Bochum steht bei deutschen Handy-Anwendern vor allem für ein Ereignis: Nokias Flucht vor den angeblich zu hohen Arbeitskosten nach Rumänien. Mit dem Weggang der Finnen schien es nach dem Siemens-Mobile/Benq-Desaster endgültig um den Handy-Standort Deutschland geschehen - bis der kanadische Blackberry-Hersteller RIM sein Engagement in Bochum bekannt gab.
Grönemeyer statt Nokia
Euphorisch wurden die Kanadier in etlichen Medien als Nachfolger von Nokia gefeiert. Wer RIM jedoch in den ehemaligen Nokia-Hallen sucht, wird dort nichts von der "deutschen Tüchtigkeit" finden, die RIM-Chef Mike Lazaridis an seinen Bochumer Mitarbeitern schätzt. Die Suche nach dem deutschen Blackberry-Think-Tank führt vielmehr auf den Campus der Ruhruniversität Bochum. Doch selbst dort ist der Besucher gut beraten, wenn er ein aktuelles Smartphone mit Location-based Services mit sich führt. Während das medizinische Grönemeyer-Institut, geleitet von Dietrich Grönemeyer, dem Bruder des Sängers Herbert G., von überall zu sehen ist, scheint sich der Handy-Bauer in Luft aufgelöst zu haben. Erst in einem schmucklosen, schon als trist zu bezeichnenden Gebäude, das zahlreiche Universitäts-Spinoffs beherbergt, werden wir fündig: Auf einigen Etagen hat sich RIM eingemietet.
Der Freude folgt schnell die Ernüchterung: Statt futuristischem Hightech-Ambiente begrüßt uns ein Eingangsbereich, der den Charme einer besseren Warenausgabe hat. Doch was sollen die seltsamen Armbändchen auf den Tischen? Bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich als Antistatikbänder, die zwischen Kleidung und Schuhen zu fixieren sind, damit die Besucher im Labor die empfindliche Elektronik nicht zerstören. Hurra, wir sind also richtig an der Geburtsstätte des neuen Bold, des ersten Blackberry aus Bochum. Hinter der nächsten Tür muss endlich der Reinraum sein.
Arbeiten im Think-Tank
Gleich werden wir die letzte Ingenieurs-Hochburg der einst stolzen Mobilfunknation Deutschland betreten. Die Anspannung steigt enorm - um schlagartig einer Enttäuschung zu weichen. Als sich die Tür öffnet, sehen wir nämlich nichts anderes als endlose Reihen von PC-Arbeitsplätzen in einem Großraumbüro. Und die sind in ihrem Einheitsgrau so stinklangweilig wie die meisten anderen Büroarbeitsplätze in dieser Republik. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass an dem einen oder anderen Platz noch eine Lötstation oder ein Messgerät steht. Aber wie konnten wir auch so vermessen sein, im Zeitalter von computergestützter Entwicklung etwas anderes zu erwarten? Natürlich werden nicht nur neue Autos und Achsen virtuell am Rechner konstruiert, sondern auch neue Handys und ihr Innenleben.
Gastgeber RIM scheint unsere Enttäuschung vorausgeahnt zu haben: Schnell werden wir in ein Labor geführt, in dem endlich Action angesagt ist und ein Höllenlärm herrscht. Hier wird der neue Blackberry nämlich auf seine Belastbarkeit getestet und entsprechend gemartert. Der Lärm rührt von einem weißen Blechkasten, der sich um seine eigene Achse dreht. Er ist in etwa ein Meter große Kammern unterteilt, in denen jeweils ein Blackberry liegt. Durch die Drehung werden die Smartphones einem Rüttel- sowie einem Falltest unterzogen. Damit ist die Folter aber noch nicht beendet. Bevor ein neues Modell in die Produktion geht, muss es in Bochum noch zum Crashtest.
Handy im Crashtest
Während Autos beim Crashtest mit verschiedenen Geschwindigkeiten gegen eine Wand gefahren werden, müssen die Blackberries in Bochum einen freien Fall aus verschiedenen Höhen auf eine Betonplatte verkraften. Sieht man sich das Ergebnis hinterher mit der Hochgeschwindigkeitskamera an, dann drängt sich wieder der Fahrzeugvergleich auf: Wie ein Auto haben auch die Smartphones eine Knautschzone, die sich beim Aufprall verformt - allerdings nicht plastisch wie Karosserieblech, sondern reversibel. So verbiegt sich die Gehäusekante wie eine Knautschzone beim Aufprall für Sekundenbruchteile um drei bis vier Millimeter. Laut RIM müssen die Smartphones einen Fall aus 1,5 Meter Höhe unbeschadet überstehen.
3D-Plotter
Allerdings stehen die martialischen Tests erst am Ende des Entwicklungszyklus, denn von den ersten Entwürfen am Rechner bis hierhin ist es ein langer Weg. Eine faszinierende Station ist dabei der 3D-Plotter, der ein Traum jedes Modellbauers sein dürfte. Mit diesem Gerät können erste Entwürfe in ein plastisches dreidimensionales Kunststoffmodell übertragen werden. Es ist schlicht begeisternd, dem 3D-Plotter bei seiner Arbeit zusehen, wenn er etwa aus Computerdaten ein Miniaturfahrrad zaubert, dessen Felgen sich sogar drehen.
Die Entwicklungsarbeit scheint unter dem Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" zu stehen. So werden Teile, die von Zulieferern gefertigt wurden, mit einem 3D-Scanner auf ihre Maßhaltigkeit untersucht. Zusätzlich prüft eine Software die Materialdicke der Teile. Stellt sie irgendwo zu viel fest, muss das Bauteil zum Abspecken, denn im Kampf um möglichst leichte Smartphones zählt jedes Pölsterchen.
Platinentest
Besonders stolz sind die Bochumer auch auf zwei selbstentwickelte Prüfmaschinen, auf die sie Patente halten. Eine davon prüft automatisch die elektrischen Kontakte. Der Clou dabei: Mit ihrer Eigenkonstruktion können die Bochumer vier Platinen gleichzeitig testen - branchenüblich ist ein Gerät. Ebenfalls in Eigenregie entstand der Roboter zum Dauertest der Handy-Tastatur.
Auf dem Weg zum fertigen Smartphone muss ein neuer Blackberry nicht nur seine materielle Konstitution unter Beweis stellen, sondern auch zeigen, dass er gut sieht. Wie beim Augenarzt wird auch die eingebaute Kamera auf ihr Sehvermögen geprüft.
Von den ersten Plänen über die verschiedenen Tests bis zum fertigen Modell sind derzeit in Bochum 200 Mitarbeiter beschäftigt. Bis 2014 wollen die Kanadier ihre Mannschaft auf 500 Mitarbeiter aufstocken.