CW-Round Table: 30 Jahre Informatik an der TU Darmstadt

29.05.2002 von Alexandra Mesmer
1972 gründete die Technische Universität Darmstadt den ersten Fachbereich Informatik in Deutschland. Die Aufbruchstimmung der jungen Wissenschaft ist heute noch spürbar, auch wenn das Fach mit Problemen wie ständig wechselnden Trends und hohen Studentenzahlen zu kämpfen hat.

CW: Herr Austermühl, Sie waren einer der ersten Informatikstudenten an der TU Darmstadt. Warum haben Sie sich 1972 für das neue Fach entschieden?

AUSTERMÜHL: Damals standen wir vor etwas völlig Neuem. Bei der Aussicht, Prozesse nicht mehr von Hand treiben zu müssen, sondern über Maschinen zu steuern, wollten wir vorn mit dabei sein.

"Wir werden langsam erwachsen": Informatik-Professoren, Studenten und ehemalige Absolventen ziehen nach 30 Jahren Informatik Zwischenbilanz (von links): Burkhard Austermühl, Sorin Huss, Max Mühlhäuser, Hartmut Wedekind, Matthias Bormann, Alejandro Buchmann und Andreas Fleischmann.

Quelle: Eva Speith

Eine Umwälzung des ganzen Lebens deutete sich an. Heute ist die Welt ohne Computer nicht mehr denkbar, vor 30 Jahren war sie es durchaus. Jedes Kind ist inzwischen mit der Anwendung dieser Technik vertraut, man braucht kein Studium mehr, um zu programmieren.

CW: Können sich Informatikabsolventen überhaupt noch vorstellen, als Programmierer zu arbeiten oder möchten sie möglichst schnell ins Management wechseln?

BUCHMANN: Wir sollten uns gegen die Ansicht wehren, dass Programmieren minderwertige Arbeit ist. In den USA ist die Entwicklung angesehen, da programmieren auch Senior-Leute.

FLEISCHMANN: Als Studenten lernen wir an der Uni ja, mit Technik umzugehen und zu programmieren. Dann kommen wir in eine Firma, dürfen ein Jahr programmieren, werden zum Projektleiter befördert und haben nichts mehr mit Technik zu tun. Statt dessen müssen wir Mitarbeiter führen, was viele ganz schrecklich finden. Einige meiner Freunde stecken in dieser Situation und sind ganz unglücklich darüber, dass sie nicht mehr programmieren dürfen. Sie müssen sich gegen die Beförderung wehren, da sie sonst nicht mehr das machen dürfen, was sie gelernt haben.

HUSS: Das war für mich der Grund, warum ich die Industrie verließ, um Professor an der Universität zu werden. Der Punkt ist, wie man sich beruflich definiert. Ich hatte eine größere Abteilung, bekam immer mehr Management-Aufgaben, musste Projekte abwickeln, bis ich mich fragte: Willst Du in den Vorstand kommen und Akten bewegen, die dich nicht interessieren, oder lieber an der Technik weiterarbeiten?

CW: Aus dem Beispiel von Herrn Fleischmann könnte man aber auch folgern, dass seine Studienkollegen in sozialer Hinsicht überfordert sind. Haben Diplominformatiker Defizite im sozialen Bereich?

AUSTERMÜHL: Nach unserer Erfahrung eigentlich ja. Soziale Kompetenzen waren über lange Zeit hinweg nicht Teil der Ausbildung. Danet veranstaltet darum zusammen mit der TU Darmstadt Praktika im Software-Engineering. Uns ist es wichtig, dass die Studenten zusammenarbeiten können. Ein Dienstleister braucht Mitarbeiter, die dem Kunden zuhören, seine Probleme erkennen und unter Zeit- und Kostendruck Lösungen finden. Das erfordert eine enge Kooperation im Projektteam. Andere Firmen, etwa in der Produktentwicklung, leben davon, dass sie Hacker haben. Die sitzen ganz allein im Zimmer und kommen drei bis vier mal im Jahr mit einer tollen Idee, die in die Produktentwicklung eingespeist wird.

MÜHLHÄUSER: Solange der Informatiker als Midnight-Hacker verstanden wird, der mit 20 Dosen Cola hinter dem Bildschirm verschwindet, zieht das vermehrt solche Leute an und stößt andere ab. Entsprechend sind die Absolventen. Aber das hat mit der Informatik an sich nichts zu tun. Wenn wir mehr Leute bekommen, die sich auch für andere Dinge interessieren, und wir etwas an der Ausbildung verändern, wird sich dieses Bild wandeln.

WEDEKIND: Aber gewisse Dinge wie das Sozialverhalten können die Studenten nicht lernen, es ist nicht lehrbar. Diese Fähigkeiten vermittelt das Elternhaus. Wenn da nichts ist, kann die Universität nicht viel ändern. Professoren möchten ein Vorbild sein, das mag gelingen, aber schöne Worte wie „Du musst Dich sozial verhalten“ reichen nicht.

CW: Wie wird Sozialkompetenz heute an der Universität vermittelt?

FLEISCHMANN:

Andreas Fleischmann

Quelle: Eva Speith

Bei uns werden Studenten für ein Jahr in ein Team geworfen und müssen unter Zeitdruck eine Aufgabe lösen. Sie werden nicht nur von fachlicher Seite betreut, sondern bekommen auch einen Betreuer für die Sozialkomeptenz, der nach jeder Sitzung ein Feedback gibt. Kommentare wie: „Ist Euch aufgefallen, dass in einem Team nur zwei Leute aktiv sind?“ sensibilisieren uns. Dieses Projekt geht in die richtige Richtung, denn ich möchte schon im Studium auf die Anforderungen des Berufslebens vorbereitet werden.

CW: Kann das Informatikstudium angesichts der schnellen Entwicklung in der IT überhaupt fachlich auf den Beruf vorbereiten?

BUCHMANN: Manchmal laufen wir den Trends hinterher. Heute müssen wir die Ausbildung den Bedürfnissen der Industrie anpassen. Wir müssen den Studenten eine Kombination aus Grund- und spezifischem Systemwissen vermitteln, so dass sie sich auf dieser Basis neue Themen erarbeiten können.

MÜHLHÄUSER: Wir müssen uns den Trends nicht öffnen, sondern gestalten sie zusammen mit den Forschungslabors der Industrie. Vor 25 Jahren konnte jemand, der eine Idee publizierte, sich noch damit durchsetzen. Heute ist nicht mehr die entscheidende Frage, ob eine Idee gut ist, sondern ob etwa Microsoft glaubt, dass man mit einem darauf basierenden Produkt Geld verdienen kann und dann 50 bis 100 Entwickler daransetzt, um den Markt zu überrollen. Das macht es für uns notwendig, den Markt sehr genau zu beobachten. Wir trauen es uns schon noch zu, den Hype vom Trend zu unterscheiden.

HUSS: Das Problem ist, den Studenten die Verknüpfung ganz unterschiedlicher Prinzipien beizubringen, zum Beispiel die sequentielle mit der parallelen Abarbeitung, die verteilte Kommunikation, die asynchron abläuft. Das kann man an verschiedenen Stellen im System sehen, betrachten Sie das Internet oder eingebettete Systeme. Die Prinzipien, wie man damit umgeht, verändern sich relativ langsam, die Hypes fast täglich. Wir können selbst nur schwer abschätzen, welcher Trend bleibt. Unsere Aufgabe ist es, den Studenten ein Wissen mitzugeben, das eine Halbwertszeit von mehr als fünf Jahren und nicht nur von drei Monaten hat. Wir wissen auch, dass wir ihnen nicht alles mitgeben können, um für das Berufsleben gerüstet zu sein.

AUSTERMÜHL: Natürlich glaubt die Industrie, dass sie bestimmt, was die Universität machen muss. Andererseits kann sich die Universität bei der Wissensvermittlung nicht nur auf den aktuellen Bedarf beschränken. Zum Teil beherrschen Absolventen die Grundlagen nicht, weil sie sich immer wieder auf den nächsten Hype konzentriert haben. Wir brauchen beides, die Vision der Universität und die solide Ausbildung, die den aktuellen Stand beschreibt.

WEDEKIND: Die Universität kann nur Berufsfähigkeit, aber nie Berufsfertigkeit hervorrufen. CW: Kann die Informatik den Anspruch einer guten Ausbildung heute noch aufrechterhalten, wenn sie von Studienanfängern regelrecht bestürmt wird?

BUCHMANN: Die explodierenden Studentenzahlen belasten vor allem die wissenschaftlichen Mitarbeiter. Für die Professoren macht es keinen Unterschied, ob sie die Vorlesung vor 100 oder 300 Studenten halten. 300 Studenten in der Übung oder im Praktikum zu betreuen, ist eine Last, die auf den Schultern der wissenschaftlichen Mitarbeiter liegt.

BORMANN: Die Vielzahl von Studenten haben wir bislang nur im Grundstudium. Kommen sie ins Hauptstudium, wird sich die Lage verschärfen. Die hohe Studentenzahl wird sich auf die Betreuung von Studien- oder Diplomarbeiten auswirken. Da die Informatik mittlerweile eine Grundlagenwissenschaft ist, von der viele andere Fachbereiche profitieren, müssen wir viele Studenten aus anderen Fachbereichen mitbetreuen. Zusätzliche finanzielle Mittel sollten nicht nur dafür aufgebraucht werden, um die Lehre aufrechtzuerhalten. Wir brauchen auch noch genügend Mittel für die Forschung.

BUCHMANN: Es hat eine Aufstockung der Mittel gegeben, aber leider nicht proportional zum Wachstum der Studentenzahlen. Wir haben die Unterstützung der Hochschulspitze, es werden neue Stellen für Professoren und Mitarbeiter in die Informatik geschoben. Außerdem gibt es ein Notprogramm Informatik. Diese Versuche sind aber angesichts der wachsenden Zahlen unzulänglich. Das kann man nur durch wachsendes Engagement versuchen wettzumachen. Ich glaube, die Betreuung ist trotz gewachsener Studentenzahlen gut, aber es kann nicht auf Dauer so sein. Man kann nicht davon ausgehen, dass wir ewig mit diesem Berg von Studenten fertig werden. Irgendwann müssen zusätzliche Mittel freigeschaufelt werden.

MÜHLHÄUSER: Den Berg im Hauptstudium erwarte ich erst einmal sehnsüchtig. In Darmstadt haben wir die höchste Dichte an IT-Forschungsstätten, etwa die großen Fraunhofer-Institute, deshalb reißen wir uns immer noch um die Studenten. Im Moment ist unser größtes Problem der große Ansturm im Grundstudium, der eher die wissenschaftlichen Mitarbeiter trifft.

CW: Ist die Kritik der Industrie berechtigt, dass ein Informatikstudium hierzulande zu lange dauert?

BUCHMANN: Zunächst einmal sollten immer gleiche Abschlüsse miteinander verglichen werden. Ein Master-Studium in den USA dauert mit zwölf Semestern genauso lang wie ein Diplomstudiengang bei uns. Zudem muss man sehen, dass viele Studenten während ihres Studiums arbeiten und die praktische Berufserfahrung sammeln, die die Industrie ja auch einfordert. Austermühl: Die Meinung, dass die Informatiker zu lange studieren, kann ich nicht verstehen. Bei den künftigen Mitarbeitern kommt es nicht darauf an, dass sie jung, sondern dass sie engagiert sind. Jemand, der engagiert ist, wird vielleicht auch parallel zum Studium arbeiten, weil er zusätzlich Praxiserfahrung gewinnen möchte. Sie müssen als Personalverantwortlicher herausfinden, warum das Studium so lange gedauert hat: war das vielfältige Engagement oder mehr oder weniger Bummelei. Es ist deshalb wichtig, sehr genau darauf zu achten, was sich hinter dem Lebenslauf verbirgt.

HUSS: Leistung ist Arbeit durch Zeit. Man sollte genau hinschauen, welche Leistung hat er in dieser Zeit gebracht, was hat er sonst noch gemacht. Daraus ergibt sich ein Gesamtbild.

BORMANN: Bei den Promotionen ist die Dauer und das Alter des Kandidaten immer ein entscheidendes Kriterium.

CW: Ist jemand, der in zweieinhalb Jahren promoviert der bessere Bewerber als einer, der sechs Jahre dafür braucht?

AUSTERMÜHL: Das hängt stark vom Thema ab. Ich kenne Promotionen, die waren eine Seite lang, zum Beispiel ein mathematischer Beweis. Die Zeit ist nur eine Bestimmungsgröße, aber längst nicht die Einzige.

MÜHLHÄUSER:

Professor Max Mühlhäuser

Quelle: Eva Speith

Man begleitet den Promovierenden und sieht, wie dieser Zeitraum zustande kommt, etwa das methodische Arbeiten oder die Selbstkontrolle. Promovieren tut weh. Darum erfindet das Unterbewusstsein alles mögliche, um davon wegzukommen. Das ist ein schwieriger Kampf, aber danach geht man mit einem ganz anderen „Standing“ und Selbstverständnis in die Industrie oder wo auch immer der Berufsweg hingeht.

BUCHMANN: Bei der Dauer der Promotion muss man sehen, dass gerade die explodierenden Studentenzahlen vor allem die wissenschaftlichen Mitarbeiter belasten. Wir sollten sehr vorsichtig sein, die wissenschaftlichen Mitarbeiter dafür zahlen zu lassen, dass es diese Explosion an Studentenzahlen gibt und sie dann hinterher noch zu bestrafen, weil sie länger promoviert haben, nur weil sie sich für die Betreuung der Studenten eingesetzt haben.

HUSS: Ein weiterer Gesichtspunkt ist auch, wieviel und wo die Doktoranden im Verlauf ihrer Arbeit publiziert haben. Das ist eine fürchterliche Arbeit, bis man eine Veröffentlichung im internationalen Markt untergebracht hat. Das ist ein wesentliches Kriterium für die Bewertung.

CW: Die Abbrecherquote bei den Informatikstudenten liegt bei über 50 Prozent. Sind die Studierenden zu dumm für das anspruchsvolle Fach oder müssten sich die Professoren mehr anstrengen/liegt es an der schlechten Lehre?

BUCHMANN:Es ist beides. Einerseits müssen wir uns mehr anstrengen. Andererseits versuchen sehr viele, das Modefach Informatik zu studieren und kommen mit falschen Vorstellungen. Wir haben hier in Darmstadt einen hohen Anteil von Mathematik im Grundstudium. Wenn jemand im Gymnasium im letzten Jahr Mathematik abgewählt hat und dann plötzlich Informatik studiert, funktioniert es nicht. Dann kann man nicht die Abbrecherquote an der Informatik festmachen, sondern muss woanders ansetzen.

WEDEKIND:

Gründungsprofessor Hartmut Wedekind

Quelle: Eva Speith

Man hat festgestellt, dass Studenten mit guten Abiturzensuren im allgemeinenen wesentlich seltener ihr Studium abbrechen als solche mit schlechten Noten. Die Abiturnote spielt eine signifikante Rolle, was die Überlebenssicherheit im Studium betrifft.

FLEISCHMANN: Im Grundstudium lernt man sehr viele Grundlagen der Programmierung, Mathematik, Elektrotechnik, was mit dem späteren Beruf wenig zu tun hat. Da muss man einfach durch. Viele Leute erwarten nicht, dass sie in den ersten vier Semestern Mathe pauken und sich mit Transistoren und dem ganzen Kram beschäftigen müssen. Aber nach dem Vordiplom kann man sich darauf konzentrieren, was man eigentlich möchte.

AUSTERMÜHL: Viele Studenten haben keine Vorstellung davon, was so ein Fach bedeutet oder auch was es heißt, ein Studium durchzuziehen. Heute studieren viele Informatik, weil es ein Fach ist, mit dem man viel Geld verdienen kann und es in Zukunft sicher gebraucht wird. Aber viele machen sich keine genaue Vorstellung, was sich dahinter verbirgt. Im Grundstudium wird hart gearbeitet. Es ist nicht notwendig, die Mathematik ausführlich in der Schule gehabt zu haben, den sie wird von Anfang an der Uni gelehrt - aber in einem rasanten Tempo. Wer da nicht mithalten kann, wird Schwierigkeiten haben.

MÜHLHÄUSER: Wir dürfen hier keinen einseitigen Zusammenhang sehen, sondern mehrere Einflussfaktoren. Es wäre die einfachste Möglichkeit, das Studium leichter zu machen und Klausuren anders zu korrigieren. Das kann es aber nicht sein. Ein Grund für das Scheitern sind die falsche Vorstellungen der Studierenden. Ich erinnere mich noch an meinen eigenen Frust im Informatikstudium, als die anderen schon Zugang zu den Dialogterminals hatten und ich kam noch mit meinen Lochkartenstapeln an. Ich kam mir wie der allerletzte Mensch vor. Wir müssen die Hürden noch mehr deutlich machen und uns darauf konzentrieren, anstatt weitere PC-Spiele in glorifizierter Form zu machen. Außerdem bilden wir im Diplomstudiengang Leute aus, die wissenschaftlich arbeiten können. Jemand mit dem Vordiplom ist ein nichts. Das zunehmende Angebot im Bachelor- und Masterbereich kann hier durchaus helfen, mit einem abgestuften Angebot die unterschiedlichen Ziele zu erreichen.

Und Drittens: Wir haben es bisher nicht geschafft, diese schwierigen Inhalte motivierend zu vermitteln und den Studierenden früh klar zu machen, warum sie sich mit den komplizierten Themen beschäftigen müssen. `Warum muss ich das machen?` Diese Frage ist zwar trivial, aber sehr demotivierend für viele, da sie die Hürde nochmals erhöht. Wir sollten deshalb deutlicher machen, wozu eine formale Fundierung, etwas mittels der Mathematik wichtig ist. Bildlich gesprochen heißt das: Man muss an den Granitblöcken arbeiten und nicht darum herum laufen.

CW: Trotz des großen Zulaufs hat sich in den letzten 30 Jahren eines nicht verändert: Die Frauen interessieren sich kaum für die Informatik. Warum?

Professor Alejandro Buchmann

Quelle: Eva Speith

BUCHMANN: Informatik ist ein Fach, wo bestimmt mehr Frauen erfolgreich sein können als bisher. Wir müssen ein 1:1-Verhältnis anzustreben. Im Moment haben wir acht Prozent Studentinnen.

AUSTERMÜHL: Es ist interessant, dass sich seit den Anfangszeiten, in meinem Jahrgang waren es fünf Prozent Frauen, kaum etwas geändert hat, obwohl die Informatik kein reines Männerfach ist.

HUSS: Die Informatik ist ein ideales Berufsfeld für Frauen. Ich bin immer wieder erstaunt - auch was meine Tochter angeht, dass sie sich so wenig dafür begeistert.

MÜHLHÄUSER: Die Tochter setzt sich deshalb nicht vor den Rechner, weil das Ding immer noch nach Schmieröl riecht, aus einer Männerwelt kommt. In Zukunft wird sich viel verändern. Die 30 Jahre alte Informatik wird erfordern, dass wir die rechte und linke Gehirnhälfte gleichermaßen benutzen, und Systeme von Menschen für Menschen bauen und nicht für Techniker. Das sage ich: Frauen an die Front.

WEDEKIND: Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass koeduziert geschulte Mädchen die Informatik meiden. Wie kommt das? Sie werden in Schulen von den Rechnern weggedrückt, es ist die männliche Gewalt, die die Frauen benachteiligt. Ich darfs mal locker sagen: Koeduzierte Mädchen haben null Bock auf Informatik. Peng, da haben wir den Salat.

MÜHLHÄUSER: Wenn jetzt endlich die Frauen zu uns kommen und Sie sie uns mit der Verneinung der Koedukation wieder wegsperren, bin ich einfach nicht glücklich.

WEDEKIND: Die Sprachbegabung der Frau ist der des Mannes hoch überlegen, in Sprachberufen wie Dolmetscher sind die Frauen dominant. Die Informatik aber ist geboren worden aus der angewandten Mathematik und der Elektrotechnik. Man hat die Formalisierung aus der Analysis und Algebra gebracht und dann noch die Logik daraufgesetzt. So ist eine Formalisierung in die Welt gekommen, die der Frau nicht liegt.

BUCHMANN: Das sind Stereotypen, die man(n) möglichst abbauen sollte. Ich habe unter meinen Studentinnen welche, die exzellent formalisieren.

CW: Haben Informatikerinnen schlechtere Karrierechancen?

AUSTERMÜHL: Wir haben zwar einen höheren Frauenanteil in unserer Firma als sonst in der Informatik, aber kaum Frauen in Führungspositionen. Die Karriere bricht einfach dort ab, wenn Kindererziehung nur Frauensache ist. Wenn jemand mehrere Jahre aus dem Job raus ist, ist es schwer, später eine Führungsaufgabe zu übernehmen.

CW: Schwierigkeiten haben nicht nur Frauen, sondern auch zunehmend Informatiker, die älter als 40 Jahre sind. Verliert man trotz des soliden theoretischen Wissens irgendwann den Anschluss?

HUSS: Die Theorieausbildung hilft, die ganzen Jahrzehnte zu überleben. Das Schlimmste, was einem Informatiker oder auch Ingenieur über 45 passieren kann, ist, dass seine Firma übernommen wird und er für den neuen Inhaber viel zu altmodisch neben einem 35-Jährigen wirkt.

MÜHLHÄUSER: Das ist ein typisch deutsches Phänomen. Im Gegensatz zu den USA, wo mit viel Begeisterung auf Neues zugegangen wird, erlebe ich das hier seltener. Manchmal glauben ältere Mitarbeiter, für gewisse Dinge zu alt zu sein, obwohl sie fit und kreativ sind. Warum hat jemand diese Einstellung? Das weiß kein Mensch, so tief sitzt das in uns.

BUCHMANN: Der Fehler sitzt eigentlich in den Personalabteilungen: Denn sie sortieren die Lebensläufe aufgrund des Alters des Bewerbers aus und verschicken Absagen, ohne sie an die Fachabteilungen weiterzuleiten.

AUSTERMÜHL: Alter ist nicht die Determinante bei der Entscheidung für einen Informatiker. In der IT-Industrie sind in der Vergangenheit hohe Gehaltssteigerungen gegenüber dem Branchendurchschnitt erfolgt. Wenn jemand während seines Berufslebens dauernd in der Informatikindustrie tätig war, ist er relativ teuer, wenn er älter ist. Für ihn gibt es nur noch ein eingeschränktes Tätigkeitsspektrum. Wenn er jedoch nicht teuer ist, ist es ein gewisses Alarmzeichen. Wenn sich jemand, der schon älter ist, in der Bewerbung zu einem Preis verkaufen will wie ein Hochschulabsolvent, frage ich mich warum. Das Alter in Relation zum Preis ist ein gewisses Kriterium bei der Beurteilung einer Bewerbung.

MÜHLHÄUSER: Wie typisch deutsch. Wir müssen schön immer mehr verdienen. Alter ist kein Manko und kein Privileg.

CW: Was sollte ein Mitarbeiter tun, um mit der Technologie mitzuhalten?

AUSTERMÜHL: Paradigmenwechsel wie zur objektorientierten Programmierung oder zum Internet sollte man nachvollziehen. Doch diese Pradigmenwechsel kann man nicht zu Hause machen, das muss im Job passieren. Wenn jemand nicht gezwungen war, diese Wechsel zu erleben, hat er ein Defizit, das nichts mit dem Alter, sondern mit fehlender Ausbildung zu tun hat.Vollzog er den Paradigmenwechsel, den ich für wirklich wichtig halte, habe ich auch kein Problem, einen 45-Jährigen einzustellen. Jemand, der mit den Problemen umgehen kann, ist für mich viel wertvoller als jemand, der gerade von der Hochschule kommt. Dann muss ich nur noch die Stelle haben, wo ich ihm so viel Geld bezahlen kann.

CW: Das heißt, dass es der einzelne Mitarbeiter nicht selbst in der Hand hat, ob er einen solchen Wechsel mitmachen kann.

AUSTERMÜHL: Ja.

CW: 30 Jahre Informatik - was hat diese Wissenschaft der Welt gebracht?

WEDEKIND: Informatik ist eine Automatisierungswissenschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten enorm zur Arbeitsproduktivität beigetragen hat. Allein durch die Textverarbeitung hat sich die Arbeitsproduktivität im Büro verzehnfacht. Das ist allein das Verdienst der Informatik.

MÜHLHÄUSER: Die Automation ist erst der Anfang, wenn wirklich die Alltagsgegenstände alle am Internet hängen. Wir lachen heute über die Vorstellung des Mikrowellenherds, der über das Internet die Auftaudaten der Pizza abruft. Was bringt uns das? So klein und beschränkt ist unsere Phantasie, weil wir die Fähigkeiten dieser Vernetzung noch gar nicht erkennen. Dabei gibt es schon zahlreiche Anwendungen, die der Industrie viel Geld bringen. Wir haben jedoch gar keine Ahnung, was auf uns zukommt. Wir sind verschmolzen mit der Telekommunikation, als nächstes verschmelzen wir in einem neuen Massenmedium, von dem wir auch noch nichts wissen. Wir stehen nach 30 Jahren Informatik absolut am Anfang.

BORMANN: Diese starke Entwicklung in der Technologie, die wir in der Informatik in den vergangenen 30 Jahren hatten, haben wir immer noch. Es gibt ein sehr großes Potenzial. Der Zusammenhang zwischen der rasanten technologischen Entwicklung und den Bedürnissen der Menschen wird in Zukunft auch da sein. Für uns wirft sich die Frage auf: Wo wollen wir hin, was machen wir mit den Möglichkeiten? Das Beispiel mit dem Mikrowellenherd und der Pizza zeigt, dass wir noch nicht genau wissen, wo unsere Ziele liegen. Wir wollen uns nicht nur von den technologischen Möglichkeiten drängen lassen, sondern ein Stück weit in der Produktivität und gesellschaftlichen Entwicklung weiterkommen.

MÜHLHÄUSER: Diese Wechselwirkung zwischen technologischen Möglichkeiten und dem, was wir glauben, das der Markt verlangt, lässt uns immer nur ein Stück weit vorstoßen. Es gibt heute Bereiche, da sieht die Industrie, dass sie harte Dollars verdienen kann. Aber das ist nur die Speerspitze, in Wahrheit liegt die Zukunft in einem Bermuda-Dreieck aus den technologischen Entwicklungen und Möglichkeiten, der Phantasie derer, die sie treiben, und dem, wie sich die Kundschaft als Ganzes entwickelt. Wir müssen auf ethische Prinzipien achten, mehr Selbstverständnis haben und verstehen, dass die Informatik die Gesellschaft enorm verändert und gleichzeitig verstehen, welche gesellschaftliche Verantwortung wir dabei haben. Nur können wir in dieses Bermuda-Dreieck nicht beliebig hineinschauen.

Die Teilnehmer

Burkhard Austermühl, Informatikstudent der 1. Stunde und heute Geschäftsbereichsleiter und Prokurist des IT-Dienstleisters Danet.

Matthias Bormann, Sprecher der Wissenschaftlichen Mitarbeiter im Fachbereich Informatik an der TU Darmstadt.

Alejandro Buchmann, Professor für Datenbanken und Verteilte Systeme an der TU Darmstadt.

Andreas Fleischmann, Informatikstudent im 12. Semester.

Sorin Huss, Professor für Integrierte Schaltungen und Systeme an der TU Darmstadt.

Max Mühlhäuser, Professor für Telekooperation und neu gewählter Dekan der Informatikfakultät an der TU Darmstadt.

Hartmut Wedekind, emeritierter Professor und Gründungsmitglied der Fakultät in Darmstadt.