G.fast macht Kupferkabel wieder attraktiv

Breitband für alle per Telefonkabel?

04.11.2015 von Stefaan Vanhastel
Tausende Kilometer Kupferkabel sind in Deutschland verbaut. Sie bilden das "Endstück" der letzten Meile im weltweiten Kommunikationsnetz und verbinden Millionen Haushalte und Firmen mit dem Internet. Dank technischer Verbesserungen sind mittlerweile Verbindungen von bis zu 100 MBit/s möglich. Neuste Technik verspricht gar Gigabit-Tempo.
Mit G.fast können vom Verteiler bis zum Endkunden Bandbreiten von über 100 Mbit/s über Kupferkabel gefahren werden.
Foto: Deutsche Telekom

Für TV on Demand, ruckelfreies Video-Gaming oder 3D-TV sind gerade in Mehrfamilienhäusern hohe Übertragungskapazitäten nötig. Anbieter, die Haushalte mit schnellem Superbreitband-Internet versorgen wollten, mussten Glasfaser legen. Dieses in Fachkreisen "Fiber to the Home" genannte (FTTH)-Modell ist aufwändig und langwierig zu installieren. Jeden Haushalt mit Glasfaser zu versorgen, braucht sehr viel Zeit. Denn bis alle Haushalte, jedes Gebäude, jeder Bauernhof und jedes Bergdorf ans Glasfaserkabelnetz angeschlossen sind, können noch zehn bis 20 Jahre vergehen. Dafür muss buchstäblich überall neues Glasfaserkabel vergraben werden. Kein Endanwender möchte aber zehn Jahre oder noch länger warten - er will mehr Bandbreite - am besten sofort. Die Vernetzung vom Kabelverzweiger bis ins Haus bleibt deshalb für Millionen Konsumenten ein Schwachpunkt.

Mit G.fast, einer Technologie, die erst Ende 2014 standardisiert wurde, tritt jetzt ein "Game-Changer" auf die Bühne. Denn sie ermöglicht Datenübertragungen über traditionelle Kupferkabel von 200 MBit/s bis zu 1 GBit/s. Das hat bisher in der Praxis nur die Glasfaser geschafft. Diensteanbieter können so kostengünstig Fiber-to-the-Home (FTTH)-Netze beschleunigen. G.fast erreicht auf kurzen Distanzen Übertragungsraten zwischen 150 MBit/s und rund 1 GBit/s über herkömmliche Kupfer-Telefonleitungen.

Geschwindigkeitsrekorde bei Bell Labs

Teure Baggerarbeiten, um Glasfasern auf den letzten Metern zu verlegen, entfallen bei G.fast.
Foto: Mnet

Und es geht noch weiter! Der Prototyp einer Weiterentwicklung von Bell Labs namens XG-FAST hat sogar eine Weltrekordgeschwindigkeit von 10 Gbit/s über eine Entfernung von 30 Metern mit zwei Kupferdoppeladern geschafft. Unter den realen Bedingungen eines ‚Glasfaser-zum-Verteilpunkt-Anschlusses’ (fiber-to-the-distribution-point, FTTdp) erzielte der Prototyp über eine Distanz von 70 Metern Übertragungsgeschwindigkeiten von aggregiert zwei Gbit/s und symmetrisch einem Gbit/s auf einer Kupferdoppelader. Dieses Testumfeld bestätigtet einen wichtigsten Anwendungsfall von XG-FAST: Bei einer Entfernung von 70 Metern können Diensteanbieter die vorhandene Kupferinfrastruktur nutzen, um Geschwindigkeiten von einem Gbit/s (symmetrisch) ins Haus oder die Wohnung zu bringen.

Bell Labs erzielte diese Rekordgeschwindigkeiten mit Frequenzen von bis zu 500MHz, was wesentlich höher ist als die jüngst von der ITU für den G.fast-Standard verabschiedeten Frequenzbereiche. Die Feldversuche bestätigen aber, dass die Grenzen von Breitband über Kupferkabel immer noch weiter hinausgeschoben werden können und dass hybride Glasfaser/Kupfer-Infrastrukturen vollständige Glasfaserimplementierungen sogar noch einige Jahrzehnte lang komplettieren / ergänzen können. Konkret können Diensteanbieter mit G.fast (und später gegebenenfalls mit XG-FAST) Glasfaser-Geschwindigkeiten anbieten, ohne physisch Glasfaser im gesamten Gebäude verbauen zu müssen.

Kupferkabel mit Gigabit-Speed

Mit Fttdp-Installationen lassen sich Breitbandnetze bauen, ohne Glasfaser bis zum Haus zu verlegen.
Foto: FttH Council Europe

Der Aufbau einer Glasfaserinfrastruktur ist aufwändig. Das verzögert bislang den umfassenden FTTH-Ausbau. Das Ausheben ganzer Straßenzüge und Plätze ebenso wie die Neuverkabelung eines jeden Haushalts stellt für Dienstebetreiber eine enorme Herausforderung dar. Aktuell begegnen sie ihr, indem sie ein Glasfasernetz dort errichten, wo eine entsprechende Nachfrage dies kommerziell lohnenswert erscheinen lässt. Gleichzeitig beschleunigt sich aber weiter die Nachfrage nach ultraschnellen breitbandigen Netzverbindungen, angetrieben durch neue Applikationen, verstärkten Wettbewerb und ehrgeizige Breitbandausbau-Initiativen der Bundesregierung. Vor diesem Hintergrund werden nun auch Anbieter von Microtrenching in Deutschland aktiv. Sie wollen Glasfaser per Frässchnitt in Bürgersteige oder in den Straßenbelag legen - was Zeit- und Kostenersparnis gegenüber tieferen Grabungen bedeutet. Ob dieses Verfahren sich durchsetzt und von den Kommunen unterstützt wird, bleibt abzuwarten.

Mehrere europäische Diensteanbieter evaluieren aktuell Gigabit-Verbindungen über G.fast oder haben sogar schon erste Pilotanwendungen im Betrieb. Mit G.fast können Diensteanbieter Glasfaser bis hin zu kleinen DSLAMs oder Netzknoten an Mikro-Sites bringen, die an der letzten Verteilstation vor dem Kundengerät installiert sind. Die kleinen DSLAMs, kompakte Verteileinheiten, sind in einer Vielzahl von Innen- und Außen-Standorten flexibel aufstellbar. Jede Einheit bedient typischerweise zwischen einem und sechzehn Endkunden und ist über Kupferkabel von circa 100 Metern mit den Kundengeräten verbunden.

Die kurzen Distanzen, die für FTTdp-Installationen nötig sind, bieten ideale Voraussetzungen für Ultra-Breitband-Geschwindigkeiten. So nutzt vektorisiertes VDSL2 beispielsweise ein Spektrum von 17 MHz und liefert eine aggregierte Datenübertragungsgeschwindigkeit von bis zu 150 Mbit/s auf jeder Leitung. Das breitere von G.fast genutzte Spektrum (bis zu 106 MHz in Phase 1 und 212 MHz in Phase 2) ermöglicht sogar aggregierte Übertragungsgeschwindigkeiten von 500 Mbit/s bis zu 1 Gbit/s innerhalb der optimalen Reichweite. Wie die Tests von Bell Labs gezeigt haben, birgt die Nutzung noch höherer Frequenzbereiche das Potenzial noch höherer Geschwindigkeiten.

Die breiten Frequenzbänder können aber nur über kurze Entfernungen effektiv genutzt werden. Bei langen Distanzen von mehreren hundert Metern ist die die Dämpfung des Kupfers zu stark, um hohe Frequenzen, wie sie für G.fast benutzt werden, zu unterstützen. Daher bleiben VDSL2-Vectoring und der neue Standard "Vectoring Plus" die Technologien der Wahl für längere Distanzen.

Vectoring bleibt wichtig

Um Übersprechen in den Telefonkabel zu verhindern, benötigt auch G.fast Vectoring.
Foto: AVM

Eine Schlüsselrolle wird Vectoring, für G.fast als Vectoring 2.0 bezeichnet, dann spielen, wenn die Diensteanbieter alle Vorzüge von G.fast nutzen wollen. Die hohen Frequenzen, die G.fast benutzt, erzeugen ein starkes Übersprechen zwischen benachbarten Kupferkabelpaaren. Diese Übersprechdämpfung nimmt viel von den G.fast-Kapazitätszugewinnen weg. Deshalb muss Vectoring verwendet werden, um Übersprecheffekte zu unterbinden und das volle Potenzial auf jeder Leitung auszuschöpfen.

Vielfältige Anwendungsfelder

Für stationäre Anwendungen zuhause bietet es sich an, G.fast von Netzknoten, die sich nahe beim Endanwender befinden, bereitzustellen. Dank dieser Nähe können Provider Glasfaser tiefer in das Netz einbringen und gleichzeitig kurze Kupferkabelstrecken beibehalten. Die große Nähe hat einen weiteren Vorteil: Diensteanbieter können sich damit die Rückspeise-Funktion von G.fast-Netzknoten zunutze machen. Diese Funktionalität erlaubt es den Einheiten, sich mit Strom von den Kundenendgeräten zu versorgen, und zwar über die gleiche Telefonleitung die das G.fast-Signal transportiert. Diensteanbieter vermeiden es so, sich mit Versorgungsunternehmen abzustimmen und Straßen aufzureißen, um Stromkabel zu verlegen.

Höhere Übertragungsgeschwindigkeiten in Einfamilienhäusern und Mietshäusern verbessern auch die technischen Bedingungen für gemanagte Fernsehangebote über IP wie etwa Video-On-Demand. G.fast ergänzt und beschleunigt so den FTTH-Ausbau, da die Technologie mehrere parallele Video-Streams und Aufzeichnungen unterstützt.

Herausforderungen

Die Einführung von G.fast bringt indes auch neue Herausforderungen. So ist etwa sicherzustellen, dass G.fast-Installationen mit analogem UKW-Radio, Digitalradio und VDSL2-Diensten koexistieren. G.fast erleichert diese Koexistenz durch eine sehr variabel konfigurierbare Einstellmaske für die spektrale Leistungsdichte (power spectral density (PSD)). Diensteanbieter können die PSD-Blende nutzen, um Frequenzen auszuschließen, die potenziell jeden der benachbarten Dienste beeinträchtigen könnten. Für VDSL2 können Provider eine Startfrequenz konfigurieren, mit der sie die zwei Technologien spektral trennen und so ein Übersprechen verhindern können.

G.fast in den Startblöcken

Die ersten G.fast-Chipsätze sind nunmehr einsatzbereit und die Telekom Austria hat einen groß angelegten Feldversuch in Österreich gestartet. Die ersten kommerziellen G.fast-Produkte dürften spätestens Anfang 2016 auf den Markt kommen. Welche Empfehlungen leiten sich daraus für Diensteanbieter ab? Sie sollten G.fast bei ihren Glasfaserausbau-Plänen auf dem Schirm haben. G.fast wird ihnen helfen, FTTH schneller auszurollen - und das, ohne dabei jedes einzelne Haus, ob Einfamilienhaus oder mehrgeschossiges Wohnhaus, neu verkabeln zu müssen.