Wer im Jahr 2000 mit der Green Card nach Deutschland kam, musste noch eine mit 66 000 Euro dotierte Stelle vorweisen können, um eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Künftig müssen IT-Spezialisten und Ingenieure aus dem Nicht-EU-Ausland mit der vom Bundestag beschlossenen "Blue Card" nur 33 000 Euro im Jahr verdienen, um ein Aufenthaltsrecht für zunächst drei Jahre zu erhalten. Für andere Berufe, in denen nicht so hoher Fachkräftemangel herrscht, liegt die Mindestverdienstgrenze bei 44 000 Euro. Ein weiterer Vorteil für Arbeitgeber ist der Wegfall der Vorrangprüfung: Sie müssen nicht mehr nachweisen, dass kein passender Bewerber aus dem EU-Raum für die jeweilige Stelle verfügbar war.
Hat der Inhaber der Blue Card nach drei Jahren noch einen Job, wird ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für sich und seine Familie erteilt. Spricht er gut deutsch, bekommt er die Erlaubnis bereits nach zwei Jahren. Neu ist auch das so genannte Schnuppervisum: Ausländische Spezialisten können für ein halbes Jahr zur Jobsuche nach Deutschland kommen. Ausländische Studenten werden nach ihrem Abschluss an einer deutschen Hochschule künftig 18 statt bisher zwölf Monate bis zum ersten Jobantritt eingeräumt.
Heilmittel gegen Fachkräftemangel oder Einladung zum Lohndumping?
Das Echo auf die Blue Card ist zweigeteilt. Der Branchenverband Bitkom, der schon seit langem für niedrigere Verdienstgrenzen plädiert, sieht in dem Beschluss des Bundestages einen "echten Durchbruch im Kampf gegen den Fachkräftemangel", so Bitkom-Präsident Professor Dieter Kempf. "Insgesamt stellt sich Deutschland mit den neuen Regelungen im Wettbewerb der Hightech-Länder erheblich attraktiver für potenzielle Zuwanderer auf als bisher." So sei positiv, dass Ehepartner der Experten künftig bei der Einreise noch keine deutschen Sprachkenntnisse nachweisen müssen.
Die Gewerkschaften indes kritisieren die neuen Einkommensgrenzen als Einladung zum Lohndumping. Zum Vergleich: Ein deutscher Hochschulabsolvent, der in die IT einsteigt, kann heute mit einem Anfangsgehalt von durchschnittlich 42.000 Euro rechnen, erfahrene Softwareentwickler liegen bei etwa 60.000 Euro im Jahr. Überraschende Kritik kam auch aus den Reihen der CSU, in Person der bayerischen Arbeitsministerin Christine Haderthauer: "Solange wir die Potenziale von Frauen, älteren Arbeitnehmern und den bei uns lebenden Menschen mit Migrationshintergrund weiter so wenig nutzen, setzen wir mit mehr Zuwanderung die falschen Signale. Solange uns gut ausgebildete Migranten frustriert den Rücken kehren, ist der Ruf nach ,frischen’ ausländischen Fachkräften zynisch", schrieb sie in der Bild am Sonntag.
Die Bilanz der Green Card war mager
Ob die Blue Card wirklich viele IT-Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland lockt und damit die Erwartung der Arbeitgeber erfüllt, bleibt abzuwarten. Denn auch die Bilanz der Green Card war mäßig: Binnen vier Jahren wurden damals 18.000 Green Cards an ausländische IT-Spezialisten erteilt, darunter nicht einmal 4000 an die umworbenen indischen IT-Profis. Die meisten der Green-Card-Inhaber verloren nach dem Platzen der Internetblase ihren Job und kehrten wieder in ihre Heimat zurück.
Für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sind jetzt die Arbeitgeber gefordert, sich um die Hochqualifizierten auch zu bemühen. Bitkom-Präsident Kempf sagte, es sei höchste Zeit, im Ausland für den Arbeitsstandort Deutschland zu werben: "Deutschland hat viel zu bieten: eine starke Wirtschaft, eine freie Gesellschaft und hohe Sicherheit." Ein zentrales Zuwanderungsportal im Internet, das der Bitkom seit langem fordere, sei unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums bereits in Arbeit. Zusätzlich sollten zu diesem Zweck Botschaften, Auslandshandelskammern, Wirtschaftsverbände sowie Institutionen wie der DAAD oder die Goethe-Institute zusammenarbeiten.
Martin Vesterling, Geschäftsführer der Vesterling Personalberatung, fordert auch ein Umdenken bei den Arbeitgebern: Deutsche Personalleiter sollten sich mental für die ausländischen Spezialisten öffnen und beispielsweise ihre oft hohen Anforderungen an die deutschen Sprachkenntnisse überdenken. So müsse ein IT-Administrator nicht unbedingt über stilsichere Deutschkenntnisse verfügen.