Ob seine Mitarbeiter bei der Arbeit Startrek gucken oder facebooken ist Hans Christian Boos egal. "Hauptsache, sie liefern", sagt der Gründer des Arago Instituts für komplexes Daten-Management in Frankfurt am Main. "Als Chef kaufe ich nicht ihre Zeit, sondern Ergebnisse." Boos kennt die neue Arbeitswelt, und er hat seine Rolle als Führungskraft kompromisslos daran angepasst. Diese Herausforderung kommt momentan auf alle Vorgesetzten in der IT zu. Feste Arbeitszeiten, -orte und -abläufe sind Vergangenheit. Projekte und Teams finden sich heute immer wieder neu zusammen: aus Festangestellten und Freelancern, Cloudworkern und Beratern, Teilzeitlern und Zeitarbeitern. Zwischen Büro und Home-office, ICE und Coffeeshop, Waschsalon und Flughafenlounge.
Flexibilität heißt das Zauberwort. Und das fordern auch die Beschäftigten immer stärker für sich ein. Die Folge: Vorgesetzte werden mit zahlreichen Sonderwünschen konfrontiert. Der eine Mitarbeiter kann wegen der Kindergartenöffnungszeiten montags und mittwochs nur bis 15 Uhr bleiben, der nächste will drei Tage die Woche vom Home-Office aus arbeiten, der dritte peilt ein dreimonatiges Sabbatical an. Dazu kommt, dass die Leiter eines Projekts nicht automatisch die disziplinarischen Vorgesetzten der Teammitglieder sind, was zusätzlich Verwirrung stiften kann.
Vorgesetzte alter Schule müssen umdenken
Keine Frage: "Flexible Teams machen ihren Vorgesetzten mehr Arbeit als früher", sagt Udo Konradt, Professor für Arbeits- und Organisationspychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Damit in dem ganzen Wirrwarr aus Flexibilität und Extrawürsten nicht das Chaos ausbricht, sollten Chefs das eigene Führungsrepertoire in Frage stellen. Wer sich über Macht und Status definiert, wird sein Team schnell enttäuschen. "Das Leitbild des Platzhirschs im Büro ist passé", sagt Christian Schlottfeldt, Rechtsanwalt und Inhaber der Arbeitszeitkanzlei in Berlin. Loslassen ist gefragt. "Vor allem Vorgesetzte alter Schule, die sich als Befehlsgewalt über eine große Zahl von festen Mitarbeitern definieren, müssen umdenken", so Schlottfeldt.
Eine der neuen Tatsachen: Flexible Teams legen eine ungewohnte Dynamik an den Tag. So führten sich Mitarbeiter plötzlich selbst, sagt Arbeitspsychologe Konradt. "Die Aufgabe ihrer Vorgesetzten ist es, dieses Potenzial an Selbstführung anzustoßen und auszuschöpfen."
Genau das versucht auch Heinz Liebmann. Als Verantwortlicher für Personalprogramme bei IBM in Ehningen führt er ein Team aus 80 Mitarbeitern von Elmshorn bis Erfurt und von Berlin bis Tutzing. "Als Vorgesetzter muss ich nicht jedem Mitarbeiter täglich den Puls fühlen", sagt er. Der 57-Jährige glaubt fest daran, dass die neuen Techniken und Arbeitsmöglichkeiten Teams neu sozialisieren. Web-Konferenzen, Collaboration Tools und die Cloud bieten Projektmitgliedern viele neue Möglichkeiten, ihre Aufgaben untereinander abzustimmen, Dokumente zu bearbeiten und Probleme zu klären.
Kaffeerunde war gestern
In dieser flexiblen Arbeitswelt sieht Liebmann seine Aufgabe darin, aus den weit verstreuten Mitarbeitern ein Team zu formen, das zusammenhält, auch wenn es nicht zusammensitzt. "Früher ließen sich die Mitarbeiter bei der morgendlichen Kaffeerunde einschwören", sagt der IBMer. Heute muss er mehr planen und organisieren, um sein Team am Laufen zu halten. Liebmann reist öfter, telefoniert viel, auch über die regelmäßigen Statusgespräche hinaus. Care-taking nennt er das. Andere sprechen von individualisierter Führung. Jeder Mitarbeiter will in seiner eigenen Persönlichkeit wahrgenommen und betreut werden - egal, ob er im Nebenbüro oder im Home-Office sitzt, ob er Vollzeit oder halbtags arbeitet, als Freelancer, Cloudworker oder Praktikant.
Zum Care-taking gehört immer auch das richtige Fingerspitzengefühl. "Denn nicht jeder Mitarbeiter kann mit den neuen Freiheiten umgehen", warnt René Büst, Cloud-Computing- und Technologieanalyst im westfälischen Langenberg. Die Aufgabe von Vorgesetzten sei es daher, genau zu erkennen, wer im Team mehr Anleitung braucht und wer weniger. Das ist zeitaufwändig und oft auch ein "Trial und Error", so Büst. Doch den Aufwand ist es Wert - genauso wie das Eingehen auf Sonderwünsche der Teammitglieder nach Teilzeit oder Home-Office-Tagen. "Solche Wünsche sollten Chefs nicht als abgekoppelte Sozialleistung sehen, sondern als Zufriedenheitsturbo", sagt Arbeitszeitberater Schlottfeldt. Leute, die in Einklang mit ihrer Familiensituation und ihrem Biorhythmus arbeiten dürfen, werden mehr Motivation an den Tag legen als andere Kollegen. Und das wiederum steigert die Produktivtität.
Davon ist auch Michael Born überzeugt. Als Leader Managed Services Factory bei Computacenter in Kerpen verantwortet er das Wartungsbestandsgeschäft des IT-Infrastrukturdienstleisters. Sein Team besteht aus acht Mitarbeitern an fünf Standorten, vier davon arbeiten in Teilzeit. "Bei der Führung solch eines Teams muss man nahe dran sein an den Mitarbeitern - auch wenn die Schreibtische 500 Kilometer auseinanderstehen", sagt er. Alle vier bis sechs Wochen besucht Born seine Mitarbeiter an den verschiedenen Standorten, versucht, "Stimmungen aufzufangen, bevor die Dinge eskalieren", wie er sagt. Natürlich setzt er im Tagesgeschäft auch auf Telepräsenz. "Technik ist notwendig, um Nähe herzustellen", sagt der 51-Jährige. "Aber sie ist nicht alles."
Teamgeist fördern
Daher fördert Born auch das Miteinander der Teammitglieder untereinander - nicht nur dreimal im Jahr, wenn die Gruppe gemeinsam Wattwandern, Skifahren oder Bergwandern geht. Bei den regelmäßigen Telefonkonferenzen etwa bezieht der Chef alle Beteiligten ausdrücklich mit ein. Anstatt nur selbst die Ergebnisse vorzustellen, bekommt jeder Gesprächspartner zehn Minuten zusätzliche Redezeit. "So kommt Leben in die nackten Zahlen."
Und es schweißt zusammen. Dieser Spirit ist wichtig, damit nicht acht Einzelkämpfer unterwegs sind, sondern ein Team, das sich gegenseitig vertraut und bei Bedarf auch mal für einander einspringt. Der Chef sieht seine Aufgabe darin, die Arbeit so zu verteilen, dass sie nicht immer an denselben hängen bleibt, vorzugsweise an den Vollzeitkräften.
Ansonsten gilt: Vertrauen ist die Basis. Vertrauen, dass die Teammitglieder selbständig und eigenverantwortlich arbeiten. "Das fehlt vielen Führungskräften hier zu Lande", weiß Berater Büst. Mitarbeiter kontrollieren zu wollen, sei ein typisch deutsches Phänomen.
Dabei ist Kontrolle nicht unbedingt falsch - allerdings sollten lediglich die Ergebnisse, nicht aber die Menschen überwacht werden. Als Schlüssel zum Erfolg sehen Experten die Transparenz. "Der Leader muss dafür sorgen, dass alle Mitglieder wissen, was die anderen tun und auf welchem Stand das Projekt ist", fordert Arbeitspsychologe Konradt. Arago-Gründer Boos geht sogar noch einen Schritt weiter. Transparenz verordnet er nicht nur sich selbst, sondern allen Projektmitarbeitern. Nur wenn alle Teammitglieder über alles Bescheid wissen, können sie sich und ihren Beitrag fürs Team richtig einschätzen.
Bei Arago gilt das nicht nur fürs Geschäft. Transparenz will der Chef auch im zwischenmenschlichen Bereich herstellen. Weil die Teammitglieder verstreut arbeiten, hat er Yammer installiert, einen virtuellen Flurfunk. "Wenn die Mitarbeiter darin neben beruflichen Diskussionen auch nebenbei mitkriegen, wer von ihnen eine neue Freundin hat", so Boos, "läuft alles gut."
Die Anti-Chaos-Checkliste
Udo Konradt, Professor für Arbeits- und Organisationspychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, gibt Leitern flexibler Teams eine Gebrauchsanleitung an die Hand:
1. Aufbau:
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vertrauenswürdige, eigenständige Teammitglieder aussuchen, die kommunizieren können;
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einfache und zuverlässige Projekt-Managementtools wählen, auf die alle Mitarbeitern Zugriff haben;
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Plattform zum Daten- und Informationsaustausch implementieren.
2. Start
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persönliches Meeting einberufen;
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Ziele vorgeben und jeden Einzelnen dafür begeistern;
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Teammitglieder ermuntern, ihre Kontaktdaten untereinander auszutauschen;
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Rollen klar einteilen und abgrenzen;
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Projektplan aufstellen und transparent machen;
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Bewertungskriterien zur Messung der Ergebnisse festlegen;
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Kommunikationsregeln vereinbaren.
3. Tagesgeschäft
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Kommunikationsfluss sicherstellen und die Gruppe zum Networking ermutigen;
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mit gutem Beispiel vorangehen und alle Kommunikationswege regelmäßig nutzen;
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Grüppchenbildung vorbeugen;
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Erfahrungsaustausch zwischen den Teammitgliedern fördern;
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den Mitarbeitern regelmäßig Rückmeldung geben und bei ihnen Feedback einfordern.
4. Optimierung
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offene Kommunikation zulassen, damit sich eine gute Feedbackkultur etabliert;
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Teammeetings einberufen, wenn die Lage es erfordert;
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bei Bedarf Lessons-learned-Workshops abhalten;
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Selbstreflexion unter den Mitarbeitern fördern;
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viel Zeit für Einzelgespräche einplanen.