Brian Boruff, CSC

"Cloud Computing lässt die Enterprise-IT intakt"

21.12.2010 von Christoph Witte
Cloud-Vordenker Brian Boruff, Vice President Emerging Markets von CSC, erläutert, wie eine traditionelle Unternehmens-IT die Vorteile von Cloud Computing nutzen kann.

CW: Zurzeit überschlagen sich Anbieter mit Angeboten und Ankündigungen zum Cloud Computing, aber viele Anwender bleiben skeptisch. Worauf führen Sie das zurück?

Brian Boruff: "Die IT mag es nicht, wenn die Fachbereiche selbständig einkaufen."
Foto: Witte

BORUFF: Deutschland hinkt bezüglich der Akzeptanz hinterher. In den USA hingegen arbeiten schon sehr große Unternehmen, zum Beispiel der Pharmakonzern Eli Lilly, in der "Wolke". Das Unternehmen rechnet Gensequenzierungen und andere High-Performance-Computing-Aufgaben in der Amazon-Cloud. Die amerikanische Regierung hat bereits Cloud-Services ausgeschrieben, die von allen Bundesbehörden genutzt werden sollen.

Oder denken Sie an das rasante Wachstum von Salesforce.com. Auffällig ist, dass die Business-Seite das Modell viel schneller akzeptiert als die IT-Organisationen. Denen bereiten Governance, Integration, Sicherheit und Datenschutz Sorgen. Außerdem mögen sie es gar nicht, wenn Fachabteilungen ohne ihre Zustimmung oder ihren Rat Cloud-Services einkaufen.

CW: Vielleicht halten sich die CIOs auch deshalb zurück, weil sie die Organisation ihrer Enterprise-IT neu aufstellen müssen.

BORUFF: Die Manager bei Eli Lilly erzählen, dass ihre Enterprise-IT etwa zwölf Wochen braucht, bis sie einen neuen Server funktionstüchtig aufgesetzt und mit Applikationen bestückt hat. Bei Amazon habe der gleiche Vorgang nur drei Minuten gedauert. Das ist natürlich ein frappierender Unterschied, mit dem sich auch die Verantwortlichen in der Enterprise-IT auseinandersetzen müssen.

CW: Mag sein, dass die US-Unternehmen Cloud Computing ausprobieren. Aber inwiefern beziehen sie schon nennenswerte Services aus der Wolke?

BORUFF: Viele CIOs amerikanischer Unternehmen machen sich in bestimmten Bereichen die Cloud begeistert zu eigen. Man kann wohl kaum mehr von einem Pilotversuch reden, wenn etwa die Stadtverwaltung von Los Angeles mit uns einen Vertrag schließt, der die Mails von mehr als 30.000 städtischen Angestellten in die Google-Cloud verlagert.

Zur Person

  • Brian Boruff ist Vice President Emerging Technologies beim IT-Dienstleister CSC. In dieser Funktion zeichnet er weltweit für die Kommunikation mit Analysten und Third-Party-Advisors verantwortlich.

  • Darüber hinaus leitet er eine CSC-weite Cloud-Computing-Initiative.

  • In den vergangenen 26 Jahren begleitete Brian Boruff große und einschneidende Veränderungen in der IT-Branche an vorderster Stelle.

  • Während der Zeit der Mini-Computer arbeitete er bei Hewlett-Packard (ab 1982), anschließend war er neun Jahre lang bei Apple tätig.

  • 15 Jahre lang bekleidete er die Position eines Senior Executive bei Microsoft.

Vorteile bei E-Mails und Testing

CW: Welche Wettbewerbsvorteile sehen Sie für Unternehmen, die früh in das Cloud Computing einsteigen?

BORUFF: Das kommt immer darauf an, welches Business-Problem zu lösen ist und welche Workloads ausgelagert werden sollen. Große Vorteile sehen wir im Bereich E-Mail. Weltkonzerne wie Coca Cola oder GlaxoSmithKline beziehen E-Mail-Services bereits aus der Cloud. Ein anderer Service, der wunderbar in das Szenario passt, ist Testing. Warum soll ein Unternehmen die Infrastruktur für Tests aufbauen, wenn es sie in der Cloud preiswert und schnell zu mieten gibt?

CW: Wie steht es mit Enterprise-Anwendungen wie ERP, Supply-Chain-Management oder Business Analytics?

BORUFF: Das wird schwieriger. SAP hat das zwar bereits mit Business ByDesign angekündigt. Aber es ist nicht einfach, die Unternehmen davon zu überzeugen. Ich kann mir vorstellen, dass die Marktentwicklung hier eher über erweiterte Hosting-Angebote und Private Clouds läuft. Bis das in der Public Cloud angekommen ist, dauert es noch eine Weile.

CW: Sie sprechen bei CSC auch von Hybrid Clouds. Was meinen Sie damit?

Brian Boruff: "SAP wird sich schwer tun, die Unternehmen zu überzeugen."
Foto: Witte

BORUFF: Ein Beispiel: Der Chemie- und Energiekonzern Dupont lässt seit langem seine komplette IT-Infrastruktur von uns betreiben. Im Auftrag von Dupont-CIO Phuong Tram haben wir ein Konzept entwickelt, mit dem unternehmenskritische Applikationen weiter abgeschirmt in den CSC-Rechenzentren laufen können, während sich für Mail, CRM und andere Dinge Cloud-Services von verschiedenen Providern einkaufen und nutzen lassen.

Das Gesamtsystem wird von uns gemanagt und betrieben. Der Nutzer bei Dupont hat weiterhin sein Single-Sign-on für alle Applikationen - ob der Service dafür nun aus der Cloud stammt oder nicht. Ähnliches gilt für die Themen Sicherheit, Identity- und Access-Management. Wenn Sie so wollen, produzieren wir den Alleskleber, der es unseren Kunden erlaubt, verschiedene Cloud-Services unterschiedlicher Provider so miteinander zu verbinden, dass sie dem Nutzer wie ein homogenes System erscheinen.

CW: Was bewirkt diese Abstraktionsschicht?

BORUFF: Unsere Angebote reichen von vorgefertigten Servicepaketen wie Security- und Identity-Management bis zum kompletten Betrieb der IT-Infrastruktur inklusive des Cloud-Managements. Die Stadt Los Angeles zum Beispiel hat zwar den Mail-Service an Google ausgelagert, aber er wird über unsere Abstraktionsschicht kanalisiert.

Wie ein klassischer Outsourcing-Vertrag

Foto: Pixelio.de/Joujou
Foto: Pixelio/Joujou

CW: Muss ein Polizist, der seinen Mail-Verkehr über Google abwickelt, nicht befürchten, dass unautorisierte Eindringlinge seine Mails mitlesen?

BORUFF: Ohne zusätzliche Absicherung wäre die Google-Cloud dafür sicher nicht geeignet. Aber zum einen schützen wir den Mail-Verkehr über unsere Sicherheitsservices, zum anderen werden in der Cloud keine sensiblen Daten gespeichert. Will ein Polizist beispielsweise eine Kriminalakte einsehen, so geht seine Anforderung nicht an Google, sondern an ein Rechenzentrum, das von CSC betrieben und abgesichert wird. Anfragen und Kommunikation werden entsprechend kanalisiert.

Die Stadt Los Angeles hätte nie selbst Services von Google gekauft. Erst unsere Sicherheitsvorkehrungen und der erwähnte Abstraction-Layer machen das möglich. Die IT-Verantwortlichen der Stadt haben zum Beispiel gefordert, dass sie innerhalb einer Woche alle in der Google-Cloud vorhandenen Daten zurückgespielt bekommen, falls sie entscheiden, einen anderen Provider zu beauftragen.

CW: Deutsche CIOs sorgen sich tatsächlich, ihre Daten nicht sauber wieder aus der Cloud herausholen zu können.

BORUFF: Das machen wir! Unternehmen schließen einen Servicevertrag mit uns ab, in dem wir garantieren, dass wir alle ihre Daten aus der Cloud zurückholen und nichts dort zurückbleibt. Wir haben einen entsprechenden Vertrag mit Google geschlossen. Er sieht hohe Strafen für den Fall vor, dass nach Vertragsende irgendwelche Daten des Auftraggebers in der Google-Cloud verbleiben. Die sichere Zusammenarbeit mit Cloud-Providern hängt auch von dem vertraglich vereinbarten Replizierungs-, Datenschutz- und Sicherheitsvorgehen ab.

CW: Was geschieht, wenn Sie die Daten nicht komplett zurückführen können?

BORUFF: Wer uns beauftragt, bekommt wie bei einem klassischen Outsourcing-Vertrag bestimmte Service-Levels garantiert. Sie sind mit Pönalen bewehrt für den Fall, dass sie nicht eingehalten werden. Zu diesen Service-Levels zählt auch das Zurückholen der Daten. Deshalb beauftragen die Stadt Los Angeles oder die englische Royal Mail Group ja uns mit dem Management und arbeiten nicht direkt mit einem Cloud-Provider zusammen.

CW: Einige CIOs machen sich nicht nur Sorgen über Security und Compliance, sondern sie fragen sich auch, wie sie Cloud-Services budgetieren und in ihre Einkaufsprozesse integrieren sollen.

BORUFF: Das wird meist relevant, wenn Unternehmen einen Virtualisierungsgrad von 60 bis 80 Prozent erreicht haben. Ab da reden der zentrale Einkauf und die Rechtsabteilung mit. Und an dieser Stelle wird Cloud auch eine Aufgabe für das Business. Die CIOs großer Unternehmen sind gewohnt, mit ihren Service-Providern komplexe Verträge zu schließen, die schnell 100 und mehr Seiten stark sind.

Wenn sie bei Amazon einkaufen, stehen ein paar generelle Verfügbarkeitsregelungen auf deren Website; das reicht den Unternehmen nicht. Von uns bekommt der Kunde dagegen einen individuellen Vertrag mit Service-Level-Agreements, Pönalen und allem Drum und Dran. Einige Services wie Tests, Storage und Business-Prozesse für bestimmte Branchen stellen wir aus unserer eigenen Cloud-Umgebung zur Verfügung, während wir andere Services bei Providern wie Amazon, Google, Salesforce oder Microsoft einkaufen.

Hybrid bleibt das vorherrschende Modell

CW: Ihre Konkurrenten, allen voran IBM und HP, propagieren oft die Private-Cloud-Variante.

BORUFF: Ein Key-Account-Manager der IB; kann nicht zu seinen Kunden gehen und sagen: Okay, Jungs, ich verzichte auf 200 Millionen Dollar Umsatz und bringe euch in die Cloud.

CW: Aber CSC ist auch in traditionellen, langlaufenden und ergiebigen Outsourcing-Verträgen gebunden. Da gibt es ebenfalls Verlustrisiken.

BORUFF: Unseren großen Kunden wie Dupont, Royal Mail oder United Technology schlagen wir den Weg in die Cloud aktiv vor. Wir vereinbaren mit ihnen, dass sie einen Teil dessen, was sie durch Cloud-Services sparen, in weitere Projekte mit uns investieren.

CW: Welche Cloud-Varianten halten Sie für die nachhaltigsten?

BORUFF: Platform as a Service und Software as a Service. Dagegen wird Infrastructure as a Service sehr schnell zur Commodity. Amazon hat an seinem Service schon heute nur noch eine Marge von etwa drei Prozent. Das ist nicht unser Geschäft. Wir bieten die Infrastruktur zwar an, aber unser Fokus liegt auf Platform und Software as a Service.

CW: Im Hosting oder als echter Cloud-Service?

BORUFF: Es wird beides geben. In Umgebungen, in denen strenge Compliance-Regeln gelten und hohe Anforderungen an Verfügbarkeit und Sicherheit gestellt werden, dominieren wahrscheinlich die gehosteten Varianten. In anderen Aufgabenbereichen wie CRM wird das aus echten Multimandanten-Rechenzentren als Cloud-Service geliefert.

CW: Wann wird Cloud Computing das vorherrschende Computing-Modell sein?

BORUFF: Noch lange nicht, vielleicht nie. Für den Rest meines Lebens jedenfalls, also in den nächsten 30 Jahren, werden wir in einer hybriden Welt leben. Cloud ist ein komplementäres Modell. Es wird die bisherige Enterprise-IT nicht ersetzen, sondern lässt sie intakt, aber es wird sie ergänzen und sicher verändern.

Was Anwender von der Cloud halten
CW-Umfrage im Überblick
Hier finden Sie die wichtigsten Ergebnisse der CW-Umfrage zum Cloud Computing im Überblick.
Die meisten beobachten die Cloud
Die Cloud beschäft nahezu jeden Anwender. Knapp 85 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich mit den Thema auseinandersetzen.
Viele beziehen bereits Services
Oft lassen die Anwender den Überlegungen auch Taten folgen. Knapp 30 Prozent beziehen bereits Dienste aus der Wolke. Ausdrücklich gegen eine Cloud-Nutzung haben sich weniger als 15 Prozent ausgesprochen.
Applikationen sind beliebt
Wenn sich Anwender für Cloud-Angebote interessieren, dann vor allem für Geschäftsanwendungen und Speicherkapazitäten.
Cloud-Dienste gegen Lastspitzen
Die Befragten schätzen die Flexibilität der Cloud-Services. Sie nutzen derartige Dienste beispielsweise, um Lastspitzen abzufedern.
Die Skepsis bleibt
Die Bedenken richten sich vor allem gegen Sicherheits- und Datenschutzproblemen.
Amazon und Google führen
Nach Einschätzung der Befragten führen Amazon und Google derzeit das Feld der Cloud-Provider an.
In fünf Jahren: Platzhirsch ist Google
Auch in fünf Jahren wird Google zu den führenden Anbietern zählen, doch die traditionellen IT-Anbieter haben aufgeholt.
Klassische Provider genießen Vertrauen
Google hat ein wesentliches Problem. Die Anwender vertrauen dem Konzern nicht. Sie wenden sich lieber an etablierte Anbieter wie IBM und T-Systems.
Sympathien für die Deutsche Cloud
Der Bitkom hat auf der CeBIT 2010 vorgeschlagen, eine deutsche Cloud zu installieren. Das trifft durchaus auf Zustimmung der Anwender.
Wichtige Daten bleiben inhouse
Dennoch speichern die Nutzer ihre kritischen Daten ungern in der Wolke.
Kein Einfluss auf die interne IT
Cloud wird die heutige IT um Services ergänzen, die Arbeit der internen IT aber nicht überflüssig machen.

Drei Ratschläge für den Betrieb

CW: Was muss in der Enterprise-IT passieren, damit sie optimalen Nutzen aus Cloud-Computing ziehen kann?

Brian Boruff: "Betrachten Sie die Cloud nicht als IT-Projekt."
Foto: Witte

BORUFF: Entscheidend sind Governance, Einkauf und Provisioning. Zum einen: Wie werden die Unternehmen im Zeitalter von Software as a Service beispielsweise ihre Datenströme steuern und überwachen? Zum anderen: Software as Service wird nicht mehr zentral eingekauft; das ist heute schon so. Aber wie organisiert man das? Was darf die Fachabteilung einkaufen, was muss nach wie vor über die zentrale IT laufen?

Zum Dritten: Die meisten großen Unternehmen verfolgen einen Shared-Service- und Shared-Cost-Ansatz. Das ist nicht fair und wird mit der stärkeren Cloud-Nutzung noch unfairer. Da müssen neue Monitoring- und Billing-Engines her, die auch als Services oberhalb der virtualisierten Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden können.

CW: Sehen Sie Cloud als Sourcing-Modell oder als Technologie?

BORUFF: Es ist sicher beides. Technisch sind zunächst Virtualisierung, Kapselung und Abstraktion zwischen System und Applikation zu bewältigen. Hat man das erledigt, muss man sich um die Sourcing-Aspekte kümmern.

CW: Wie können Unternehmen solche Systeme, die teilweise in der Cloud und teilweise in eigenen Rechenzentren residieren, am besten steuern?

BORUFF: Meine Ratschläge lauten: Holen Sie alle an einen Tisch - Rechtsabteilung, betroffene Fachbereiche und IT einschließlich der Sicherheitsleute. Betrachten Sie Cloud nicht als IT-Projekt, sondern als eine Unternehmensinitiative, denn sonst wird es außerhalb der IT keiner zu seiner Sache machen. Wenn Sie das geschafft haben, experimentieren Sie mit Cloud Computing, setzen Sie einen Prototypen auf. Machen Sie Ihre Erfahrungen mit den Dos and Don’ts, den Unzulänglichkeiten und den Vorteilen. Ein Kaltstart wird garantiert scheitern.

Ich betrachte Cloud Computing als eine Reise, in der man Schritt für Schritt vorankommt. Sind Sie bereits in der Cloud unterwegs, sollten Sie die Governance überprüfen. Wahrscheinlich können Sie die Steuerung von Services nicht ohne Weiteres im bestehenden Governance-Modell unterbringen. Die meisten IT-Organisationen sind darauf eingerichtet, IT-Equipment und Software zu kaufen und zu managen. Unterschiedliche Services aus dem Netz stellen sie hier vor eine neue Herausforderung, die sie auch anders managen müssen.