Wie aus Daten Content wird

Bloß keine Hektik aufkommen lassen

14.09.2001
Wer beim Web-Content-Management (WCM) nur auf die schnelle Lösung setzt, verspielt die zahlreichen Möglichkeiten, die diese Systeme für Unternehmen bieten. von Jürgen Rentergent*

Betreiber von Websites haben inzwischen erkannt, dass das Angebot von qualitativ hochwertigem Content für die Kundenbindung erfolgskritisch ist - egal, ob bei einem attraktiven Internet-Auftritt eines Unternehmens oder einer umfangreichen E-Business-Initiative im Web. Für die Produktion und Pflege solcher Inhalte dient das so genannte Web Content Management (WCM). Die Einführung dieser Technologie stellt die Anwender vor spezifische organisatorische Aufgaben.

Meist denkt man bei der Einführung eines Web-Content-Management-Systems (WCMS) ausschließlich an die schnelle Lösung von Problemen bei der Erstellung, dem Betrieb und der Pflege von Websites.

Webmaster entlasten

So soll der Webmaster, der bisher die Dokumente manuell in die Website eingebunden hat und sich durch die steigende Dokumentenmenge überfordert fühlt, entlastet werden, indem die Arbeit auf viele Schultern verteilt wird und die Autoren und Redakteure die Inhalte für die Website direkt veröffentlichen. Darüber hinaus soll sich durch die Trennung von Layout und Inhalt die gleiche Information in verschiedenem Kontext und unterschiedlichen Informationskanälen wie Browser, WAP-Handy etc. nutzen lassen. Die Arbeitsabläufe im Sinne eines Workflow-Prozesses werden jedoch meist ausschließlich im Zusammenhang mit den redaktionellen Erstellungs- und Freigabeprozessen für die Website betrachtet.

Dieser Ansatz ist zwar naheliegend, weil sich damit drängende Probleme in einem kurzen Zeitraum lösen lassen, führt jedoch zu einer weiteren Informationsinsel im Unternehmen. Daten und Dokumente werden entweder neu erstellt oder aus anderen EDV-Anwendungen genommen und zwecks Veröffentlichung im Web kopiert und in einer WCM-Lösung abgelegt und verwaltet. Der Zugriff auf diese Dokumente oder ihre Bearbeitung in Web-fremden Anwendungen, seien es operative Programme oder Groupware und E-Mail, ist nur dann möglich, wenn die Informationen redundant, unter Umständen auch in weiteren Datenformaten, vorliegen.

Dadurch entsteht eine zweigleisige IT-Infrastruktur, insbesondere in Unternehmen, die sich nicht hauptsächlich mit der Erstellung und Vermarktung von Informationen für das Web beschäftigen. Die Trennung zwischen Web-zentrischen und traditionellen Anwendungen und entsprechende Datenhaltungen bedeutet, dass Content parallel verwaltet und gepflegt werden muss. Das führt zu Doppelarbeiten. Die Fehleranfälligkeit steigt, weil sich Dokumentenbestände auseinander entwickeln, und die Übersichtlichkeit unternehmenswichtiger Informationen lässt zu wünschen übrig - ganz zu schweigen von der Verschwendung von Speicherplatz und einem erhöhten Aufwand für die Administration der Datenbestände.

Kernprozesse berücksichtigen

Die Lösung dieses Dilemmas liegt in der Konzeption von geeigneten Content-Wertschöpfungsketten. Sie müssen die Kernprozesse des Unternehmens berücksichtigen und die vorhandenen traditionellen EDV-Anwendungen mit dem Web Content Management verbinden. Dazu verfolgt man im Detail die Entstehung und die Bearbeitung von Content und betrachtet den Gesamtprozess. Es findet also keine Optimierung von Teilabläufen - etwa der Veröffentlichung im Web - statt, sondern man durchleuchtet den gesamten Content-Bearbeitungsprozess von Anfang an und konzipiert ihn im Hinblick auf Datenformate, Schnittstellen und Bearbeitung durchgängig. Dabei versucht man, bestehende funktionierende Arbeitsprozesse und Strukturen beizubehalten und nur an geeigneten Stellen zu erweitern.

Bei dieser Ablaufanalyse sollte man vermeiden, eine 100-Prozent-Lösung zu suchen, die alle Besonderheiten und Ausnahmen abdeckt, da man sich sonst sehr schnell in den Tiefen eines Business-Reenginering-Projekts verliert. Als sinnvoll erweist sich hier oft eine ganz bewusste Beschränkung auf die Bereiche, die aufgrund des Datenvolumens oder der Vorgangshäufigkeit typischerweise den höchsten Nutzen versprechen. Die Untersuchung soll den Blick für die wesentlichen, relevanten Zusammenhänge und die erfolgskritischen Arbeitsschritte bewahren.

Dabei empfiehlt es sich, zunächst zu fragen, welcher bisher intern im Unternehmen erstellte Content überhaupt relevant ist. In Betracht kommen hier Informationen aus Anwendungen wie Enterprise Ressource Planning, Customer Relationship Management, Supply Chain Management, aber auch Dokumente von Knowledge-Workern aus der Office-Umgebung.

Wer die eigenen Inhalte mit passendem Content externer Dienstleister aufwerten will, steht vor einem breiten Angebot: Verlagshäuser, Nachrichtenagenturen, Zeitungen sowie eine Vielzahl kleiner Produzenten bieten mittlerweile zielgruppenorientierte Inhalte. So genannte Content-Broker bündeln solche Angebote und liefern sie in gewünschter Form, Umfang und Format.

Ebenso wichtig wie die Suche nach Content-Quellen ist die Überlegung, wo sich bei der Produktion, Freigabe und Pflege von Content auf funktionierende Arbeitsabläufe aufsetzen lässt. Das neue Life-Cycle-Management für den Web Content muss sich möglichst nahtlos in bestehende Abläufe integrieren. Häufig erfordert dies nur in Teilbereichen eine organisatorische Umstellung. Beispielsweise lassen sich vorhandeneIT-Anwendungen wie E-Mail, Groupware oder Dokumenten-Management-Systeme sinnvoll in ein WCM-Konzept einbinden. Das verringert den Einführungsaufwand und fördert die Akzeptanz des Anwenders. Wichtig ist

Langfristig planen

jedoch, dabei die Schnittstellenproblematik genau zu analysieren und sämtliche Schnittstellen mit allen Abhängigkeiten langfristig zu planen.

Voraussetzung für die Beschaffung von geeignetem Content ist auch die Definition einer Content-Strategie, die sich aus den Erwartungen, Interessengebieten und dem Nutzerverhalten der Besucher auf der Website ableiten lässt. Häufig helfen zur genauen Spezifikation eines zielgruppenorientierten Angebots Umfragen, Wettbewerbs- und Branchenanalysen sowie Untersuchungen der Beiträge aus Online-Foren. Erst wenn bekannt ist, welche Informationsbedürfnisse die Kunden haben und welche Botschaft das Unternehmen mit den Inhalten transportieren möchte, kann die systematische Beschaffung von passendem Content erfolgen.

Sind die Anforderungen an den Content klar spezifiziert, müssen alle Phasen im Content-Lebenszyklus genauestens geplant werden. Dabei sollte man im Vorfeld einer Systemeinführung klären:

- Sind die Quellen der Information klar identifiziert?

- Wer ist für die einzelnen Phasen der Produktion von Content verantwortlich?

- Wer darf Content zur Veröffentlichung freigeben?

- Wie erfolgen Qualitätskontrollen? Wer kontrolliert?

Eine häufig unterschätzte Vorarbeit zur Einrichtung eines Content-Management-Systems ist die Planung und Festlegung der Vorlagen (Templates). Bekanntermaßen lässt sich eine Trennung von Layout und Inhalt nur durch geeignete Layout-Vorlagen erreichen. Das hört sich einfach an, in der Praxis stellt sich jedoch oft heraus, dass die Einigung auf eine Layout-Struktur, die alle Autoren gleichermaßen akzeptieren, ein schwieriges Unterfangen ist, weil es in der Regel verschiedene Sichten auf ein und dieselbe Information gibt. Unverzichtbar ist deshalb eine intensive Diskussion und Abstimmung aller Beteiligten über die sinnvolle Gliederung des Content.

Ausnahmen sind teuer

Die Pflege von Templates wirkt sich auf große Bereiche der Website direkt aus und muss deshalb ebenfalls eindeutig geregelt sein: Jedem Template wird ein Verantwortlicher zugeordnet, der sämtliche Abhängigkeiten kennt und sie bei Änderungen berücksichtigt. Projekte mit bereits vorhandenem Dokumentenbestand, der übernommen werden soll, erfordern eine exakte Strukturanalyse und stichprobenartige Prüfung, ob auch tatsächlich alle Dokumente der gefundenen Strukturbeschreibung entsprechen. Stellt sich später bei der Übernahme heraus, dass zahlreiche Ausnahmen oder Varianten existieren, so bedarf es einer aufwändigen, manuellen Nachbearbeitung der Dokumente, die leicht den geplanten Budgetrahmen sprengen kann.

* Jürgen Rentergent ist Partner der auf Dokumenten-Management und Workflow spezialisierten Zöller & Partner GmbH in Sulzbach/Taunus.

Sieben Tipps zum Projektstart

Für viele Unternehmen ist die Entscheidung bereits gefallen, eine CM-Lösung einzuführen. Die Frage heißt also nicht ob, sondern wie man das Thema angeht.

1. Definieren Sie zuerst die E-Business-Strategie und die Kernprozesse, dann das CM-Projekt.

CM ist eine so genannte Enabler-Technologie, weil sie für führende Anwendungen, wie zum Beispiel eine E-Commerce-Lösung oder eine Support-Site für Vertriebspartner, eine Infrastruktur bereitstellt, mit der sich Content gezielt einsetzen lässt. Auch einzelne, abteilungsorientierte CM-Lösungen sollte man in ein Gesamtkonzept einbinden, um Wildwuchs zu vermeiden und eine einfache Wiederverwendung von Content zu ermöglichen.

Den roten Faden für das weitere Vorgehen liefert dann eine Content-Strategie, die sich vom Informationsbedürfnis der Zielgruppe und den Unternehmensinteressen ableitet.

2. Identifizieren Sie relevante Content-Quellen und erstellen Sie eine Content-Schatzkarte.

Wer erstellt welche neuen Informationen (intern)? Gibt es vorhandene Content-Bestände, die sich in die neue Lösung übernehmen lassen? Gibt es Inhalte, die man sinnvoll von externen Anbietern zukaufen kann? Welche Werkzeuge und Formate werden jeweils bei der Erstellung beziehungsweise Anzeige und Bearbeitung des Content benutzt?

3. Differenzieren Sie die geplanten Websites anhand eines möglichst spezifischen Anforderungsprofils.

Anwendungen unterscheiden sich zum Beispiel hinsichtlich Sicherheitsstufe, Bandbreite der Netzanbindung, Zielgruppe, Inhalte, Browser-Typ, Anwenderverhalten sowie Eignung als Internet-, Intranet- oder Extranet-Site. So hat eine Extranet-Anwendung zum Support von Vertriebspartnern ein völlig anderes Anforderungsprofil als eine konzernweite Personalanwendung im Intranet.

4. Schaffen Sie eine Arbeitsumgebung, die Content-Autoren motiviert, mit dem neuen System zu arbeiten.

Die Dokumente sollten möglichst mit vertrauten Anwendungen oder einfach zu handhabenden Eingabeformularen erstellt werden. Die Workflow-Prozesse müssen eine möglichst freie und eigenbestimmte Arbeitsweise ermöglichen und von Routinetätigkeiten entlasten. Eine intensive Trainingsphase vor Systemeinführung ist absolut erfolgskritisch. Für den Anfang empfiehlt sich immer, ein erfahrenes Support-Team vor Ort zu haben, das in Problemsituationen gleich helfen kann.

5. Definieren Sie klare Zuständigkeiten für den gesamten Content-Life-Cycle.

Bereitstellung von Informationen, redaktionelle Arbeiten, inhaltliche Strukturierung, Gestaltung/Layout, Freigabe zur Veröffentlichung, Löschen oder Archivieren - für jeden Arbeitsschritt müssen die Verantwortlichkeiten bekannt sein. Typische zeitliche Anforderungen, wie Bearbeitungs- und Freigabefristen, sind mit den Betreffenden zu vereinbaren, damit sich die geplanten Veröffentlichungstermine einhalten lassen. Ein Konzept für das Wiederauffinden des Content durch Klassifikation ist unabdingbar und muss zwingend vor Inbetriebnahme der Lösung verabschiedet werden. Nur durch übersichtliche, effiziente Suchverfahren lässt sich vermeiden, dass Autoren Inhalte neu produzieren, anstatt auf bereits vorhandenes Material zurückzugreifen.

6. Sichern Sie die Qualitätskontrolle des Content.

Wichtig für eine gute Akzeptanz des Web-Angebots ist eine möglichst perfekte Qualitätskontrolle, wie zum Beispiel Vier-Augen-Prinzip bei der Freigabe, Routinekontrollen von kritischen Punkten anhand von Checklisten und mit unterschiedlichen Systemen/Browsern oder systematische Erhebung von Stichproben. Da eine Website ständig aktualisiert und weiterentwickelt werden muss, lohnt es sich zu überlegen, auf welchem Weg man Anregungen für weitere Verbesserung erhält. Eine elegante direkte Möglichkeit ist, die Inhalte durch den Anwender selbst bewerten zu lassen. So bieten einige Websites eine so genannte Rating-Skala an, auf der man den aufgerufenen Content im Hinblick auf die Nützlichkeit bewerten kann. Weitere Hinweise geben sowohl so genannte Hitraten für einzelne Seiten als auch eine strukturierte Befragung von Anwendern.

7. Realisieren Sie ein erstes Teilprojekt und kommunizieren Sie den Erfolg.

Als Pilotanwendung kommt eine wichtige, aber nicht zu komplexe Aufgabe in Betracht, bei der man eine 80-prozentige Lösung anpeilt. Der Nutzen der Lösung sollte ein gutes Beispiel für weitere qualifizierte Teilprojekte liefern.