Über den Wolken

Cloud Computing sucht nach Nutzern

20.11.2008 von Dr. Thomas Reuner
Cloud Computing ist das aktuelle Modewort in der IT-Industrie. Beim Nutzer ist das Konzept bislang kaum angekommen.

Cloud Computing steckt noch in einer frühen Entwicklungsstufe. Es baut auf viel diskutierte Konzepte wie Grid Computing und Software as a Service (SaaS) auf. Die potentiellen Anwender nähern sich dem Thema allerdings sehr verhalten. Die mangelnde Akzeptanz liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Definitionen von Cloud Computing sehr weit auseinander gehen. Im engen Verständnis umfasst der Begriff die Verfügbarkeit von virtuellen Servern beziehungsweise Storage über das Internet. Anbieter wie Amazon oder Nirvanix sind Vorreiter dieses Ansatzes. Andere Definitionen gehen sehr viel weiter und schließen alle Dienstleistungen und Applikationen ein, die außerhalb der Firewall über das Internet in Anspruch genommen werden können. Insbesondere die Protagonisten von SaaS stehen im Zentrum der Diskussionen, etwa Google Apps, Yahoos Zimbra oder Microsoft Live. Was alle diese Definitionen gemein haben, ist dass sie einen möglichen Paradigmenwechsel in der Bereitstellung von Technologien und IT-Dienstleistungen beschreiben. Während die Techniken weitgehend bereitstehen, die Cloud Computing ermöglichen (auch wenn sie noch verfeinert werden müssen), besteht über die Kriterien, die eine Inanspruchnahme derartiger Dienstleistungen beeinflussen, nur wenig Klarheit.

TSM Strategies sieht drei entscheidende Punkte, die die Kaufentscheidung beeinflussen können.

1. Skizzierung nachvollziehbarer Nutzungsszenarien;

2. Sicherheitsbedenken;

3. Interoperabilität.

Ebenso entscheidend sind die Geschäftsmodelle beziehungsweise die wirtschaftlichen Interessen der großen IT-Anbieter.

Einsatzszenarien: uneingeschränkte Skalierbarkeit ist Trumpf

Nutzungsszenarien: Die Einsatzszenarien beziehungsweise die Vorteile, die sich etwa aus Grid Computing und SaaS (und damit auch von Cloud Computing) ergeben, haben sich insbesondere mittelständischen Unternehmen nur sehr begrenzt erschlossen. Trotz der unterschiedlichen Ansätze von Cloud Computing sind die wichtigsten Vorteile fast aller Konzepte die uneingeschränkte Skalierbarkeit und nutzungsbasierte Abrechnung, sowie die Reduzierung der Fixkosten durch Zugriff auf gehostete Applikationen und Dienstleistungen. Damit sind die Argumente nahezu deckungsgleich mit denen von SaaS. Und die äußerst zögerliche Akzeptanz von SaaS unterstreicht die Problematik für Cloud Computing. Denn im Kontext von SaaS werden die Abhängigkeit vom Dienstleister und Sicherheitsbedenken als die wichtigsten Hemmfaktoren im deutschen Markt gesehen. Weitaus optimistischer ist der Ausblick im Bereich von Server- und Storage-Virtualisierung. Die Erfahrungswerte, die mit Virtualisierungstechnologien in Rechenzentren gesammelt wurden, werden die Akzeptanz von externen Virtualisierungsansätzen erhöhen. Dabei ist zu erwarten, dass diese Ansätze eher taktisch zur Abfederung von Lastspitzzeiten sowie im Mittelstand zum Einsatz kommen. Bei strategischen Sourcing Entscheidungen werden sie künftig - wenn überhaupt - zunächst nur komplementär eingesetzt. Wichtigstes Antriebsmoment sind hierbei kurzfristige Kosteneinsparungen.

Sicherheit: Eine emotional geführte Debatte

Sicherheitsbedenken: Im Zentrum der steht Bedenken steht vornehmlich die emotional gefühlte Sicherheit. Und diese Emotionalität sollten Anbieter ernst nehmen. Angesichts von Ereignissen wie etwa dem massiven Datendiebstahl bei T-Mobile geht es vielmehr um operative Probleme und gerade auch um die wahrgenommene Abhängigkeit vom Dienstleister beziehungsweise Anbieter. Dies wird auch dazu führen, dass Cloud-Angebote im Infrastrukturbereich sehr viel schneller und umfangreicher angenommen werden.

IT als Gebrauchsgut: Noch einige Jahre entfernt

Interoperabilität: Alle Anstrengungen um offene Standards oder Open Source verblassen, wenn man im privaten Bereich mit den Frustrationen eines Vista-Upgrades oder mit Problemen des ISPs zu kämpfen hat. Und diese Erfahrungen sind zumeist entscheidender als viele Hochglanzbroschüren über künftige IT-Strategien. Natürlich operieren Unternehmen mit besseren Verfügbarkeiten und umfangreichen Qualitätstests, aber die Erfahrungen im privaten Bereich bleiben emotionale Hemmschwellen. Cloud Computing beschreibt als Vision oder Zielrichtung ein Konzept, in dem IT als Gebrauchsgut verfügbar ist. Doch von dieser Vision sind wir noch einige Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte entfernt. Daran wird auch die immer stärkere Verbreitung von Web-2.0-Applikationen wie etwa Facebook nichts Grundlegendes ändern.

Der Kampf um den Desktop hat begonnen

Wirtschaftliche Interessen: Der aus der Außenperspektive spannendste Aspekt von Cloud Computing (als auch vieler seiner Komponenten) ist, wie die großen etablierten IT-Anbieter mit diesem potentiellen Paradigmenwechsel umgehen. Denn verbrauchs- und nutzerbasierte Geschäftsmodelle gefährden die Zukunft der etablierten Procurement- und Lizenzmodelle. Dementsprechend haben die großen IT-Anbieter und Dienstleister (wie schon bei On-demand- oder SaaS-Angeboten) zumeist nur geringes Interesse daran, wirklich bedarfsgerechte Geschäftsmodelle einzuführen. Sie handeln häufig nur dann, wenn sie dazu gezwungen werden. Die Bereitstellung von Applikationen und Dienstleistungen über das Internet bedeutet aber auch, dass dem Desktop und dem Internet-Browser eine noch wichtigere Rolle obliegen. So ist etwa die Einführung von Googles Chrome Browser (wie auch dem Android Handy-Betriebssystem) nicht unbedingt auschließlich als Breitseite gegenüber Microsoft zu verstehen, sondern vor allem als Gewährleistung dafür, dass nicht nur Internet-Seiten abgebildet werden können, sondern auch Applikationen über Clouds bereitgestellt werden können. Der Kampf um den Desktop, so scheint es, hat erst richtig begonnen.

Fazit: Der Weg in das Zeitalter von Cloud Computing ist deutlich vorgezeichnet. Das Konzept wird sich in den nächsten fünf Jahren vor allem im Infrastrukturbereich etablieren, aber nur graduell in den Applikationsbereich vorstoßen. Bleibt zu hoffen, dass die begriffliche Verwirrung durch Termini wie On-demand, SaaS, Utility, SOA oder Cloud Computing durch ganzheitliche Ansätze aufgehoben wird, die stärker auf Geschäftsprobleme als auf Technologien abheben. Und nur dann wird sich der anfängliche Bodennebel ins Zeitalter von Cloud Computing auflösen. (jha)

Zur Person

Name: Dr. Thomas Reuner

Position: Geschäftsführer

Analystenhaus: TSM Strategies, London.

Beratungsschwerpunkt: Reuner konzentriert sich auf die Bereiche IT-Services, Sourcing, Business Process Outsourcing (BPO) sowie Mobile Enterprise. Dabei vertraut er auf über 10 Jahre Erfahrung im Bereich der IT-Marktforschung und Beratung. Bevor er TSM Strategies im September 2008 gründete, bekleidete Reuner leitende Funktionen bei Gartner, KPMG Consulting, NelsonHall und IDC. Außerdem leitet er den Consulting-Bereich bei CCS Insight in London. Sein Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Göttingen hat Reuner mit der Promotion abgeschlossen.