"Das Business soll entscheiden, wieviel IT es braucht"

22.06.2005
Der Graben zwischen IT und Business ist immer noch tief. Darüber, wie es sich überwinden lässt, sprach CW-Autor Bernd Seidel mit dem Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule St. Gallen Hubert Österle.

CW: Warum ist die Kommunikation zwischen CIO, Geschäftsleitung und den Fachbereichen immer noch so schwierig?Österle: Die Business-Verantwortlichen fühlen sich von den großen Versprechungen der IT - speziell vom Ende der 90er Jahre und zu Beginn dieses Jahrzehnts - irregeführt. Sie haben, salopp gesagt, die Schnauze voll und glauben der IT nicht mehr. Damals wurden große Investitionen getätigt, ohne auf die Kosten zu achten. Die Folge war, dass die IT bis in das Jahr 2001 viel zu fett geworden ist. Viele Unternehmen haben bewiesen, dass sich die Budgets problemlos um 20 bis 30 Prozent zurückfahren lassen.

CW: Welche Konsequenzen hat das? Österle: Die Folge der Frustration ist die, dass nur noch über IT-Kosten gesprochen wird. Nach Meinung der Business-Manager ist IT teuer und kompliziert und beschwört unerwünschte Veränderungen herauf. Es wird viel zu wenig auf die Geschäftspotenziale geschaut.

CW: Was schlagen Sie vor, um diesen Graben zu überwinden? Österle: Unternehmen sollten die IT-Kosten nach Implementierung, also nach Innovationskosten, und nach Betriebskosten differenzieren. Letztere sind dann ein Teil des operativen Geschäfts und gehören zu den Aufwendungen, die nötig sind, um ein Produkt zu fertigen oder eine Dienstleistung zu erbringen. Gilt die IT insgesamt nur noch als Kostenblock, gibt es wirklich keine Kommunikation mehr.

CW: Was kann der CIO tun? Österle: Erstens muss die IT über ihren Nutzen reden, vor allem über die Benefits, die sie den Geschäftsprozessen bringt. Darüber hinaus sollte sie viel stärker ihre Innovationskraft und ihre Visionen darstellen, denn die IT ist mit Abstand die Industrie, aus der die meisten Neuerungen hervorgehen, und das hat einen Einfluss auf das Geschäft. Zu einer solchen Präsentation eignen sich Workshops, auf denen IT und Geschäftsleitung gemeinsam über die Business-Themen reden. Darüber hinaus kann die IT helfen, das Business zu vereinfachen oder dessen Komplexität zu beherrschen. Ideal wäre es, wenn das Business künftig in der Lage wäre, selbst zu entscheiden, wie viel IT es braucht.

CW: Das bedeutet einen Machtverlust für die IT. Wollen das die IT-Leiter? Österle: Ja. Der CIO definiert seine Macht heute nicht mehr über die Unmündigkeit der An- wender. Er ist vielmehr sehr froh, wenn das Business die Potenziale der IT kennt. Dann muss er sie nicht wie schales Bier hinterhertragen.

CW: Als Heilsbringer für die nötige Agilität von Unternehmen preisen die Hersteller derzeit die Service-orientierte Architektur (SOA) an. Was ist, wenn sie nicht funktioniert? Österle: Wenn daraus ein Hype entsteht und die Erwartungen in die Höhe schnellen, sind Enttäuschungen programmiert.

CW: SOA ist aber bereits ein Hype ... Österle: ... Serviceorientierung sollte als Industrialisierung der Softwareproduktion verstanden werden - nicht mehr und nicht weniger. Das heißt: Software entsteht künftig auf Basis von Baugruppen, die auf technologischen Plattformen zusammenmontiert werden, wie es uns die Automobilfertigung vormacht. In den nächsten fünf Jahren wird sich auf Basis von SOA die Wiederverwendung von Software deutlich verbessern. Wenn wir das erreichen und die Kosten für die Softwareentwicklung dadurch um 20 Prozent sinken, dann lohnt sich der Wirbel. Viel entscheidender ist jedoch, dass sich durch die rasche Anpassbarkeit der Software auch die Geschäftsprozesse rascher ändern können. Hier steckt ein viel größeres Geschäftspotenzial. Denn die Veränderungskosten der Organisation und der Prozesse machen heute 70 bis 80 Prozent der Gesamtkosten von Veränderungen am Geschäftsmodell aus.