E-Procurement

Chancen auf der Wartebank

31.01.2003 von von Ulrike
Elektronischer Einkauf ist im Mittelstand noch häufig ein Buch mit sieben Siegeln. Viele Unternehmen schrecken vor den Kosten zurück. Dabei kann sich E-Procurement schon nach sechs Monaten bezahlt machen, meinen Experten.

DIE HÄUFIGSTE Reaktion stichprobenartige Nachfragen nach elektronischer Beschaffung in deutschen Mittelstandsunternehmen ist die knappe Auskunft: „Haben wir nicht“. Zum Beispiel bei der Meier Verlagsgruppe, die unter anderem die Marco-Polo-Reiseführer und die mittlerweile auch digitalisierten Falk-Pläne herausgibt. Das Unternehmen mit rund 800 Mitarbeitern nutzt das Internet lediglich zur Recherche und bestellt nur gelegentlich auch einmal online.

Dieser Fall bestätigt die Einschätzung von Thomas Trautenmüller, EProcurement- Experte beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME). Der Verband hatte im März 2002 eine Studie veröffentlicht, in der auch mittelständische Unternehmen die digitale Beschaffung als „ganz, ganz heißes Thema“ einstuften. Trotz Rezession habe sich daran nichts geändert, bestätigt Trautenmüller. Allerdings gebe es auch kaum mehr aktive Projekte in diesem Umfeld, setzt er hinzu. Die Studie zeigt zudem, dass die meisten Unternehmen einen enormen Bedarf an Aufklärung haben. Auch daran habe sich seit der Datenerhebung nichts geändert, so der BME-Mann.

Sparpotenzial wird missachtet

„Aber wenn der Mittelstand einen Teil nicht versteht, dann lässt er ganz die Finger davon“, schilt Rolf Frey von der Management-Beratung Frey, Schöler & Scheuber, Remshalden. Derzeit fungiert er als Interims-Geschäftsführer und führt in einem Zulieferbetrieb aus der Heizungsbranche eine E-Procurement-Lösung ein. Selbst Aussichten auf eine sichere Amortisation im Einkauf könnten viele Mittelständler ohne weiteres widerstehen. „Viele kennen das Instrument Return on Investment (RoI) gar nicht“, so der Praktiker. Deshalb gehen auch Berechnungen von hohen Einsparpotenzialen an vielen Mittelständlern vorbei. Im Raum stehen Schätzungen, dass der Ablauf, der notwenig ist, um eine Packung Bleistifte zu bestellen, bis zu 75 Euro kosten kann. Der Materialwert macht demnach nur einen Bruchteil der Prozesskosten aus. Das hat zunächst die Großbetriebe, aber auch größere Mittelständler überzeugt, wie die Udo

Bär GmbH aus Duisburg, die ihr Geld mit Handel, Instandhaltung und Reparatur von Gebrauchsgütern verdient. Ihr Interesse richtete sich zunächst auf eine effizientere Handhabung der Bestellprozesse bei so genannten C-Artikeln beziehungsweise geringfügigen Wirtschaftsgütern und Betriebsmitteln. Hier lassen sich generell 50 bis 70 Prozent der Prozesskosten einsparen.

Um ein solches elektronisches Beschaffungsverfahren einzuführen, benötigt der Einkauf Zugang zu elektronischen Katalogen, die im Haus oder durch einen Dienstleister verwaltet werden. Außerdem muss das Online-Bestellwesen an das Warenwirtschaftssystem und eventuell an das ERP-System angebunden werden.

Sinn macht der Einkauf von entsprechender Software jedoch erst, wenn man zuvor seine Abläufe bereinigt. Dafür sollten sich die Firmen an zumeist unabhängige Berater wenden, die dann für ein, zwei Tage im Haus unterwegs sind. Dazu kommt noch der Aufwand für die Schulungen der Mitarbeiter, wenn der Prozess einmal implementiert ist. Da skalieren die Investitionskosten schnell von 20 000 Euro bis zu einer Million, abhängig davon, wie weitreichend der elektronische Einkauf gehen soll und ob bereits Vorarbeiten geleistet wurden.

Trotz der teilweise hohen Projektkosten kann sich das „Desktop- Purchasing“, wie der BME diese Form der Beschaffung nennt, relativ rasch rechnen. Laut Trautenmüller ist der geplante RoI typischerweise in sechs bis 15 Monaten zu erreichen.

Auktionen und Ausschreibungen

Darüber hinaus bietet sich auch die Chance, A- und B-Artikel preisgünstiger zu beschaffen - mit Hilfe von Auktionen und Ausschreibungen im Netz. Das meistverbreiteste Mittel sind „Reverse Auctions“, wie es beim BME heißt. Hier gibt der Kunde den Preis vor, zum Beispiel den, den er bisher bezahlt hat. Die potenziellen Lieferanten unterbieten diesen Preis. Erfahrungen zeigen, dass sich die Einsparungen im strategischen Einkauf per Web in einem Rahmen von fünf bis 15 Prozent bewegen.

Anders jedoch als beim Desktop- Purchasing erledigt sich hier eine Reihe von Arbeitsschritten nicht automatisch. Vielmehr bleibt jeder Einkauf ein Projekt, in dem Verhandlungen geführt und die Richtlinien für die Auswahl eines Produkts neu zu definieren sind. Mitarbeiter müssen auf diese intensive Art des Einkaufs vorbereitet werden.

Berater Frey führt diese Art des Einkaufs derzeit in einem Unternehmen ein und hofft insbesondere auf Angebote von mehr Anbietern, auch von den internationalen Märkten. Der Einkäufer des 100-Mitarbeiter-Betriebs wäre ohne elektronische Unterstützung damit sicherlich überfordert. In etwa zwei Jahren, rechnet Frey, werde sich die heutige Investition bezahlt machen.

Obwohl sich mittlerweile gut errechnen lässt, ob und wann sich die Investition in einen elektronischen Einkauf rentiert, scheuen sich die meisten Firmen, ein solches Projekt aufzusetzen. Dabei können Unternehmen ausprobieren, ob die eine oder andere Lösung in Frage käme. Die meisten Softwareanbieter offerieren ihren Kunden die Möglichkeit, zwei oder drei Mal eine Ausschreibung zu versuchen.

Für den katalogbasierten Einkauf stehen Angebote von Application Service Providern (ASP) zur Verfügung. „Diese haben insbesondere für den Mittelstand den Vorteil, dass keine DV-Investitionen entstehen“, erläutert Trautenmüller. Solche Full-Service-Anbieter sind beispielsweise Portum, Goodex, Free Markets und Negometrix. Ein Katalog-Hosting übernehmen etwa T-System und CA-Content.

Aber auch wenn sich ein Unternehmen ein DV-System ins Haus holt, gibt es günstige Einstiegsmöglichkeiten. So macht Dirk Kleiner, Leiter des Competence Center EBusiness bei der Kuma Vision AG, Markdorf, darauf aufmerksam, dass es etwa beim Bizztalk-Server von Microsoft eine Partner-Edition gebe, die für den elektronischen Handel mit nur einem Partner gedacht sei. Kostenpunkt: 1100 Euro. Das dazu passende Navision- Anwendungs-Modul von Microsoft schlägt mit etwa 7000 bis 8000 Euro zu Buche.

Web-Zugang reicht

Auch Marktplätze, etwa Medicforma für den medizinischen Bedarf, Nexmart für den Elektrohandel oder Quibiq für Büro- und Geschäftsbedarf, bieten in der Regel das volle Programm rund um den elektronischen Einkauf. Um diese Dienstleistungen auszuprobieren, benötigen die Firmen lediglich einen Internet-Zugang. Da die Anbieter zumeist jedoch hier nur ihre Listenpreise veröffentlichen, empfiehlt sich für die Betriebe, die ständig darüber einkaufen wollen, individuelle Kataloge in diesen Marktplatz einzubringen. Diese entstehen, indem mit dem Vertragspartner spezielle Preise und eine bestimmte Auswahl aus dem Gesamtangebot ausgehandelt wird. Allerdings erfordert solche Individualisierung einigen Aufwand. Das Tagesgeschäft erfolgt dann jedoch nahezu automatisiert über den Marktplatz.

Nach Darstellung von BMEExperte Trautenmüller sind solche B-to-B-Marktplätze völlig zu Unrecht verpönt. Die Erfahrungen zeigten, dass sich mit dem Einkauf über Marktplätze bis zu 50 Prozent der Prozesskosten in den Unternehmen einsparen ließen.

Doch gänzlich problemfrei ist die Nutzung von Marktplätzen dennoch nicht. Es gibt zu viele nationale und internationale Standards für den Daten- beziehungsweise Belegaustausch. Während sich für die Produktkataloge in Deutschland das Format „BME CAT“ als das führende etabliert (www.bmecat.org), ist die Ausarbeitung des Verbandes für den Austausch von Dokumenten „Open Trans“ noch ein Standard unter vielen (www.opentrans.org). Im internationalen Handel müssen sich die Firmen ohnehin nach den Formaten richten, die auf der jeweiligen Plattform verlangt werden. Da unterschiedliche Branchen auch diverse Formate (siehe Kasten: Tipps) unterstützen, kann der Handel mit Partnern aus verschiedenen Branchen schnell kostenintensiv werden, so E-Business- Experte Kleiner.

Trotzdem raten die Experten den mittelständischen Firmen allesamt, sich besser früh als zu spät mit den Möglichkeiten des elektronischen Einkaufs zu beschäftigen. Denn hier liegt Potenzial, Kosten zu sparen. (uk)

* Ulrike Ostler ist freie Journalistin in Schweitenkirchen.