"Connecting the Dots": Viele Projekte verfehlen Unternehmensziele

24.07.2003
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Zusammen mit Warren McFarlan, Professor an der Harvard Business School , hat Cathleen Benko ein Buch veröffentlicht, das Unternehmen helfen soll, ihre IT-Projekte besser an den Unternehmenszielen auszurichten. Mit der Beraterin, die bei Deloitte Consulting das Thema E-Business verantwortet, sprach CW-Redakteur Robert Gammel .

Cathleen Benko

CW: In Ihrem Buch "Connecting the Dots" spielt das Thema "Alignment" eine zentrale Rolle. Was genau verstehen Sie darunter?

BENKO: Bei dem Thema Alignment geht es darum, das Projektportfolio eines Unternehmens an den Unternehmenszielen auszurichten.

CW: Eine Ihrer Ausgangsthesen besagt, dass Unternehmen heute massiv unter den Auswirkungen von Misalignment leiden. Was hat zu dieser mangelnden Ausrichtung geführt?

BENKO: Wie wir bei unseren Untersuchungen festgestellt haben, hat allein die Anzahl von IT-Projekten in den einzelnen Unternehmen über die Jahre stark zugenommen. Heute laufen rund 40-mal so viele Projekte wie noch vor 20 Jahren. Die Fähigkeit der Unternehmen, die Vielzahl von Aktivitäten an den übergeordneten Zielen auszurichten, ist jedoch nicht mitgewachsen.

CW: Wie sollten IT-Organisationen damit umgehen, dass sich insbesondere bei längeren Laufzeiten die Projektziele oftmals ändern?

BENKO: Speziell in wirtschaftlich unsicheren Zeiten sind Unternehmen gut beraten, wenn sie auf Veränderungen schnell reagieren, anstatt deren Richtung vorhersagen zu wollen. Projekte, für die ein hohes Risiko besteht, dass sie bereits vor ihrem Abschluss obsolet werden, sollten deshalb vermieden werden. Wenn wir uns mit Chief Executive Officers (CEOs) darüber unterhalten, stellt sich häufig heraus, dass sie ihr Portfolio für taktisch ausgewogen und praxisbezogen halten.

Das stimmt natürlich nur teilweise. Wenn ein CEO wichtige Indikatoren sucht, um zu sehen, wo sein Unternehmen in drei oder fünf Jahren stehen wird, sollte er sein Projektportfolio gründlich durchleuchten. Darin stecken die Ressourcen, darauf ist der größte Zeitaufwand und die Aufmerksamkeit des Managements gerichtet. Vor allem aber kann man aus einer solchen Gesamtbetrachtung schließen, ob die Projekte in der Summe wirklich an den Unternehmenszielen ausgerichtet sind.

CW: Befinden sich die Unternehmen, die derzeit große Konsolidierungsprojekte betreiben, auf dem richtigen Weg?

BENKO: Programme zur Konsolidierung von Projekten sind sicher hilfreich, aber einige der fundamentalen Fehlentwicklungen lassen sich damit nicht beseitigen. So kommen beispielsweise die strategischen Ziele meist aus der obersten Hierarchieebene (top-down). Wenn man sich dagegen die IT-Finanzierung ansieht, stellt man fest, dass die meisten Projekte aus der Mitte des Unternehmens stammen. Auf der Investitionsebene treffen sie sich dann.

CW: Gelingt es dem Management in der Regel, die Unternehmensziele ins Bewusstsein aller Mitarbeiter zu bringen?

BENKO: Nein. Wir sind auf eine Statistik gestoßen, wonach weniger als 15 Prozent der Mitarbeiter die Ziele ihres Unternehmens artikulieren können.

CW: Wie ist eine vernünftige IT-Organisation möglich, wenn kaum jemand weiß, was sein Arbeitgeber will?

BENKO: Das ist ein wichtiger Punkt. Die hochrangigen IT-Verantwortlichen wissen durchaus über die Unternehmensziele Bescheid. Untergeordnete IT-Mitarbeiter haben allerdings meist nur ein verschwommenes Bild. Das ist genau das Problem. Die mittleren Hierarchieebenen treffen trotz oft schlechter Orientierung jeden Tag Entscheidungen, die eine Menge Auswirkungen nach sich ziehen. Wir haben daher sieben Tools entwickelt, die CIOs und anderen helfen sollen, festzustellen, für welche Projekte sie aktuell wie viel Geld ausgeben und wie eng diese Projekte an den Unternehmenszielen ausgerichtet sind. Außerdem lässt sich damit erheben, welche zusätzlichen Optionen es gibt.

CW: Worum geht es dabei konkret?

BENKO: Ich will einen Ansatz herausgreifen, um das Prinzip zu verdeutlichen. Ein Tool soll beispielsweise helfen, das Projektportfolio aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Normalerweise werden Portfolios nach einer internen Hierarchie organisiert. Das gibt zwar grundsätzlich Sinn, führt aber zu Verzerrungen, etwa wenn jemand versucht, seinen Teil vom Investitionskuchen abzubekommen.

Wir schlagen deshalb vor, jedes einzelne Projekt zu analysieren und einer von drei Kategorien zuzuordnen: Ist es ein kundenorientiertes Projekt, ist es ein internes Projekt etwa für die Personalverwaltung, oder handelt es sich um ein Buyside-Projekt, beispielsweise E-Procurement oder Supply-Chain-Management? Man sieht so, an welchen Stellen in den Kunden investiert wird und wo in das eigene Unternehmen. Häufig zeigt sich dabei, dass die wesentlichen Unternehmensziele auf die Ausweitung der Marktanteile oder die Entwicklung neuer Produkte abzielen, die meisten IT-Projekte aber einen internen Fokus haben. Außerdem lässt sich mit dieser Perspektive sehr schnell feststellen, wo Redundanzen oder Konflikte auftreten.

CW: Portfolio-Management ist ja auch ein Teil von anderen Konzepten wie Enterprise Architecture. Was ist das neue an Ihrer Methode?

BENKO: Wir behaupten nicht, ein neues Problem anzugehen, aber eines, das immer noch nicht gelöst ist und dessen Behebung große Potenziale freisetzt. Gerade in wirtschaftlich so schwierigen Zeiten ist es besonders wichtig, an der richtigen Stelle zu investieren. In der Regel verfolgen Unternehmen einen dreigeteilten Ansatz: Da sind zum einen kurzfristige operative Ziele, dann gibt es eher langfristige und strategische Vorhaben und schließlich einen dritten Bereich, den die meisten Unternehmen nicht einmal benennen können. Gemeint sind nach unserer Diktion so genannte Transformationsziele. Darunter fallen beispielsweise die Auswirkungen des Internets auf die Geschäftspraxis. Wir behaupten, dass Unternehmen diesen Transformationsprozessen einen Rahmen geben sollten, anstatt sie nur instinktiv anzustoßen. Deutlich sichtbare Ziele lassen sich wesentlich leichter erreichen als solche, die unsichtbar bleiben.

CW: Welche Veränderungsprozesse beschäftigen die Unternehmen besonders stark?

BENKO: Wir sehen vier Bereiche. Wenn man auf die E-Business- und Internet-Entwicklungen der letzten Jahre zurückblickt und den ganzen Hype abzieht, bleibt eine Reihe von Auswirkungen für das Business von heute: Ganz allgemein haben die Transparenz und Vergleichbarkeit von Unternehmen und deren Angebote zugenommen, was die Kunden in eine stärkere Position versetzt hat. Dadurch ist das Thema Kundenloyalität viel wichtiger geworden.

Zweitens setzen Unternehmen neue Geschäftsideen und Produkte schneller um und sind mit Produkten früher am Markt. Irgendeiner nutzt die Chance, und das hat wiederum Auswirkungen auf den gesamten Markt. Drittens verschwimmen die Rollen in der Geschäftswelt zunehmend. Zwischen manchen Unternehmen bestehen mehrere parallele Beziehungen - Lieferant, Abnehmer, Partner und Konkurrent. Der vierte Faktor sind die verringerten Reibungsverluste in den Geschäftsprozessen. Wenn beispielsweise ein großer Gesundheitsdienstleister den Anteil menschlicher Arbeit erfolgreich reduziert, entfallen viele Fehlerquellen. Das setzt jedoch die Konkurrenten unter Druck, mindestens genauso effektiv zu werden.

CW: Welche Konsequenzen folgen aus diesen Entwicklungen?

BENKO: Unternehmen sollten ihre Geschäftsbeziehungen höher wertschätzen und die Zusammenarbeit mit Partnern, Zulieferern oder Distributoren als Mittel zur Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit begreifen. Ferner sollten sie einen Blick von außen auf ihr Unternehmen werfen, damit sie erkennen, wie der Kunde sie wahrnimmt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können sehr hilfreich sein, um sich besser an dessen Wünschen zu orientieren.

Ein weiterer Punkt betrifft die Art und Weise, wie wir Entscheidungen treffen. Früher hatten die Verantwortlichen häufig zu wenig Informationen - heute ertrinken wir fast darin, allerdings ohne dass dadurch Entscheidungen besser oder schneller getroffen werden könnten. Letztendlich hat sich nur der Flaschenhals von der Informationsbeschaffung auf die Entscheidungsprozesse verlagert. Unternehmen müssen deshalb lernen, schneller auf die zur Verfügung stehenden Informationen zu reagieren. Der letzte Vorschlag bezieht sich auf die interne Organisation - wir nennen das die Stube in Ordnung bringen .

CW: Welche Bedeutung spielt bei der Umsetzung die IT?

BENKO: Bei allen Punkten geht es in erster Linie um eine Änderung des Grundverständnisses. Die Technik wird dabei häufig als Enabler benötigt. Dazu zählen CRM-, Business-Intelligence oder Collaboration-Systeme. Auch beim Optimieren und Verschlanken der internen Systeme geht es nicht nur um das Einführen von neuen ERP-Lösungen, sondern vielmehr um das Schaffen einer Atmosphäre, die Änderungen annimmt, anstatt sie zu sabotieren.

CW: Womit sollten Unternehmen beginnen?

BENKO: Die genannten Aufgaben sollten nicht als serieller Prozess verstanden werden. Es ist beispielsweise nicht möglich, zuerst alle internen Probleme zu beseitigen, bevor man sich um die anderen Punkte kümmert, denn mit den Aufräumarbeiten wird man nie fertig werden. Das muss ein kontinuierlicher Prozess sein, und das gilt genauso für die anderen drei Bereiche.

CW: Wie müssen sich die IT-Organisationen aufstellen, um die Unternehmensziele besser zu unterstützen?

BENKO: Die von uns entwickelten Tools sind so ausgelegt, dass sie nicht nur auf einer bestimmten Ebene des Unternehmens zur Anwendung kommen können. Bei vielen Themen ist das Topmanagement zu weit oben angesiedelt, als dass es wirkliche Veränderungen anstoßen könnte. Im Übrigen ist das eigentlich auch nicht dessen Job. Hier scheint mir unter anderem auch die IT-Organisation selbst geeignet zu sein, weil sie eine der ganz wenigen Abteilungen ist, die einen horizontalen Blick auf das gesamte Unternehmen hat und dadurch auch einen positiven Einfluss nehmen kann.

CW: Wissen IT-Abteilungen genug über die Geschäftsprozesse?

BENKO: In der Regel schon. Es gibt ja heute kaum noch wichtige Geschäftsabläufe, die keine IT-Komponente beinhalten. Dadurch bestimmt die IT auch Unternehmensstrukturen immer mehr mit.

CW: Können neuere Ansätze wie Enterprise Application Integration oder Web-Services nicht dazu beitragen, dass Unternehmen schneller auf Änderungen reagieren können?

BENKO: Natürlich sind solche Ansätze hilfreich. Das viel größere Problem sind aber die alten Systeme, die viele Unternehmen immer noch im Einsatz haben. Besonders augenfällig ist das beispielsweise im Versicherungsumfeld, wo zum Teil noch Programme und Abermillionen von Codezeilen im Einsatz sind, die Anfang der 70er Jahre programmiert wurden. Das treibt nicht nur die Wartungskosten enorm in die Höhe, sondern macht die Unternehmen darüber hinaus unflexibel und träge.