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Call-Center in der Kritik

18.06.2007
Die Branche schafft den Imagewandel nicht, weil schwarze Schafe Mitarbeiter und Kunden vergraulen.

Das Marktforschungsunternehmen Lightspeed Research hat im September 2006 weltweit rund 4200 Endverbrauchern (darunter 218 deutsche Kunden) nach ihren Erfahrungen mit Call-Centern befragt. Das Ergebnis: 76 Prozent beklagten sich über lange Wartezeiten. 95 Prozent gaben an, lieber zurückgerufen zu werden als lange zu warten.

Vor allem lange Wartezeiten sind Call-Center-Kunden ein Gräuel. Quelle: Lightspeed Research

Die Befragung wurde im Auftrag von Genesys Telecommunications Laboratories betrieben. Das Unternehmen, eine Tochter von Alcatel-Lucent, entwickelt und vertreibt Softwarelösungen für Call-Center-Kontakte über Telefon, Internet und E-Mail. Es hat sich vermutlich etwas dabei gedacht, die Umfrage zu starten: Die Lightspeed-Studie untermauert die Verkaufsargumente von Genesys gegenüber Call-Center-Betreibern, denn laut Umfrage sind 62 Prozent der Teilnehmer von schlechter beziehungsweise enttäuschender Qualität automatischer Anrufbeantworter genervt. Nahezu die Hälfte der Befragten ist verärgert, wenn sie ihr Anliegen mehrere Male vortragen müssen. Allerdings räumten 95 Prozent ein, nichts dagegen zu haben, wenn sie an einen Agenten weitergereicht werden, der ihnen wirklich helfen kann.

Die Umfrage kommt zu einer Zeit, in der vor allem deutsche Call-Center-Betreiber dünnhäutig auf Kritik an ihrer Branche reagieren. Anlass ist ein Artikel des Schriftstellers Günter Wallraff für "Die Zeit", in dem er seine Erlebnisse als Call-Agent im Undercover-Einsatz schildert: Beim Anbieter CallOn, Vermarkter von Lotterielosen, verbringt Wallraff einen Arbeitstag auf Probe ohne Entlohnung. Im zweiten Fall versucht er, am Telefon und im Auftrag von ZIU-International (http://www.ziu-international.de, Homepage ohne Inhalte) gerahmte und überteuerte Auszüge aus dem Jugendschutzgesetz an ahnungslose Kneipiers zu verkaufen. In beiden Fällen schildert er Tätigkeiten, die sich am Rande der Legalität bewegen. ZIU-International-Agenten drohen beispielsweise zögernden Wirten mit dem Ordnungsamt. CallOn lädt die Verantwortung für Anrufe ohne vorliegende Einwilligung der Gesprächspartner bei den Agenten ab.

In dem Artikel behauptet Wallraff, zwei Drittel der Call-Center widme sich dem Outbound-Geschäft, rufe also selbst potenzielle Kunden an. Das ist in Deutschland nur erlaubt, wenn die Angerufenen zuvor ihre Einwilligung dazu erteilt haben. Dieses formale Einverständnis ist häufig Teil von Gewinnspielen, in denen Kunden ihre Adresse und Telefonnummern hinterlassen. Anrufe ohne Einwilligung, im Branchen-Jargon "Cold Calls" genannt, sind illegal. CallOn, laut Wallraff Mitglied des Call Center Forums Deutschland (CCF), tut das offenbar. Obwohl Cold Calls und kostenlosen Probetage dem Ehrenkodex des CCF widersprechen, wurde CallOn vom Verband nicht als schwarzes Schaf gebrandmarkt.

In einem offenen Brief hat CCF-Vorsitzender Manfred Stockmann Wallraff geantwortet. Gegenüber dem Branchendienst "NeueNachrichten.de" sagte er: "Wallraff sind eklatante Missgeschicke bei der Recherche unterlaufen. Die Relation von Inbound und Outbound ist schlichtweg falsch und den Ehrenkodex Telefonmarketing hätte Wallraff auch genauer lesen müssen." Eine aktuelle Studie der Firma Aspect habe ermittelt, dass der Anteil der Outbound-Aktivitäten im Jahr 2005 lediglich bei 23 Prozent gelegen habe. Er sei im vergangenen Jahr auf gut 28 Prozent gestiegen. "Noch nicht einmal ein Drittel der täglich 20 Millionen Kundenkontakte in Call-Centern erfolgen im Outbound und auch davon nur ein Teil rein verkaufsorientiert", erläuterte Stockmann. Zudem sei CallOn kein CCF-Mitglied.

Der Kontakt mit einem Call-Center muss nicht immer via Telefon erfolgen. Auch E-Mail ist eine Kommunikationsform, die Kunden gerne akzeptieren. Quelle: Lightspeed Research

Der Disput ist Hinweis auf die wesentlichen Probleme der Branche: unerlaubte Cold-Calls im Verkauf und schlechte Arbeitsbedingungen im Call-Center wie Wallraff sie schildert, gibt es, und sie schaden dem Image einer Branche, die sich gerne als Job-Motor am Dienstleistungsstandort Deutschland profilieren möchten. Das Potenzial dazu ist da, legt man wiederum die Ergebnisse der Lightspeed-Studie zugrunden. Denn gute Call-Center-Leistungen scheinen die Kunden durchaus zu goutieren, insbesondere wenn sie die Betreuung und nicht den Verkauf zum Ziel haben: 89 Prozent der Teilnehmer würden es beispielsweise begrüßen, wenn sie vom Unternehmen angerufen werden, um über den Staus ihrer Bestellung sowie andere Produkte und Services informiert zu werden. (jha)

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