Call-Center hadern mit ihrem Image

01.03.2005 von Joachim Hackmann
Die Call-Center-Branche wächst und schafft Arbeitsplätze. Zufrieden sind die Dienstleister dennoch nicht: Der Gesetzgeber verschärfte den Verbraucherschutz, um die zum Teil aggressive Akquise einzugrenzen.

Hier lesen Sie ...

  • wie sich das Call-Center-Geschäft entwickelt;

  • wie schwarze Schafe dem Image der Branche schaden;

  • warum die Interessensverbände Qualitätsinitiativen fördern;

  • warum sich das Outsourcing noch nicht etabliert hat.

Die Banken haben in den vergangenen Jahren das Telefon als Vertriebskanal entdeckt und stellen mittlerweile den größten Abnehmer von Call- Center-Leistungen. Quelle: CCF

Die Bilanz des vergangenen Jahres kann sich sehen lassen. Die Call-Center-Betreiber haben 25.000 Arbeitsplätze für 40.000 Arbeitnehmer geschaffen. Insgesamt bietet der Industriezweig mittlerweile 330.000 Menschen in 5500 Call-Centern Beschäftigung. "Damit ist die Branche immer noch ein Job-Motor in Deutschland", warb Manfred Stockmann, Präsident des Interessenverbands Call Center Forum Deutschland e.V. (CCF). Für das laufende Jahr erwartet der Lobbyist wieder ein deutliches Wachstum im zweistelligen Prozentbereich.

Trotz aller Dynamik und Zuversicht waren auf der "Call Center World 2005", einem von der Management Circle AG in Berlin veranstalteten Branchentreff, auch Misstöne zu hören. Nach wie vor sei das Bild der Call-Center vom "Galeeren"-Image geprägt, wonach eine Vielzahl von Mitarbeitern in engen Räumen von einem Aufseher zu Höchstleistungen in der Kundengewinnung getrieben werden, klagte Michael Martin, Vorsitzender des Councils Telemedien- und Call-Center-Service im Deutschen Direktmarketing Verband (DDV).

Solche Anbieter gibt es, Schätzungen von Stockmann zufolge bewegt sich ihre Zahl im Promille-Bereich. Belegt sind Fälle, in denen Agenten für 1,70 Euro pro Stunde mit der Kaltakquise, dem Kontakt mit Kunden ohne deren vorheriges Einverständnis, beauftragt wurden. Die Arbeitszeituhr lief allerdings nur während der Telefonate. Nachbearbeitung und Pausen wurden nicht bezahlt. Zudem nahmen die Betreiber den Agenten teilweise die Personalausweise ab. Ausgehändigt wurden sie erst wieder, wenn die Mitarbeiter die vereinbarten Ziele erreicht hatten. "Solche Call-Center werden für drei Monate gegründet und dann wieder geschlossen. Damit entziehen sich die Betreiber einer Strafverfolgung, weil kein Rechtsnachfolger zu belangen ist", beschrieb Stockmann.

Um dem in der Öffentlichkeit schlechten Bild entgegenzuwirken, setzt der Verbandspräsident auf Selbstkontrolle. Gemeinsam mit dem DDV unterstützt der CCF Qualifizierungs- und Zertifizierungsinitiativen für Call-Center-Betreiber, -Manager, -Teamleiter und -Agenten. Außerdem schlug Stockmann nach US-amerikanischem Vorbild eine Do-not-Call-Liste vor, in die sich Kunden eintragen, die keine Anrufe wünschen.

Strengerer Verbraucherschutz

Doch damit kommen die Verbände möglicherweise etwas spät, denn die Kaltakquise ist in Deutschland mittlerweile verboten. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr mit einer Novelle des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) die vereinbarten EU-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt. Die Brüsseler Experten haben den einzelnen Regierungen zwei Optionen für den Verbraucherschutz offen gelassen. Entweder dürfen nur solche potenziellen Kunden angesprochen werden, die zuvor Kontakt zum Unternehmen hatten und damit einem möglichen Verkaufsangebot via Mail und Telefon zugestimmt haben (opt in). Oder die angesprochenen Kunden entscheiden sich beim Erstkontakt, ob sie Werbeanrufe und -Mails akzeptieren (opt out).

Nahezu alle europäischen Länder haben die letztere, liberalere Möglichkeit in nationales Recht umgesetzt. Sehr zum Ärger der Call-Center-Branche wählten Deutschland und Österreich den ersteren, restriktiveren Weg. Damit, so der Vorwurf der Verbände, werde eine ganze Branche für die Verfehlungen einzelner schwarzer Schafe in Sippenhaft genommen. "Die Bundesregierung treibt die Betreiber in Länder mit liberalerem Recht", schimpfte DDV-Funktionär Martin.

Die Gesetzesänderung wiegt umso schwerer, als sich das Aufgabengebiet der meisten Call-Center in den vergangenen Jahren stark verändert hat. Wurden die Telefondienste vormals hauptsächlich als Hotline zur Kundenbetreuung für eingehende Anrufe (Inbound) unterhalten, sind sie heute zum wichtigen Vertriebskanal geworden, indem die Agenten aktiv via Telefon Neukunden werben (Outbound).


Vertriebsausgaben wachsen

Exemplarisch für diesen Wandel stehen die drei Gewinner des diesjährigen von Management Circle ausgelobten CAT-Award, mit dem der beste Call-Center-Manager 2004 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgezeichnet wird. Stefan Leitmeier, deutscher Preisträger und Bereichsleiter Customer Interaction Center der DAB Bank, baute die interne Kontaktzentrale komplett um. Heute leistet sie nicht nur Beschwerde-Management, sondern verkauft Bankprodukte. Eine ähnliche Aufgabe bewältigte Daniel Hügli, Leiter des Call-Centers der Luzerner Kantonalbank aus der Schweiz. Allein im vergangenen Jahr sprachen seine Agenten 5000 Neukunden an. Last, but not least verpasste Milosch Godina vom österreichischen Mobilfunkbetreiber One dem internen Call-Center in einem Balance-Scorecard-Projekt ein Kennzahlenkorsett, um Kundenansprache effizienter zu gestalten.

Wenig Outsourcing-Projekte

Wie viele interne Kommunikationsdienstleister mussten die Manager auch ihre Call-Center gegen Widerstände in ihrem Haus als Vertriebskanal etablieren. Vor allem die Bankenbranche hat der Telefonakquise in den vergangenen Jahren kaum Beachtung geschenkt. Im Jahr 2002 waren lediglich 28 Prozent aller deutschen Anrufzentralen in Banken verankert. Mit der Branchenkrise stieg jedoch die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten, so dass die Finanzinstitute im vergangenen Jahr mit anteiligen 58 Prozent zum wichtigsten Arbeitgeber von Call-Center-Agenten avancierten.

Techniktrends

• Virtuelles Call-Center: Mittels IP-Technik lassen sich verschiedene Standorte, auch kleinster Einheiten, als ein einziges virtuelles Call-Center organisieren. Das erlaubt den flexiblen Personaleinsatz.

• Multi-Channel Contact Center: Der Kontakt erfolgt via herkömmliches Telefon, Internet und Voice over IP, E-Mail, Fax, Internet-Chat und zum Teil auch Video - je nachdem, wie es der Kunde wünscht. Die Herausforderung für die Betreiber ist die schnelle zuverlässige Reaktion auf Anfragen sowie die Aufzeichnung und Dokumentation der unterschiedlichen Kommunikationskanäle.

• Outbound-Dialing: Wählautomaten stellen Verbindungen für Agenten bereits dann her, wenn die noch im vorhergehenden Kundengespräche sind. Algorithmen berechnen die Restdauer des Gesprächs, so dass der Kundenbetreuer nahtlos das nächste Gespräch beginnen kann.

Zumeist wurden interne Abteilungen installiert, in der noch jungen Branche hat sich das Outsourcing noch nicht etabliert. Die Hälfte aller bekannten Kommunikationszentralen waren im vergangenen Jahr interne Organisationen, weitere 32 Prozent wurden als konzerngebundene Einheiten betrieben, die auch Aufträge im Drittmarktgeschäft erledigen. Dazu zählen etwa Provider wie Quelle Contact, Deutsche Bahn Dialog und Bosch Communication Center. Lediglich 18 Prozent aller Call-Center waren zuletzt Einrichtungen von spezialisierten Dienstleistern.

Den Betrieb lagern die Unternehmen ungern aus, weil die Kundenbetreuung und -gewinnung zum Kerngeschäft zählt. Unter dem Kostendruck der vergangenen Jahre überdenken viele Unternehmen allerdings ihre Strategie und binden zunehmend externe Anbieter in ihr Serviceportfolio ein. Belege für diesen Trend finden sich bei einem Blick auf die Marktstrukturen des Jahres 2001: Damals wurden noch 78 Prozent aller Call-Center intern betrieben, Dienstleister stellten nur zehn Prozent aller Installationen. Der Rest entfiel auf Mischbetrieb mit internen und externen Aufgaben.

Doch selten geben Unternehmen die Verantwortung vollständig außer Haus: Die Betreuung der regelmäßigen und prominenten Kunden erledigt beim Autovermieter Europcar beispielsweise ausschließlich das interne Team, dessen Mitarbeiter zudem Qualitätsmaßstab für die externen Anbieter sind. Das Massengeschäft bewältigen vier oder fünf Dienstleister, deren Call-Center wie Kaskaden hintereinander geschaltet sind. Wenn die Ressourcen des ersten nicht mehr ausreichen, werden Anrufe zum nächsten vermittelt. Die Reihenfolge ändert sich dann, wenn ein Dienstleister besser oder billiger als die Konkurrenz wird. Europcar legt bei diesem Verfahren großen Wert auf Transparenz und auf ein ausgefeiltes Dienstleistungs-Management, denn hohe Fluktuation unter den Partnern ist problematisch. "Es dauert etwa ein halbes Jahr, bis ein Agent gut eingearbeitet ist", erklärte Ralf von Einem, Leiter der Call-Center bei Europcar.

Mit Benchmarks und technischen Neuerungen (siehe Kasten "Techniktrends") schafft die Branche effiziente Strukturen und konnte bislang die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland im großen Stil vermeiden. Zugute kommt dem Markt, dass deutsch sprechende Mitarbeiter im großen Umfang nur im Inland und in den Nachbarländern zu finden sind. "Das Offshoring wird oft diskutiert", räumte CCF-Präsident Stockmann ein, "es betrifft aber nicht die gesamte Branche." Machbar ist es nur für internationale Konzerne, die deutschsprachige Agenten für ihre Call-Center in entfernten Ländern anwerben können.

Toshiba lässt deutsche Kunden etwa von Istanbul aus betreuen. AOL beantwortet eingehende E-Mails von Argentinien aus, allerdings nicht aus Kostengründen. "Wir lagern nur ins Ausland aus, wenn die Qualität stimmt", schilderte Thomas Hohlfeld, Vice President Member Services AOL Deutschland. "Die deutschsprachigen Agenten in Argentinien beantwortet die E-Mails fehlerfrei und damit besser als unsere Mitarbeiter in Deutschland." Eine Gefahr für den Arbeitsplatzzuwachs sieht die Branche nur, wenn keine qualifizierten Mitarbeiter mehr zu haben sind. Auch deshalb drängen die Verbandsvertreter auf Zertifizierungs- und Ausbildungsprogramme.