es hier immer wieder zu Diskussionen mit einzelnen Abteilungen komme, habe das Modell einen unschätzbaren Vorteil, sagte der IT-Leiter. Neben der so entstehenden Kostentransparenz könne nebenbei auch das Portfolio bereinigt werden, da niemand die Kostenverantwortung für ungenutzte Systeme übernehmen wolle. Als wesentlichen Erfolgsfaktor sieht er die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Nur wenn das für die Ermittlung des Verteilungsschlüssels genutzte Modell stabil bleibe, seien die Ergebnisse über einen längeren Zeitraum nachvollzieh- und vergleichbar.

Christian Bühler, Verantwortlicher für Finanzen und Controlling der European IT Shared Services bei der Zurich, machte deutlich, dass es ohne Outsourcing bei intern periodisch festgelegten Verteilungsschlüsseln bis zur nächsten Revision derselben zu Ungerechtigkeiten in der Kostenverteilung kommen kann. Die Auslagerung erspare Diskussionen über Verteilschlüssel, da die entsprechenden Partner schlichtweg nach ihren, aus neutraler Warte erarbeiteten Kenngrößen abrechneten. Outsourcing reduziere die finanziellen Risiken, weil weniger oder keine Transferleistungen anfielen, so Bühler.

Bürokratische Tiger kann sich niemand leisten

Walter Brenner, Professor für Wirtschaftsinformatik in St. Gallen
Foto: Joachim Wendler

Ein viel diskutierter Aspekt waren die Grenzen des Controllings, beziehungsweise die Frage, wieviel Zeit und Personalaufwand die Transparenz kosten darf. Gastgeber Walter Brenner vom Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen, brachte die zentrale Frage auf den Punkt: "Die Wenigsten wollen es sich leisten, einen bürokratischen Tiger aufzubauen. Ist es also für mein Unternehmen schlauer, eine Controlling-Division jeden Stein umdrehen zu lassen oder fahre ich besser, wenn ich die nicht zuordenbaren Kosten über einen Schlüssel auf die internen Kunden umlege?" Die Antwort dürfte nicht zuletzt von der Unternehmenskultur abhängen, so Brenners Fazit.

Der Vortrag von Steven Pilnik, Head of IT Management Services bei Clariant, zeigte, dass sich eine große IT-Organisation bei einer pragmatischen Herangehensweise auch mit relativ wenig Controlling-Ressourcen effektiv steuern lässt. Pilnik hat alle für ihn relevanten KPIs (Key Performance Indicators) in einem Dashboard zusammengeführt. Die dort dargestellten Zahlen generieren sich weitgehend automatisiert. Dies umfasst auch die für Pilnik wichtigsten Kenngrößen, die TCO-Werte (Total Cost of Ownership) für Hardware und Applikationen. Das gesamte Controlling hat der Clariant-Manager in die Hände von nur zwei Mitarbeitern gelegt. Sie können sich ausschließlich um das strategisch bedeutsame Zahlenwerk kümmern, ohne mit einfacheren Aufgaben wie Rechnungsprüfung belastet zu sein.

Der Aufbau dieses Cockpits hat allerdings umfangreiche Vorarbeiten erfordert. Allein die Definition der zugrundeliegenden Prozesse nahm sechs Monate in Anspruch, und die technische Umsetzung schlug mit drei weiteren Monaten zu Buche. Als nächste Evolutionsstufe hat Pilnik ein Verschieben der Perspektive in Angriff genommen: "Während das Controlling bislang auf die IT fokussiert war, sollen in Zukunft die internen Kunden im Fokus stehen."

Finanzielle Spielräume und eine unterstützende Kultur

Einig waren sich die versammelten IT-Manager weitgehend, dass das IT-Controlling sinnvollerweise nicht in der IT-Organisation selbst, sondern besser im Finanzbereich aufgehängt sein sollte. Die Sorge, damit Innovationsspielräume einzuschränken, sahen die Referenten nicht. Eine standardisierte, nach optimierten Prozessen ausgerichtete und damit wirklich effiziente IT erlaube es, freigewordene Mittel in neue Projekte zu stecken.

Urs Bleisch, CIO beim Zementhersteller Holcim
Foto: Joachim Wendler

Holcim-CIO Bleisch mahnte neben den notwendigen finanziellen Spielräumen auch eine unterstützende Unternehmenskultur an. Der Baustoffkonzern erprobt beispielsweise derzeit die Nutzung von Google-Apps und testet, ob Konzepte wie "Bring your own PC" unternehmenstauglich sind. Für alle daran Beteiligten sei es wichtig, förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Zu diesen Rahmenbedingungen zählt Bleisch eine gewisse Autonomie und die damit verbundenen Kapazitäten sowie eine Kultur, die innovative Leistungen auch belohne. Am wichtigsten sei es aber, den Mitarbeitern im Projekt eine psychologische Sicherheit zu geben: "Piloten dürfen auch mal schief gehen. Die Verantwortlichen müssen wissen, dass sie in einem solchen Fall nicht aus der Familie ausgeschlossen werden."