Fachkräftemangel

Blue Card nur Tropfen auf heißen Stein

10.09.2013 von Andrea König
Die Blue Card hat Unternehmen längst nicht die erhoffte Erleichterung bei der Rekrutierung von Fachkräften gebracht. Das liegt an bürokratischen Hürden, aber auch an den Unternehmen selbst: Sie begegnen den Kandidaten oft mit überzogenen Erwartungen.

"Deutschland braucht Zuwanderung, braucht hochqualifizierte Fachkräfte gerade in den Hightech-Industrien", hieß es zur Einführung der Blue Card in Deutschland vor rund einem Jahr unter anderem vom Branchenverband Bitkom. Die Erwartungen waren hoch, durch die Blue Card qualifizierte Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland zu bringen. Dafür wurden unter anderem die Gehaltsschwellen gesenkt: Ausländische IT-Fachkräfte müssen für die Blue Card ein Jahresgehalt von mindestens 34.944 Euro vorweisen.

it-gehälter
Wer verdient wieviel in der ITK-Branche 2013?
Für ihre große Gehaltsstudie hat die IG Metall 31.923 Daten aus 146 Unternehmen der ITK-Branche untersucht. Schauen Sie, wieviel Softwareingenieure, IT-Berater, Projekt-manager, Mitarbeiter in Vertrieb, Support und Call-Center verdienen. Die angegebenen Gehälter beziehen sich auf eine 35-Stunden-Woche.
Was man in der Softwareentwicklung verdienen kann.
Die Jobfamilie der Softwareingenieure hat laut IG Metall-Studie den zweitstärksten Gehaltsrückgang zu verzeichnen. Im Schnitt sanken die Gehälter um 3,7 Prozent.
... verdient ein Softwareingenieur in der ersten Gehaltsstufe.
Zur Umrechnung auf die 40-Stundenwoche müssten die Werte um 14,3 Prozent erhöht werden.
... erhält ein Softwareingenieur in der zweiten Gehaltsstufe.
Für diese Position wird eine mehrjährige Berufserfahrung vorausgesetzt.
... bekommt ein Softwareingenieur der Gehaltsstufe III ...
... mit langjähriger Berufserfahrung. Diese Senior-Entwickler haben aber ähnlich wie ihre Kollegen mit geringerer Berufserfahrung mit 3800 Euro im Jahr noch einen relativ niedrigen variablen Vergütungsanteil.
... erhält ein Softwareingenieur in der Stufe IV ...
... mit langjähriger Berufserfahrung und umfassenden technischen Spezialkenntnissen. Der variable Vergütungsanteil beträgt 7.900 Euro. Das Minus im Vergleich zum Vorjahr 2,4 Prozent.
... verdient ein Leiter der Softwareentwicklung.
Der variable Anteil liegt bei 12.500 Euro. Die Gehälter der Entwicklungschefs sind mit einem leichten Zuwachs von 0,5 Prozent als einzige in der Jobfamilie gestiegen.
Was man in der Hardwareentwicklung verdienen kann.
Hier stiegen die Gehälter im Vergleich zum Vorjahr um 1,4 Prozent.
... erhält ein Hardwareentwickler.
Damit vedient er 13.000 Euro mehr als ein Junior-Hardwareentwickler.
... bekommt ein Senior-Entwickler im Bereich Hardware.
Damit liegt er gleichauf mit einem erfahrenen Softwareentwickler.
... verdient ein Gruppenleiter Hardwareentwicklung.
Der variable Anteil liegt bei 8.200 Euro.
... erhält ein Leiter Hardwareentwicklung.
Sein variabler Anteil liegt bei 13.100 Euro. Die Gehälter der Entwicklungschef sind mit einem Zuwachs von 5,7 Prozent am stärksten in der Jobfamilie gestiegen.
Was man im Rechenzentrum verdienen kann.
Hier stiegen die Gehälter im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 2,9 Prozent.
... erhält ein System Ingenieur der Gehaltsstufe I.
Der variable Anteil liegt bei 2.280 Euro im Jahr.
... bekommt ein Teamleiter im Rechenzentrum.
Damit verdient er jährlich rund 4000 Euro weniger als der Teamleiter in der Hardwareentwicklung.
... verdient ein Leiter des Rechenzentrums.
Sein variabler Anteil liegt bei 7000 Euro im Jahr. Mit diesem Jahresgehalt liegt der RZ-Leiter gleichauf mit seinen Managerkollegen aus Soft- und Hardwareentwicklung.
Was man in Servicetechnik und Support verdienen kann.
Hier stiegen die Gehälter im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozent.
... bekommt ein Servicetechniker.
Damit erhält er 1500 Euro mehr als ein Softwareentwickler am Anfang seiner Karriere.
... erhält ein Support-Techniker ...
... der über eine langjährige Berufserfahrung und Spezialkenntnisse verfügt. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs das Gehalt der Supporttechniker um 5,2 Prozent.
... verdienen Support-Spezialisten ...
... ,die oft auch Personalverantwortung haben. Der variable Anteil liegt bei 7000 Euro im Jahr.
... bekommt ein Leiter Kundendienst.
Mit diesem Jahresgehalt liegt er 8000 Euro niedriger als seine Managerkollegen aus Soft- und Hardwareentwicklung oder Rechenzentrum.
Was man in der Beratung verdienen kann.
Im Schnitt sanken die Gehälter um 2,5 Prozent.
... erhält ein Junior Berater.
Damit bekommt er 2000 Euro mehr als Einsteiger in der Softwareentwicklung.
... bekommt ein Berater.
Der variable Anteil liegt bei 4000 Euro im Jahr.
... verdient ein Senior Berater.
Der variable Anteil liegt bei 6000 Euro im Jahr.
... erhält ein Chefberater.
Sein Gehalt reduzierte sich im Vergleich zum Vorjahr um 3 Prozent.
... bekommt ein Leiter Beratung.
Die Gehälter der Beratungschefs sind um 3,1 Prozent gestiegen.
Was man im Projekt-Management verdienen kann.
Im Schnitt sanken hier die Gehälter um 1,7 Prozent.
... erhält ein Projekt Manager der Stufe I.
Damit haben Projekt-Manager nach dem Vertrieb die höchsten Einstiegsgehälter.
... verdient ein Projekt Manager der Stufe II.
Der variable Anteil liegt bei 7000 Euro im Jahr.
... bekommt ein Projekt Manager der Stufe IV.
Der variable Anteil liegt bei 10.500 Euro im Jahr.
Was man im Marketing verdienen kann.
Hier steigen die Gehälter um durchschnittlich 2,4 Prozent.
... erhält ein Markting Spezialist.
Der variable Anteil liegt bei 3900Euro im Jahr.
... verdient ein Senior Markting Spezialist.
Der variable Anteil liegt bei 8.400 Euro im Jahr.
... bekommt ein Leiter Marketing.
Der variable Anteil liegt bei 14.400 Euro im Jahr.
Was man als Trainer verdienen kann.
Hier stiegen die Gehälter um durchschnittlich 3,6 Prozent.
... bekommt ein Trainer.
Das entspricht einem Plus von 4,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
... erhält ein Leiter Bildungswesen.
Damit liegt er gleichauf mit dem Leiter von Servicetechnik und Support.
Was man im Vertrieb verdienen kann.
Im Schnitt stiegen hier die Gehalter um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
... bekommt ein Junior Vertriebsbeauftrager
Damit hat er nach dem Projekt-Manager das höchste Einstiegsgehalt.
... erhält ein Vertriebsbeauftrager.
Der variable Anteil liegt bei 26.100 Euro im Jahr.
... verdient ein Senior Vertriebsbeauftrager.
Der variable Anteil liegt bei 25.000 Euro im Jahr.
... bekommt ein Leiter Vertrieb.
Der variable Anteil liegt bei 41.000 Euro im Jahr. Damit hat er nicht nur den höchsten variablen Anteil, sondern verdient im Vergleich zu den Leitern Softwareentwicklung, Rechenzentrum oder Marketing am besten.
Was man im Call Center verdienen kann.
Hier werden seit jeher die niedrigsten Löhne bezahlt. Im vergangenen Jahr sind hier die Gehälter um durchschnittlich 4,3 Prozent gestiegen.
... bekommt ein Kundenbetreuer.
Einsteiger auf dieses Position bekommen 34.000 Euro.
... erhält ein Senior Kundenbetreuer.
Der variable Anteil liegt bei 3.500 Euro im Jahr.
... verdient ein Gruppenleiter.
Der variable Anteil liegt bei 7.500 Euro im Jahr.
... bekommt ein Call-Center-Leiter.
Der variable Anteil liegt bei 10.500 Euro im Jahr. Damit verdient er 30.000 Euro weniger im Jahr als der Leiter Beratung.

Laut Spiegel Online sind in den ersten elf Monaten 8879 Blue-Card-Genehmigungen erteilt worden. Allerdings gingen mehr als 70 Prozent dieser Zusagen an Personen, die bereits in Deutschland lebten. Und diese Zahl umfasst neben IT-Experten auch Akademiker anderer Fachrichtungen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen findet die Zahl nach einem Jahr Blue Card - sie hat sie vor Ablauf der Frist auf 10.000 geschätzt - "ausgesprochen erfreulich", so Spiegel Online.

Doch die Bilanz nach einem Jahr Blue Card fällt nicht von allen Seiten so positiv aus. Klaus Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), kritisiert die Regelungen gegenüber der Welt: Sie seien offenkundig nicht geeignet, "einen nennenswerten Beitrag zur Lösung des Arbeitskräftebedarfs in Deutschland zu leisten", so Zimmermann. Das System sei viel zu bürokratisch angelegt. Das sieht auch Martin Vesterling so. Der Geschäftsführer der gleichnamigen Personalberatung mit Spezialisierung in IT und Engineering zieht eine ernüchternde Bilanz: "Bislang ist die Blue Card nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein", so Vesterling gegenüber CIO.

Bürokratische Hürden beim Blue-Card-Antrag

Auch er kritisiert die bürokratischen Hürden der Blue Card: "Über 90 Prozent unserer Blue-Card-Bewerber werden abgelehnt, weil den Arbeitgebern die Bürokratie zu lange dauert." Die hohen Hürden verdeutlicht Vesterling am Beispiel eines Softwareentwicklers aus Mazedonien. Der erhielt ein Vertragsangebot aus Deutschland und beantragte bei der deutschen Botschaft in Mazedonien ein Visum. Bis dieses Visum ausgestellt wird, dauert es in der Regel zwei bis drei Monate. Erst dann konnte er in Deutschland die Blue Card beantragen, dafür muss man noch einmal mit vier bis sechs Wochen rechnen. Den geplanten Vertragsstart konnte der Bewerber nicht einhalten. Er hatte Glück - sein neuer Arbeitgeber hat keinen Rückzieher gemacht und den Arbeitsbeginn verschoben. Für die Familie des Softwareentwicklers dauerte das Prozedere noch länger. Erst nach Bewilligung der Blue Card konnte sie in Mazedonien die Einreise nach Deutschland beantragen und musste noch einmal drei Monate auf das Visum warten.

Personalberater Martin Vesterling kritisiert die bürokratischen Hürden.
Foto: Vesterling

Die Bürokratie schreckt auch Bewerber ab. "Wir bekommen nicht so viele Bewerbungen, wie es eigentlich sein könnte. Die Frage ist, ob es zum jetzigen Zeitpunkt angemessen wäre, die Blue Card im Ausland bekannter zu machen. Erst einmal müssten die bürokratischen Hürden abgebaut werden", so Vesterling. Am Antragsprozess sind aktuell mehrere Behörden beteiligt. Vesterling stellt sich die Frage, ob das wirklich sein muss. Was so viel Zeit in Anspruch nimmt, ist die Beteiligung der Ausländerbehörde und gegebenenfalls der Bundesagentur für Arbeit (ZAV). Begrüßenswert wäre es seiner Meinung nach daher, wenn die Ausländerbehörde durch die Visastelle nicht mehr einbezogen werden müsste. "Eigentlich sollte es möglich sein, die Visums-Formalitäten innerhalb von 24 Stunden zu prüfen, wenn alle Unterlagen vorliegen, und in nützlicher Frist einen Antrag zu bearbeiten", meint Vesterling.

Auch Unternehmen bremsen die Blue Card

Doch nicht nur die Ämter bremsen nach Vesterlings Meinung den Erfolg der Blue Card: "Wir beobachten besonders bei kleineren Unternehmen und Unternehmen außerhalb der Ballungszentren Bedenken gegenüber Kandidaten aus dem Ausland. Natürlich müssen Arbeitgeber etwas für diese Fachkräfte leisten, denn von allein funktioniert die Integration nicht." So erlebt er bei Arbeitgebern oft überzogene Forderungen an die Sprachkenntnisse der Bewerber. Er nennt den Fall eines Systemadministrators, von dem verhandlungssicheres Deutsch verlangt wurde. Wie hoch der Bedarf ist, merkt Vesterling schon bei seiner täglichen Arbeit: "Wir haben momentan im Bereich IT und Engineering rund 1.000 offene Stellen, die unsere Kunden nicht besetzen können."

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VDI-Umfrage
Auf der CeBIT-Pressekonferenz hat der VDI eine Umfrage zum Arbeitsmarkt für Informatiker unter anderem mit Einstiegsgehältern vorgestellt.
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