Bonn

Bonn: Alles wird anders - aber besser

16.05.2002 von Gabriele Müller
Den Abschied von den Regierenden und allen, die zu ihnen gehörten, hat Bonn gut verkraftet. Die einstige Hauptstadt ist nicht in den rheinischen Dornröschenschlaf verfallen, den mancher prophezeit hatte.

Weg mit Bonn, her mit Berlin. Dieser historische Beschluss fiel vor elf Jahren. Heute hat sich der damalige Schock darüber, nicht mehr Bundeshauptstadt zu sein, längst gelegt. Die Wirtschaftszahlen sehen besser aus denn je, davon zeugen schon eine Arbeitslosenquote weit unter dem Landesdurchschnitt, ein Zuwachs an Stellen und Beschäftigten sowie ein Plus an Firmengründungen.

Heimlich und leise hat die Stadt im Schatten der großen Rivalinnen Köln und Düsseldorf ihr Rennen längst gemacht. Vielleicht beschaulicher als die Multikulti-Metropole mit dem Dom als Wahrzeichen. Vielleicht auch weniger Aufsehen erregend als die Stadt des Business, der Banken und der Mode. Dafür aber zielstrebig. Mit unbürokratischer Geschwindigkeit hat sich ein Wandel von der Beamten- hin zur Dienstleistungsstadt vollzogen. Knapp 90 Prozent aller Menschen, die hier arbeiten, tun das in dieser Branche - erheblich mehr als zur Zeit des Umzugsbeschlusses.

Pink und gelb dominieren

Rund 15 000 Arbeitsplätze, so Schätzungen, sind durch den Umzug weggefallen - eine Geisterstadt ist Bonn deshalb noch lange nicht. Auch wenn sich im ehemaligen Bundesviertel auf einem Dreißigstel der Stadtfläche ein Fünftel aller Arbeitsplätze befanden, waren bereits 1999 rund 90 Prozent der alten Jobs durch neue ersetzt worden. Auch die Gebäude sind längst neu genutzt: Der ehemalige Plenarbereich des Deutschen Bundestages soll zum Beispiel zu einem Kongresszentrum nach UN-Standard noch weiter ausgebaut werden.

Heute residiert in Bonn unübersehbar die Telekom AG allein mit neun Unternehmen. Dazu zählen T-Online, T-Mobile, T-Systems und T-Com. Rund 10 000 Menschen arbeiten für den international in 34 Ländern der Welt tätigen Konzern und seine Töchter in Bonn. Auch die Deutsche Post World Net hat hier ihren Hauptsitz. Schon jetzt ist die Logistikbranche mit ebenfalls rund 10 000 Mitarbeitern, darunter mehr als die Hälfte bei der Post und ihren Tochtergesellschaften, stark vertreten. Sie birgt weiteres Wachstumspotenzial, wenn es dem gelben Konzern gelingt, sein erklärtes Ziel zu erreichen, international der Logistiker Nummer eins zu werden.

Wenn auch das pinkfarbene T und das schwarze Posthorn auf gelbem Grund in der Stadt überall präsent sind und mit ihnen der Wandel vom Staatsunternehmen zu weltweit agierenden Firmenimperien sichtbar wird, ist ein wenig staatliche Aufsicht geblieben: Seit 1998 hat die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post ein wachsames Auge auf die Aktivitäten der beiden Unternehmen in unmittelbarer Nähe.

IT als Wachstumsmotor

Neben Post und Telekom haben noch andere IT- und TK-Firmen in Bonn ihren Hauptsitz oder eine Niederlassung: Die Liste reicht von Lucent Technologies, Comma Soft und Nortel Networks über Trend Micro und IBM bis hin zu Ericsson. Internationale Firmen sorgen auch dafür, dass ein Großteil der Beschäftigten nicht nur aus dem Umland, sondern aus der ganzen Republik und aus dem Ausland stammt.

Tatsächlich ist rund die Hälfte aller Arbeitsplätze mit "Bonnern" besetzt. Das kommt den Bestrebungen der städtischen Marketing-Strategen entgegen, die ehemalige Bundeshauptstadt auch als internationalen Kongress-Standort und touristische Destination bekannt zu machen. Von Monokultur kann also keine Rede sein, zumal eine eher mittelständisch geprägte Wirtschaft für Bonn und die Region Rhein-Sieg charakteristisch ist. Von den rund 11 000 Betrieben innerhalb der Stadtgrenzen beschäftigen nur 35 mehr als 500 Mitarbeiter.

 

Stephan Wernke:" Bonn entwickelt ein eigenständiges IT-Profil, um sich von Köln abzugrenzen."

Ungeachtet aller Krisen bleibt die IT-Branche ein Wachstumsmotor der Region, in der sich viele kleinere Hightech-Firmen niederließen. So zählte die Industrie- und Handelskammer (IHK) für das Jahr 2000 462 neue Firmen mit IT-Schwerpunkt, die sich in Bonn ansiedelten, und 129 Unternehmen, die neu ins Handelsregister eingetragen wurden. Dabei fällt auf, dass etliche Jungunternehmen aus Köln und Düsseldorf zugewandert sind.

"Bonn ist für junge Leute allgemein und für junge Firmen insbesondere durchaus attraktiv. Die Mieten und Lebenshaltungskosten sind hier niedriger", erklärt Stephan Wermke, Leiter des Multimedia Support Center Bonn (msc), der Multimedia-Firmen berät. Zur Attraktivität tragen auch eine Universität und das rege studentische Leben mitten im Zentrum bei. Gute Verkehrsverbindungen in alle Richtungen, zwei Flughäfen sowie die beiden Großstädte Köln und Düsseldorf in unmittelbarer Nähe machen die Ex-Bundeshauptstadt interessant.

Förderung für Gründer

Um ihre Gründerquote noch weiter zu steigern, wollen sich die Wirtschaftsförderer auch in Zukunft etwas einfallen lassen und haben die Gründungsförderung zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit erklärt. Immerhin gibt es noch aus dem Berlin-Bonn-Ausgleich ein Förderprogramm, das sich speziell an forschungs- und entwicklungsorientierte Gründer und Unternehmen richtet. Es wird von der Deutschen Ausgleichsbank ausgegeben und bietet mit einem Zinssatz von 2,5 Prozent und einem maximalen Förderbetrag von 250 000 Euro interessante Konditionen für so manchen Unternehmer in spe.

Weniger Business-Pläne

Aber die junge Szene verlässt sich nicht nur auf staatliche und städtische Hilfestellung. Sie hilft sich selber, etwa bei der Bonner Startup-Runde des msc, bei der sich junge Firmen in regelmäßigen Abständen zu aktuellen Themen austauschen. Hier knüpft Wermke nicht nur neue Kontakte, er hat das Ohr auch am Gründerpuls: "Natürlich ist die Zahl der eingereichten Businesspläne stark zurückgegangen. Aber wir haben den Eindruck, dass es in der IT-Szene langsam wieder bergauf geht."

Seiner Ansicht nach entwickelt sich in Bonn ein durchaus eigenständiges Profil. "In Köln sitzen natürlich viel junge, kreative Firmen, die mit Multimedia, Film und Fernsehen zu tun haben. Hier bei uns sammeln sich eher die Softwareentwickler, Datenbank- und Netzwerkspezialisten." Um die kümmern sich auch gleich zwei Initiativen: Das IT-Forum Bonn/Rhein-Sieg, an dem die örtliche IHK, das Arbeitsamt und das msc beteiligt sind, versteht sich als Interessenvertretung der regionalen IT-Unternehmen.

Regelmäßige Treffen bieten die Möglichkeit zur Information und zum Austausch. Ab Mai wird über das Netz dann auch eine Datenbank mit rund 1200 Firmen und ihren Arbeitsschwerpunkten anzuklicken sein, was die Suche nach Kooperationspartnern oder speziellen Dienstleistern erleichtern soll. In der Brancheninitiative TeleBonn sind etwa 800 Unternehmen der IT-Branche engagiert, die für rund 25 000 Arbeitsplätze in der Region stehen. Das beweist: Informations- und Telekommunikationstechnik haben hier nicht nur einen großen Stellenwert, sie sind auch zum Motor der Entwicklung in der Region geworden.

Zusätzlich will sich die Stadt, in der jahrzehntelang große Politik gemacht wurde, ein zweites Standbein aufbauen und als internationaler Wissenschaftsstandort etablieren. Rund 1,6 Milliarden Mark aus dem Bonn-Berlin-Ausgleich sind dazu an den Rhein geflossen. Den gewachsenen Kern bilden die Universität und die beiden Max-Planck-Institute.

Dazu kommen zwei neu gegründete Fachhochschulen und etliche andere Forschungseinrichtungen, darunter die ehemalige GMD Forschungszentrum Informationstechnik GmbH, die heute zur Fraunhofer-Gesellschaft gehört, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die Forschungsgesellschaft für angewandte Naturwissenschaften (FGAN) und das Center of Advanced European Studies and Research (Caesar), das Spitzenforschung auf internationalem Niveau betreiben will.

Arbeitsfelder dieser allein mit rund 750 Millionen Mark geförderten privatrechtlichen Stiftung sind die Schnittstellen zwischen Physik, Chemie, Mathematik, Biologie, Medizin und Informatik. Dazu gehören Projekte in der Nanotechnologie ebenso wie in der Bioinformatik. Ob Mikrosystemtechnik oder Biosensoren, hier wird an Projekten gearbeitet, die später in die industrielle Fertigung eingehen. Erklärtes Ziel von Caesar ist die Ausgründung von Unternehmen, die weitere Arbeitsplätze in der Region schaffen sollen.