Branchenexperten und Generalisten

02.06.2006
Frank Naujoks ist Senior Consultant und ERP-Spezialist beim Markforschungs- und Beratungsunternehmen IDC

In deutschen Großunternehmen ist SAP das dominierende ERP-System. Gibt es überhaupt Konkurrenz zu SAP?

SAP ist hier unbestrittener Marktführer. Alle DAX-30-Unternehmen und gut 90 Prozent der MDAX Unternehmen setzen SAP ein. Weltweit ist Oracle, das sich durch den Zukauf von J. D. Edwards und PeopleSoft verstärkt hat, der wichtigste Konkurrent von SAP. In Deutschland ist Oracle zwar im Datenbankbereich ganz gut vertreten, die ERPSoftware ist aber eher selten.

Wie sieht es mit SAP für Mittelständler aus?

Für kleine und mittelständische Unternehmen spielt die Branchenausrichtung eine wichtige Rolle. Kleinere Unternehmen sind im Hinblick auf SAP oft skeptisch, weil sie die Mischung aus den Kosten und der vermeintlich komplexen Installation abschreckt. Denn der Aufwand für Implementation und Integration ist nicht zwangsläufig wesentlich kleiner, wenn nur 20 anstatt 200 oder 500 Arbeitsplätze eingerichtet werden müssen. Wie sieht der Anbietermarkt aus? Der ist relativ schwer überschaubar. Ich schätze, dass es 120 bis 150 ERP-Anbieter gibt. Die Spanne reicht von einem Systemhaus, das ein paar Dutzend Installationen hat, bis zu 16 000 Installationen, die Microsoft mit den Produkten Axapta und Navision vorweisen kann. Bäurer etwa ist im Bereich Fertigung, Produktion, Handel mit etwa 1200 Installationen vertreten, aber auch der Newcomer Semiramis hat schon zweibis dreihundert Kunden gewonnen.

Semiramis wurde völlig neu entwickelt. Ist das noch sinnvoll, wenn eine Vielzahl schon etablierter Systeme am Markt erhältlich sind?

Das ist gegenwärtig fast ein Trend. SoftM etwa hat zusammen mit Bison Greenax neu entwickelt und gerade gelauncht. Viele der Systeme sind ja von den Ursprüngen her schon 20 und mehr Jahre alt – irgendwann ist ein Technologie-Switch unumgänglich. Dieser Schritt steht noch vielen ERP-Unternehmen bevor.

Ist der ERP-Markt nicht längst aufgeteilt?

Bei den Großunternehmen ist das Feld weitgehend abgesteckt. Der Mittelstand ist indes weiterhin umkämpft. Ich schätze, dass zurzeit noch etwa ein Drittel der Unternehmen Eigenentwicklungen für die betriebswirtschaftlichen Anwendungen einsetzt. Das können auch ehemalige Standardsysteme sein, die sich nach Anpassungen und Addons so weit vom Standard entfernt haben, dass sich die Unternehmen dadurch von Release- Wechseln abgekoppelt haben. Es gibt also durchaus noch Raum für Neulizenzgeschäft, aber ein zweistelliges Wachstumist für den ERP-Markt nicht mehr zu erwarten.

Also ein sehr begrenztes Potenzial?

Die Wachstumsraten liegen im unteren einstelligen Bereich. Da passiert nicht mehr so viel. Deshalb investieren ERP-Anbieter vermehrt in angrenzende Bereiche wie BI, SCM oder CRM. Da gibt es noch unerschlossenes Potenzial, und daraus generieren die Anbieter auch den größten Teil des Wachstums.

Lohnt es sich für die kleineren Anbieter, die komplexen Funktionen selbst zu entwickeln?

Die Anbieter haben drei Möglichkeiten. Entweder sie entwickeln selbst, mit dem Vorteil eines einheitlichen Look-and-Feel und einer besseren Datenintegration. Alternativ dazu kaufen viele Unternehmen Module wie SCM, CRM, BI oder sogar die FiBu hinzu und binden sie als OEM-Produkte in das eigene System ein. Oder sie nutzen ihr über Jahre gewonnenes Branchenwissen und bauen Branchen-Templates auf Basis von beispielsweise Microsoft- oder Sage-ERP-Produkten. Das ist nicht immer klar abgrenzbar – manche Systemen enthalten mehrere der Komponenten.

Welche Rolle spielen offene Architekturen und Schnittstellen für ERP-Anbieter?

Gerade im Zuge von SOA-Architekturen spielt die Offenheit und Integrierbarkeit von Systemen eine zunehmende Rolle. Die App- Exchange-Initiative von Salesforce etwa zielt darauf, Module und Produkte verschiedener Hersteller per SOA zu verbinden. Ob das dann hinterher so funktioniert wie man das am Reißbrett geplant hat, und ob und in welchem Umfang die Anwender das dann tatsächlich nutzen, kann man noch nicht absehen.

Worauf sollte man bei der Auswahl der ERPSoftware achten?

Das kann man nur im Einzelfall beurteilen. Grundsätzlich geht es darum, wie viele der benötigten Funktionen bietet das System, wie viel muss ich selbst daran machen. Hundert Prozent Abdeckung gibt es meist nicht; aber das ist auch nicht immer gefragt: Oft macht ja die Abweichung vom Branchenstandard das Alleinstellungsmerkmal eines Unternehmens aus. Anwender sollten jedoch auf die Verlässlichkeit und die Perspektiven des Anbieters achten. Ein Unternehmen, bei dem der Gerichtsvollzieher ein- und ausgeht, ist vielleicht nicht die richtige Wahl, wenn es um kritische Unternehmensanwendungen geht. Aber vor Überraschungen ist man nie sicher. Selbst Große wie Siebel oder PeopleSoft werden gelegentlich geschluckt. Dann kann man nur hoffen, dass der neue Besitzer weiterhin die Software wartet oder vernünftige Migrationspfade anbietet.