CIO Walter Grüner

Covestro geht in die Public Cloud

13.05.2021 von Jens Dose
CIO Walter Grüner migriert den gesamten IT-Stack von Covestro auf AWS und Azure. Dabei nutzt er bewusst wenige Dienstleister für das Cloud-Management.
Covestro-CIO Walter Grüner: "Mir kann keiner mehr erzählen, dass er für ähnliche Projekte unbedingt ein Change Management braucht."
Foto: Covestro AG

"Als ich zu Covestro kam, hatte das Unternehmen etwa zwei Jahre Digitalisierungsrückstau," berichtet Walter Grüner, CIO des Kunststoffherstellers. Nach dem Carve-Out vom Bayer-Konzern im Jahr 2015 musste die IT-Abteilung eigene Netzwerke, Systeme und Lieferantenketten aufbauen. Digitalisierungsprojekte hatten vorerst weniger Priorität.

Als die Abspaltung abgeschlossen war, zog die Geschäftsleitung nach und verankerte Digitalisierungsmaßnahmen als Ziel in der Geschäftsstrategie. Grüner sollte bei seinem Antritt Mitte 2019 die IT fit für diese Ambitionen machen. "Wir erarbeiteten eine zweigleisige IT-Strategie," berichtet der Manager. Zum einen sollten die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige IT-Landschaft geschaffen werden. Zum anderen galt es, von dieser Basis aus die Digitalisierung von Covestro federführend zu gestalten.

SD-WAN und Microsoft 365

"Wir wollten bei der IT-Modernisierung so weit springen, dass wir nicht gleich wieder aufholen müssen, wenn wir fertig sind," beschreibt Grüner seinen Ansatz. Als erstes Projekt sollte das Netzwerk neu aufgestellt werden. Die bestehende Architektur war alt und arbeitete beispielsweise noch mit eigenen Internet-Breakouts pro Region. Diese ersetzte das Team um Grüner durch ein SD-WAN-Netzwerk, das an allen Standorten weltweit von der Telekom ausgerollt wurde.

Sämtliche Collaboration-Lösungen konsolidierte die IT auf Microsoft 365 in der Azure-Cloud. Grüner: "Jeder unserer internen und externen User auf der ganzen Welt arbeitet heute komplett auf Office 365." Das Unternehmen mit rund 16.500 Mitarbeitenden weltweit lasse den gesamten Arbeitsplatz über die Microsoft-Suite verwalten, inklusive virtueller Whiteboards und Telefonie via Teams. "Wir haben uns auch für Microsoft entschieden, weil sie in all unseren Regionen einschließlich China das liefern können, was wir brauchen," so der CIO.

Die Top CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Dirk Ramhorst
Seit dem 1. Mai 2022 ist Dirk Ramhorst, ehemaliger IT-Chef von Wacker Chemie, CIO beim Spezialchemiekonzern Evonik. Seine Vorgängerin Bettina Uhlich ging in den Vorruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

Wie in vielen anderen Unternehmen war die Corona-Pandemie dabei ein Katalysator. "Als wir Anfang 2020 die ersten Wehen der Krise bemerkt haben, zogen wir einen Teil der mittelfristig geplanten Einführung des digitalen Arbeitsplatzes vor," berichtet Grüner. Dadurch konnten beim ersten Lockdown alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter binnen 36 Stunden remote arbeiten.

Alles in die Public Cloud

Die gesamte restliche IT sollte in die Cloud verlagert werden. Bisher arbeitete Covestro mit dem Hosting-Service eines großen deutschen Telekommunikationsanbieters und Citrix. "Dabei ging viel Geschwindigkeit verloren. Wenn wir beispielsweise einen Server brauchten, hatten wir den in zwei Monaten - oder auch nicht," erinnert sich Grüner. In einem Auswahlverfahren entschied sich der CIO für Amazon Web Services als neuen Provider. "Ähnlich wie Microsoft kann AWS unsere weltweiten Regionen abdecken, das schaffte der dritte große Cloud-Hyperscaler beispielsweise nicht," so der Manager.

Bis Ende 2022 soll die Migration abgeschlossen und die letzten Server abgeschaltet sein. Dann werden alle Systeme, inklusive Compute, AI-, ML- und Analytics-Plattformen sowie etwa CAD-Anwendungen in der Public Cloud laufen. Einen großen Schritt auf dieser Reise machte das Team an einem Wochenende Mitte April 2021. Die gesamte SAP-Implementierung wurde auf AWS verschoben. "Damit haben wir etwa die Hälfte der IT in die neue Umgebung verlagert, und die Systeme laufen ohne Probleme," sagt der CIO.

Kein Service-Layer

Sowohl die Cloud-Migration als auch den Betrieb in der Cloud will Grüner mit wenigen Management-Dienstleistern stemmen. "Hätten wir einen zusätzlichen Service-Layer zwischen uns und der Cloud eingezogen, würden wir wieder Geschwindigkeit verlieren," erklärt der IT-Chef. Daher laufe die Covestro-IT nativ auf der AWS-Plattform.

Zur Unterstützung arbeitet die Unternehmens-IT mit dem Partner Lemongrass aus dem AWS-Ökosystem zusammen. Der Dienstleister ist darauf spezialisiert, SAP auf der Cloud-Plattform zu betreiben. Grüner: "Wir arbeiten gemeinsam mit Lemongrass an Aufbau, Migration und Betrieb der Cloud und steuern sie direkt aus unserer IT heraus." So seien zum einen saubere Service-Prozesse sowie kurze Entscheidungswege gewährleistet. Zum anderen finde ein intensiver Wissensaustausch mit dem Partner statt.

"Die Entscheidung für einen Cloud-Hyperscaler ist immer auch eine Entscheidung für dessen Ökosystem," erklärt der CIO. Im Gegensatz zu klassischen Hosting-Anbietern fänden sich im offenen Umfeld der Public-Cloud-Anbieter viele innovative Partner, die die jeweilige Plattform um Impulse, Know-how und Services erweitern.

"Die Regionalisierung von AWS sorgt dafür, dass alle unsere Daten dort liegen können, wo sie liegen müssen," so Grüner. Was die Security anbelangt, sei die Cloud durch Mikrosegmentierung und Verschlüsselung sogar sicherer als der alte Hosting-Provider. "Man muss wissen, was man tut, dann ist die Cloud so sicher, wie es momentan möglich ist," urteilt der CIO.

Buy-in durch Mehrwerte

Dieses Wissen baut Grüner im eigenen Unternehmen auf. Neben dem Austausch mit Lemongrass setzt der IT-Leiter auf Trainings der Mitarbeiter. Bisher seien drei Viertel der IT-Belegschaft in Cloud-Grundlagen geschult. Zudem habe Covestro mittlerweile über 30 ausgewiesene Fachleute für AWS.

Darüber hinaus führte die IT neue Arbeitsweisen ein. Grüner: "Cloud ohne neue Teamstrukturen funktioniert nicht." Deshalb formte die Abteilung cross-funktionale Produktteams und bildete Scrum-Master sowie AWS-Architekten aus. "Bei so großen Veränderungen ist es ganz normal, dass anfangs nicht alle Kolleginnen und Kollegen enthusiastisch, sondern einige durchaus verhalten eingestellt sind, " so der CIO.

Diese Mitarbeiter holt Grüner über ein Wertversprechen ab: Jeder neue Skill und jede neue Zertifizierung im Cloud-Umfeld werde auch künftig einen hohen Stellenwert in der IT haben. Zudem sei die Arbeit mit neuen Technologien an sich schon spannend. Wichtig sei dabei, alle abzuholen. Grüner: "Allen Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von Alter und bisheriger Aufgabe, wurde zugesichert, dass sie in unserer neuen IT-Welt einen Platz haben werden, wenn sie wollen."

Change Management braucht es nicht

Einen Großteil der Cloud-Migration sowie das gesamte Onboarding von Lemongrass hat das Team um Grüner remote gestemmt. "Ich hatte bis heute kein einziges persönliches Meeting mit unserem Partner," so der IT-Chef. Dennoch habe alles funktioniert und der Betrieb laufe reibungslos.

"Vor der Pandemie hätte ich für so ein Vorhaben ein umfangreiches Change-Projekt ins Leben gerufen," berichtet Grüner. Stattdessen habe sein Team nun alles Nötige einfach gemacht und es habe funktioniert: "Von daher kann mir keiner mehr erzählen, dass er für ähnliche Projekte unbedingt ein Change Management braucht."

Der IT-Chef will jetzt aufgrund dieser Erfahrungen herausfinden, wie die IT zukünftig arbeiten soll. "Wenn im letzten Jahr trotz Pandemie alles so gut funktioniert hat, sehe ich keinen Grund, zur Arbeitsweise vor Corona zurückzukehren," so Grüner. Man sei zwar noch in der Findungsphase, aber die digitalen Voraussetzungen für das "New Normal" seien geschaffen.

Analytics, AI und Digitalverantwortung

In den kommenden Monaten will Grüner den Ausbau der IT fortsetzen. Neben der fortlaufenden Cloud-Migration bis 2022 stehen auch Digitalprojekte in den Startlöchern. Die Analytics-Plattform in Kombination mit künstlicher Intelligenz soll für Innovationen genutzt werden: "Wir haben beispielsweise die Sensordaten zu Ventilen, Druck und Konzentrationen aus den Fertigungsanlagen, jetzt wollen wir neue Use-Cases entwickeln, um sie noch besser zu nutzen."

Die Ideen für solche Projekte kommen zum Großteil aus der Belegschaft. Covestro hat Governance-Strukturen eingeführt, um sie "bottom up" zu evaluieren. Über verschiedene Gremien gelangen die Vorschläge in die Führungsebene, die sie nach Machbarkeit und Mehrwert für das Unternehmen bewertet. Anschließend werden die vielversprechendsten Projekte in die Digitalisierungsstrategie aufgenommen und umgesetzt.

Die IT-Modernisierung wirkt sich auch auf die Organisation der Geschäftsführung aus. Ab 1. Juli 2021 wird Grüner neben der IT-Leitung auch die Digitalverantwortung übernehmen. "Immer mehr Industrien bemerken, dass IT und Digitales zusammengehören. Die tollste App nutzt nichts, wenn die Systeme im Backend nicht korrekt integriert sind," sagt der Manager.

Daneben soll das Standing seiner Abteilung noch weiter verbessert werden. In der Covid-Krise hätten die IT-Kollegen aus dem gesamten Unternehmen viel Lob bekommen. Grüner: "Die Frage lautet: Was machen wir jetzt mit den Lorbeeren? Wenn die CIO-Funktion jetzt mehr Vertrauen genießt, kann sie auch mehr gestalten?" Allein aus der IT heraus werde das nicht funktionieren. Der Konzern müsse sich als Ganzes weiterentwickeln. Mit der neuen IT-Landschaft, agilen Arbeitsweisen und cross-funktionalen Teams habe man eine gute Ausgangsbasis geschaffen.