CeBIT-Trend: Voice over IP

07.03.2005 von Jürgen Hill
Eines der heißesten Themen der diesjährigen CeBIT ist das Telefonieren über IP-Netze. Das bringt VoIP Konvergente Infrastruktur, TK- und IT-Netz müssen nicht mehr doppelt vorgehalten werden; Virtualisierung (Zentralisierung) der internen Telekommunikation; günstigere Administration; effizientere Auslastung der WAN-Infrastruktur; Verknüpfung von TK- und IT-Welt erlaubt neue Applikationen; mehr Flexibilität.
Quelle: Cisco

Genau 129 Jahre vor der diesjährigen CeBIT, am 10. März 1876, telefonierte Alexander Graham Bell das erste Mal öffentlich über eine acht Kilometer lange Versuchsstrecke. Heute erschüttert eine neue Technologie die bisherige TK-Welt in ihren Grundfesten: Die Übermittlung von Sprache in Datenpaketen über IP-Netze, kurz: Voice over IP (VoIP). Das neue Verfahren revolutioniert sowohl das Telefonieren in unternehmensinternen Netzen als auch die öffentliche Telekommunikation, wie der erbitterte Preiskampf zwischen diversen Providern in den letzten Monaten zeigte.

Für Unternehmen ist diese neue Art des Telefonierens vor allem deshalb interessant, weil sie nur noch eine Netzinfrastruktur für Daten und Telekommunikation vorhalten müssen: Beide Informationsarten werden als IP-Pakete über das Netz transportiert. Der Verzicht auf zwei getrennte Netze spart nicht nur Investitionskosten, sondern senkt auch den Aufwand für Administration und Management erheblich und schont damit ebenfalls das Budget. Zudem lassen sich durch die Konvergenz von Telekommunikations- und IT-Welt viele Arbeitsprozesse effizienter gestalten. Beispiele hierfür sind etwa die Darstellung etablierter Web-Prozesse als Sprachanwendungen oder die Verknüpfung der IP-Telefonie über das Session Initiation Protocol (SIP) mit XML-orientierten Messaging-Diensten.

Auf den einen oder anderen IT-Manager wartet jedoch bei der Ablösung der klassischen TK-Anlage und der Migration zu VoIP eine unliebsame Überraschung, wenn sich herausstellt, dass seine Infrastruktur nicht VoIP-fähig ist. Grob vereinfacht gilt die These:

Definition: VoIP und Internet-Telefonie

Bei der Diskussion über das Telefonieren mit Hilfe der Internet-Technik muss zwischen zwei Arten der Kommunikation unterschieden werden: mit IP-Technik innerhalb von Unternehmen sowie über das öffentliche, globale Internet. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird dabei VoIP häufig als Synonym für IP-Telefonie in Unternehmen verwendet. Dagegen wird das Telefonieren über das öffentliche Internet meist als Internet-Telefonie bezeichnet. Beide Dienste bedienen sich zwar der gleichen Basistechnologien, zum Beispiel Voice over IP oder SIP, unterscheiden sich jedoch bezüglich der verwendeten Infrastruktur. So nutzen Unternehmen zur Verbindung verschiedener Standorte nur selten das öffentliche Internet, sondern meist ein Virtual Private Network (VPN) mit MPLS (Multiprotocol Label Switching). Die Internet-Telefonie dagegen läuft in der Regel über das öffentliche Internet, so dass nicht immer eine einwandfreie Sprachqualität garantiert werden kann.

Je älter die Infrastruktur, desto eher ist davon auszugehen, dass sie sich für VoIP nicht eignet. Besonders schlechte Karten haben zum Beispiel die Betreiber von Token-Ring-Netzen oder die Benutzer veralteter Interface-Systeme wie etwa MAU (Media Attachment Unit). Dabei ist meist nicht die verfügbare Bandbreite im Netz das Problem, sondern die erzielbare Sprach- und Übertragungsqualität. Damit sich via IP so unterbrechungsfrei telefonieren lässt wie mit ISDN, muss das Netz besondere Anforderungen bezüglich Latenzzeit (Verzögerung) und Priorisierung der in IP-Pakete verpackten Sprache erfüllen.

Eine weitere Herausforderung ist die Ausfallsicherheit. Kaum ein Datennetz kann nämlich mit der aus der TK-Welt bekannten Zuverlässigkeit von 99,9999 Prozent aufwarten. Theoretisch lässt sich ein solches Datennetz durch den redundanten Einsatz der aktiven Netzkomponenten und einer entsprechenden Kabelführung aufbauen, doch dies steht meist im Widerspruch zu dem angepeilten Spareffekt. Allerdings bringen immer mehr Hersteller neue Switches und andere Netzkomponenten auf den Markt, die dem Ideal der TK-Ausfallsicherheit bereits sehr nahe kommen.

Checkliste für VoIP

• Netzanforderungen der Abteilungen eruieren.

• Netzdesign und Konfiguration dokumentieren und überprüfen.

• Sind aktive Netzkomponenten VoIP tauglich?

• Sind Quality of Service (QoS) und Priorität des VoIP-Verkehrs gewährleistet?

• Ist die Infrastruktur ausfallsicher?

• Wo sind redundante Geräte notwendig?

• Erkennt das Netz-Management mögliche Fehler?

• Ist Load Balancing oder Clustering erforderlich?

• Entspricht die letzte Meile den VoIP-Anforderungen?

• Garantiert der Provider die erwünschte QoS in seinem Backbone?

• Sind Änderungen an der VPN-Infrastruktur notwendig?

Diese Anforderungen der IP-Telefonie gelten sowohl für die lokalen Netze (LANs) im Unternehmen als auch für die Weitverkehrsverbindungen (WAN) zwischen den Standorten. Während im eigenen Netz eine VoIP-Fitnesskur meist den Austausch mehr oder weniger vieler Komponenten bedeutet, ist im WAN-Bereich häufig der Wechsel auf ein anderes Serviceangebot des Providers erforderlich. So betrachten Experten die noch oft anzutreffenden Frame-Relay-Netze als kaum für VoIP geeignet. Als State of the Art gelten heute MPLS-basierende VPNs (MPLS = Multiprotocol Label Switching; VPN = Virtual Private Networks).

Sind diese Grundvoraussetzungen erfüllt, stellt sich die Frage, ob die klassische TK-Anlage auf einen Schlag abgelöst werden soll oder eine Migration in Stufen erfolgt. Egal für welchen Weg sich der Anwender entscheidet, eine VoIP-TK-Anlage sollte heute auf alle Fälle das Session Intiation Protocol beherrschen, das sich im Bereich der IP-Telefonie als De-facto-Standard etabliert hat. Die Frage nach dem besten Hersteller für eine VoIP-TK-Anlage lässt sich pauschal kaum beantworten, da jeder Anbieter seine spezifischen Stärken und Schwächen hat. So lobt Gartner etwa den französischen Alcatel-Konzern für seine ausgefeilte Produktmigrationsstrategie und die Integration mit IBMs Applikations-Server "Websphere", während Cisco durch seine starken Wurzeln im Geschäft mit Datennetzen punkten kann. Bei Siemens heben die Berater dagegen hervor, dass die IP-fähigen "Highpath"-TK-Anlagen besonders auf die Bedürfnisse von verteilten Unternehmen zugeschnitten sind. Als weitere Hersteller der VoIP-Oberliga sehen die Gartner-Consultants noch Avaya/Tenovis sowie Nortel Networks. Allerdings sollten IT-Manager bedenken, dass sie sich mit den IP-TK-Anlagen häufig wieder in eine ähnliche Herstellerabhängigkeit begeben wie bei den klassischen TK-Anlagen. Falls entsprechendes Linux-Know-how im Unternehmen vorhanden ist, lohnt sich deshalb eventuell ein Blick auf das Open-Source-Projekt "Asterisk" - eine softwarebasierende IP-TK-Anlage auf Linux-Basis, die PC-Hardware verwendet.

Anbieter von VoIP-TK-Anlagen

Obige Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

• 3Com, Halle 13, Stand C25;

• Alcatel, Halle 12, Stand B50;

• Nortel, Halle 13, Stand D38;

• Siemens, Halle 9, Stand B75;

• Cisco, Halle 13, Stand C58;

• Avaya/Tenovis, Halle 13, Stand C20;

• Ericsson, Halle 2, Stand C02;

• Mitel, keine Angabe;

• Snom Technology, Halle 12, Stand D80;

• Philips, Halle 6, Stand E43.

Außer in Unternehmen erfreut sich die IP-Telefonie auch unter Privatkunden einer immer größeren Beliebtheit: Von Sipgate über Nikotel, Freenet, Web.de bis hin zu 1&1 gab es in den letzten Monaten kaum einen Internet-Provider, der nicht mit entsprechenden Telefonie-Offerten in Konkurrenz zu den klassischen Carriern trat. Allerdings sollte sich der Anwender von der Werbung nicht blenden lassen: Die Internet-Telefonie, sieht man einmal von den häufig kostenlosen Gesprächen mit anderen IP-Nutzern ab, ist meist kaum billiger als die Tarife der günstigsten Call-by-Call-Anbieter.

Internet-Telefonie-Anbieter

Obige Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

• Sipgate, Halle 16, Stand G21;

• Nikotel, keine Angabe;

• Freenet, Halle 16, Stand A18;

• Web.de, Pavillon P37;

• Iptel.org, keine Angabe;

• 1&1 Internet AG, Halle 16, G05;

• Bluesip, keine Angabe;

• Broadnet Mediascape, keine Angabe;

• Purtel, keine Angabe;

• QSC, Halle 2, Stand C02.

Für den Einsatz der IP-Telefonie in Klein- und Heimbüros sprechen letztlich weniger monetäre Aspekte als vielmehr eine größere Unabhängigkeit. So eröffnet etwa die IP-Telefonie den Kunden etlicher City-Carrier erst die Möglichkeit, über unterschiedliche Provider zu telefonieren, denn die lokalen Telefongesellschaften bieten ihren Kunden in der Regel kein Call-by-Call an. Ein anderer Pluspunkt ist die Möglichkeit, sich im Urlaub oder am Zweitwohnsitz einfach per IP-Telefon mit dem Internet zu verbinden und sofort unter seiner heimischen Rufnummer erreichbar zu sein. Für die Internet-Telefonie spricht außerdem die Benutzerfreundlichkeit. Statt sich wie bei der klassischen ISDN-TK-Anlage mit kryptischen Befehlskombinationen aus Raute, Stern und Ziffernfolgen herumzuärgern, können bei den meisten Anbietern Services wie Anrufbeantworter oder Fax im Netz bequem per Web-Browser konfiguriert werden.

Anders als in Unternehmensnetzen kann die Bandbreite bei den im privaten Umfeld üblichen DSL-Anschlüssen knapp werden, wenn im Hintergrund noch Web-Server oder File-Sharing-Software laufen. Zudem ist die Konfiguration manches altgedienten Routers nicht ganz trivial, wenn störungsfrei via Internet telefoniert werden soll. Allerdings bringen immer mehr Hersteller, wie die diesjährige CeBIT zeigt, Router mit integrierten Anschlüssen für die Internet-Telefonie auf den Markt. (hi)