Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im Detail

Das "Anti-Hass"-Gesetz im Internet

04.11.2017 von Michael Rath, Christian  Kuss und Daniel Lehmann  
Am 1. Oktober 2017 trat das NetzDG in Kraft. Was ist im Umgang mit rechtswidrigen Nutzerbeiträgen auf großen Social Media Plattformen nun zu beachten?
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zum Umgang mit Social-Media-Plattformen birgt viel Konfliktstoff.
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"Zensur", "privatwirtschaftliche Parallelrechtsprechung", "Blaupause für Diktaturen in aller Welt". Der Aufschrei während des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG) war laut, blieb aber ungehört.

Bußgeld-Katalog

Neuen Konfliktstoff birgt ein Entwurf behördlicher Leitlinien zur Bußgelddurchsetzung, der laut einem Bericht des Handelsblattes derzeit im Bundesjustizministerium kursiert. Die Leitlinien sollen die Handhabung der Bußgelder für NetzDG-Verstöße präzisieren. Die Bußgelder können bis zu 50 Millionen Euro betragen. Vorgesehen ist neben einer Staffelung der Bußgeldhöhe abhängig von der Größe des verstoßenden Unternehmens auch die Voraussetzung eines "systemischen Versagens", so dass Verstöße bezüglich einzelner Nutzerbeiträge weniger schwer zu Buche schlagen werden.

Nur große soziale Netzwerke betroffen

Doch wem drohen die Bußgelder überhaupt, welche Plattformen sind vom Gesetz erfasst und welche Pflichten ergeben sich für sie daraus? Der Begriff des "sozialen Netzwerks" wird durch das NetzDG erstmals in Deutschland gesetzlich definiert. Danach gelten als soziale Netzwerke alle "Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen". So weit, so unklar. Diese Definition muss man vor dem Hintergrund lesen, dass der Gesetzgeber ausdrücklich die Absicht bekundete, lediglich rund zehn Unternehmen mit dem Gesetz erfassen zu wollen. Es handelt sich also um einen recht unsubtilen Schlag in Richtung Silicon Valley. Auf die Definition folgen im Gesetz dann weitere Einschränkungen, allen voran der wichtige Umstand, dass die Hauptpflicht aus dem NetzDG, das Löschen rechtswidriger Nutzerbeiträge, nur solche sozialen Netzwerke betrifft, die in Deutschland mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer haben.

Angesichts der schwammigen Definitionen ist selbst allen großen Plattformen nicht klar, ob sie betroffen sind. Zweifellos wird man dies nur für Facebook bejahen können. Nicht umsonst kolportierte man beizeiten "Facebook-Gesetz" als inoffiziellen Namen des NetzDG. Twitter, als besonders schnelles Verbreitungsmedium, wird nur dann erfasst, wenn die erwähnte Schwelle der registrierten Nutzer überschritten wird. Nur gibt es dazu in Deutschland keine öffentlich verfügbaren, verlässlichen Zahlen.

Nicht erfasst vom Anwendungsbereich des NetzDG sind dagegen "berufliche Netzwerke" und "Fachportale" (Xing, LinkedIn), "Onlinespiele" (etwa World of Warcraft) oder "Verkaufsplattformen" (wie eBay, Amazon). Gleiches gilt für Dienste zur "Individualkommunikation" wie Whatsapp oder Threema. Online-Zeitungen sind aufgrund einer für journalistische Inhalte geltenden Ausnahme vom NetzDG nicht erfasst. Nicht abschließend geklärt ist jedoch, ob dies auch für Kommentarbereiche von Online-Zeitungen sowie deren Facebook-Auftritte golt.

Die 24-Stunden-Frist

Wer dem Anwendungsbereich des NetzDG unterliegt, den trifft ein umfassendes neues Pflichtenprogramm: Berichtspflichten, Einführung eines Beschwerde-Management-Systems, Bereitstellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten (als Empfänger von Klagen) sowie eines inländischen Ansprechpartners für die deutschen Strafverfolgungsbehörden.

Zentraler Regelungs- und auch Kritikpunkt des NetzDG ist die auf dem genannten Beschwerde-Management-System fußende Pflicht der Plattformen, offensichtlich rechtswidrigen Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde aus dem sozialen Netzwerk zu entfernen. Lediglich rechtswidrige - also nicht "offensichtlich" rechtswidrige - Inhalte sind demgegenüber nach dem Gesetz "unverzüglich, in der Regel innerhalb von sieben Tagen" nach Beschwerdeeingang zu entfernen. Längere Fristen können gelten, wenn unter anderem die Plattform den Inhalt von einer entsprechenden Selbstregulierungsstelle prüfen lässt. Diese sind Institutionen wie etwa der Freiwilligen Selbstkontrolle Filmwirtschaft (FSK) nachempfunden. Das NetzDG schafft dabei aber eigene, neue Straftatbestände - etwa einen "Hatespeech"-Paragraphen. Grundlage für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit sind die im Gesetz gelisteten, bereits existierenden Strafgesetze, etwa die der Beleidigung oder die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole.

Overblocking - Zu viel Kontrolle im Netz?

Die Kritik am NetzDG dreht sich im Kern um die Tatsache, dass sozialen Netzwerken durch das Gesetz faktisch quasi-staatliche Aufgaben übertragen werden, indem sie nämlich die Rechtmäßigkeit von Nutzerbeiträgen prüfen müssen, was oft eben auch eine Prüfung des Rechts auf freie Meinungsäußerung ist. Das ist auch der Aufhänger des in diesem Zusammenhang stets anzutreffenden Stichworts des "Overblockings". Damit ist die Vermutung gemeint, dass Plattformen aus Angst vor Bußgeld und Reputationsschäden im Zweifel lieber zu viele Inhalte löschen. Selbst wenn sie von deren Rechtswidrigkeit nicht überzeugt sind oder sie gar nicht eingehend geprüft haben. Plattformen, die zwar soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG sind, aber weniger als zwei Millionen inländisch registrierte Nutzer haben, obliegt nur die oben erwähnte Pflicht der Nennung eines Zustellungsbevollmächtigten zwecks Behördenkontakt.

Droht eine neue Abmahnwelle?

Grundsätzlich kann jeder eine Beschwerde einlegen. Das NetzDG verlangt also nicht, dass der Beschwerdeführer auch der vom rechtswidrigen Inhalt Betroffene ist. Deshalb wird befürchtet, dass dieser Umstand zu einer ganz neuen Strategie manipulierter Beschwerdewellen führen kann - schlimmstenfalls im politischen Diskurs zur Stummschaltung bestimmter Meinungsströmungen.

Was ändert sich für die Social Media Nutzer?

Zudem wird § 14 des Telemediengesetzes (TMG) dahingehend geändert, dass von den Hasskommentaren Betroffene nun zur Durchsetzung zivilrechtlicher Klagen, die auf rechtswidrigen Inhalten auf der Plattform gründen (etwa Schadensersatz wegen Beleidigung), vom Diensteanbieter Auskunft über die Bestandsdaten des Verfassers verlangen können. Da das Gesetz eine solche Auskunft nur "im Einzelfall" gestattet, sind systematische Auskunftsersuchen von Rechteinhabern oder deren Abmahnkanzleien von ausgeschlossen.

Dieses Auskunftsrecht steht übrigens selbständig neben den Betroffenenrechten nach §§ 34, 35 BDSG (künftig: Art. 13 ff. DSGVO). Während die Auskunft nach § 14 TMG darauf gerichtet ist, Informationen über eine andere Person (den Hasskommentator) zu erlangen, sind die Betroffenenrechte nach dem BDSG beziehungsweise der DSGVO darauf gerichtet, Auskunft darüber zu erlangen, welche Daten über den Auskunftsersuchenden selbst erhoben wurden.

Das neue Auskunftsrecht stärkt die Rechte der von Hasskommentaren Betroffenen zwar, allerdings geht damit auch ein Stück weit der Schutz der Anonymität von Meinungsäußerungen im Internet verloren. Anonymität, die neben Hasskommentatoren aber auch von Whistle-Blowern oder anderen aufklärenden Kritikern genutzt wird. Diese zur De-Anonymisierung führende Auskunft nach § 14 TMG setzt deshalb eine gerichtliche Anordnung voraus, was nach Hoffnung des Gesetzgebers den "chilling effect" reduzieren soll, also das Absehen von Meinungsäußerungen im Internet aus Angst vor möglicher eigener Identifizierung. Die Kosten für die gerichtliche Anordnung trägt der klagende und vom Hasskommentar Betroffene. Er kann sich die Kosten aber im Rahmen seines Schadensersatzanspruches vom Hasskommentator wiederholen, falls er obsiegt.

Umgekehrt sind auch Schadensersatzansprüche eines Nutzers wegen unrechtmäßiger Löschung seines Beitrags denkbar. Praktisch werden die meisten Betroffenen aber wohl angesichts der Prozesskosten und des nicht vorhersehbaren Verfahrensausgangs von solchen Klagen absehen. Mancherorts wird bereits darüber spekuliert, ob das NetzDG künftig um einen ausdrücklichen, gesetzlichen Wiederherstellungsanspruch ergänzt wird. Bereits jetzt sieht das NetzDG die Plattformen in der Pflicht, den Beschwerdeführer sowie den Nutzer, um dessen Beitrag es geht, über jede Entscheidung hinsichtlich einer Löschung unverzüglich zu informieren.

Übergangszeitraum

Bis Januar sehen Bußgeldrichtlinien noch eine bußgeldfreie Übergangszeit vor, um den betroffenen Unternehmen die Möglichkeit zum Aufbau eines den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Beschwerde-Management zu geben. Die Option der gerichtlich angeordneten Identifizierung eines Hasskommentar-Urhebers besteht für Betroffene aber schon jetzt.